: Brief vom Chef
Nachrichten und Schönheits-OPs: „New York Times“-Chefredakteur Bill Keller legt sich im eigenen Blatt mit einem der oberen US-Richter an
von STEFFEN GRIMBERG
Was macht ein Chefredakteur, wenn ihn ein Beitrag im eigenen Blatt in Rage bringt? Den Text kippen zum Beispiel. Soll in den besten Kreisen vorkommen. Auch Bill Keller, seit gut zwei Jahren oberster Journalist der New York Times, legte in der gestrigen Sonntagsausgabe Hand an – und schrieb sich einen Leserbrief.
„To the Editor“, formuliert da also „Bill Keller, New York“ seinen Unmut über einen NYT-Essay des konservativen Richters Richard A. Posner vom US-Court of Appeal. „Bad News“, schlechte Nachrichten, hatte der seinen Beitrag über politische Rolle und politische Positionierung der Medien im Jahr sechs unter George W. Bush überschrieben. Und dann ausgeholt: „Ihr Publikum schrumpft, ihre Reputation ist im Keller“ schrieb Posner Ende Juli im Flaggschiff der liberalen US-Presse. Was auch daran läge, dass die „Mainstream-Medien überwiegend liberal sind – sogar in letzte Zeit liberaler als früher“.
Das liege aber nicht daran, dass sich die politische Einstellung der JournalistInnen geändert habe. Die sind laut Posner eh zu liberal. Vielmehr hätten diverse neue Medien wie vor allem News Blogs dazu geführt, dass die liberalen Organe im politischen Spektrum weiter nach links rutschten. Und dies einfach dadurch, dass die neuen Angebote eben ausgesprochen konservativ sein können. „Der Aufstieg des konservativen Nachrichtenkanals Fox hat CNN nach links gedrängt“, schrieb Posner. Und das habe ja auch Sinn gemacht, „weil CNN seine konservativeren Zuschauer ohnehin an Fox verloren hätte“.
Denn Medien seien nun mal Wirtschaftsbetriebe wie andere auch. Der ganze Rest aus Wächterrolle (der Demokratie) und unabhängiger Information (der Bevölkerung) wird bei Posner zum netten Beiwerk und ideologischen Glanz für „öffentliche Intellektuelle und die Dekane von Journalistenschulen“. Nein, für einen der obersten US-Richter ist klar: „Journalisten machen sich vor, sie informierten die Öffentlichkeit. Dabei bedienen sie lediglich eine Nachfrage der Verbraucher, die nicht höher stehend oder konsequenter ist als die Nachfrage nach Schönheitsoperationen in Brasilien oder nach Stierkämpfen in Spanien.“
„Hier stimmt Posner der Polemiker traurigerweise voll mit dem Richter Posner überein“, ätzt Keller zurück. Schließlich habe der Jurist sich immer feindlich gegenüber dem Grundsatz verhalten, das First Amendment der US-Verfassung sichere JournalistInnen speziellen Schutz zu.
Keller kritisiert auch Posners „seltsame“ Herangehensweise, immer nur von „den Medien“ zu sprechen und „kaum zwischen aggressiv parteilichen und solchen, die Nachricht und Meinung trennen“ zu unterscheiden. „Natürlich befriedigen auch wir die Bedürfnisse von Verbrauchern. Aber unsere Leser und Anzeigenkunden kommen zu uns, weil sie genau etwas von uns erwarten, was höher stehend oder konsequenter ist als Schönheitsoperationen in Brasilien. Und wir sind stolz darauf, es ihnen zu liefern.“
Posner, den der New Yorker einst als jemanden beschrieb, der „die distanzierte Omnipräsenz und die ektoplasmatische Aura des Butlers aus einem Spukhaus“ habe, hatte dagegen noch einen draufgesetzt: Wenn der im öffentlich-rechtlichen PBS sendende Publizist Bill Myers schreibe, Demokratie könne nicht ohne informierte Öffentlichkeit existieren, bliebe ihm, Posner, nur festzustellen: „Wenn das stimmt, sind die Vereinigten Staaten keine Demokratie.“ Mit dieser These könnte sich die NYT ja gelegentlich noch mal beschäftigen.
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