: Menschen schauen auf Tiere
Die Omnipräsenz charismatischer Tiere in den Medien steht in starkem Kontrast zur Anzahl ihrer noch lebenden Vertreter. Löwe, Giraffe und so weiter kann man derzeit auch im me Collectors Room bewundern:in Form modernistischer Spielzeugfiguren aus der Sowjetunion
Von Helmut Höge
Zoo Moskau“ heißt eine Ausstellung im me Collectors Room in Berlin Mitte. Die Kuratoren Sebastian Köpcke und Volker Weinhold zeigen dort zusammen mit der Restauratorin und Pädagogin am Museum der Kindheit in Leningrad, Daria Soboleva, 400 sowjetische Spielzeugtiere aus Zelluloid und Polyethylen, die zwischen 1950 und 1980 hergestellt wurden – von Absolventen der Leningrader Kunsthochschule: „Sie wagten ab Mitte der 1950er Jahre den Aufbruch in die Moderne. In der sowjetischen Spielzeugindustrie boten sich gestalterische Freiräume, um Neues auszuprobieren und eine eigene Formsprache zu entwickeln, in der Zeitgeist und ein neues Lebensgefühl ihren selbstbewussten Ausdruck fanden. Viele ihrer bunten Spielfiguren sind große Kunst für kleine Kinder.“
Mir, der ich mit Plüschtieren von Steiff (mit Knopf im Ohr) groß geworden bin, sind diese sowjetischen Spielzeugtiere viel zu modernistisch und überhaupt nicht geeignet, sie Abends mit ins Bett zu nehmen. Sie haben zu wenig Realismus, um sich mit ihnen vorm Einschlafen oder bei Kummer auszusprechen – und das ausgerechnet im Land des sozialistischen Realismus. Aber diese einstigen Proletarierverherrlicher wollten wahrscheinlich gar nicht, dass man mit Tieren, realen oder künstlichen, redete, geschweige denn sich mit ihnen solidarisierte.
Nun hadern aber einige Naturwissenschaftler auch im kapitalistischen Realismus mit den hiesigen Kuscheltieren. In der renommierten Onlinezeitschrift PLOS Biology veröffentlichte eine Gruppe französischer Biologen eine Studie mit dem alarmistischen Titel: „Das paradoxe Aussterben der charimatischsten Tiere.“ Diese Großtiere hatten sie mittels einer Umfrage ermittelt: Danach standen die Tiger und die Löwen an erster Stelle, gefolgt von Elefanten, Giraffen, Leoparden, Pandas, Geparden, Eisbären, Wölfen und Gorillas. „Abgesehen vom Wolf gelten sie alle in unterschiedlichem Ausmaß als bedroht,“ erklärte dazu die Süddeutsche Zeitung.
Die von den Wissenschaftlern der Universität Paris-Sud Befragten begegneten täglich mindestens vier Darstellungen von Löwen auf ihren Wegen. „Und die Zahl der im Jahr 2010 in Frankreich verkauften Spielgiraffe ‚Sophie‘ war mehr als acht Mal so hoch wie die der in Afrika lebenden Giraffen.“ Die „Omnipräsenz dieser Tiere in Büchern, Filmen, Spielzeugläden und in der Werbung“ stehe in „starkem Kontrast zur Anzahl ihrer tatsächlich noch lebenden Vertreter“.
Die Biologen befürchten, dass diese überbordende Masse an Dingen und Bildern von bestimmten Tieren die abnehmende Zahl dieser lebenden Tiere, also ihr akutes Gefährdetsein, in den Hintergrund drängt. Sie fordern von den Herstellern dieser Dinge und Bilder eine Abgabe, „eine Art Lizenzgebühr“, die dem Schutz dieser Tierarten zugute kommen soll.
Hier und da geschieht das bereits, ohne Umweg über Staat und Gesetz, indem etwa Verlag und Autor eines Tierbuches verkünden, dass der Gewinn aus dem Verkauf für den Schutz der jeweiligen Art eingesetzt werden soll.
Mir waren als Kind Spieltiere und lebende Tiere gleich lieb, sie schaukelten sich gleichsam gegenseitig hoch in meinem Gefühlsleben – bis ich den „Kleinen Tierfreund“ abonnierte und überhaupt mehr über die einen wie die anderen Tiere wissen wollte.
Anders als von den französischen Biologen dargestellt gibt es auch eine massenhafte Hinwendung zu den lebenden charismatischen Tieren, dieses Interesse ist allerdings Moden unterworfen. So gerieten etwa der „New Age“-Bewegung die Delfine zu Totemtieren, die dann studiert wurden. Ja, man versuchte sogar ihre Sprache zu entschlüsseln, um sich mit ihnen unterhalten zu können. Danach führte die Walbeobachtung, unter anderem in den Gewässern um Vancouver, die 1980 mit einem Boot von zwei Naturschützern begonnen hatte, dazu, dass sie sich in den 1990ern zu einer „Industrie mit Dutzenden von Schiffen aller Größen und Formen“ entwickelte, so dass ihr Motorenlärm für die Wale unerträglich wurde. In Kanada wurden daraufhin „Walbeobachtungs-Gesetze“ erlassen.
Man sollte sich darüber klar sein, schreibt die Schwertwalforscherin Alexandra Morton in „Die Sinfonie der Wale“, das Buch erschien 2002, „dass selbst ‚Zuschauen‘ allzuoft gerade für das Geschöpf, das zu sehen wir gekommen sind, eine unwiderrufliche Veränderung bewirken kann“. Aber wie sie auch weiß, „besteht heute die größte Hoffnung für jede Spezies auf Erden darin, dass irgendeine Gruppe von Menschen sie liebt“.
Deren Interesse an einem Tier bewirkt, wenn es andere Menschen begeistert, eine wachsende Nachfrage nach authentischen Zeugnissen von dieser Tierart. Besonders Tierfilme und Tiersendungen im Fernsehen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, diese spezielle Bilderflut wird inzwischen auch bereits wissenschaftlich erforscht.
Nach dem Animationsfilm „Findet Nemo“ über einen kleinen Clownfisch wollten derart viele Aquariumsbesitzer weltweit einen besitzen, dass die Fischer am Korallenmeer ihn fast zum Aussterben gebracht hätten. Derzeit scheinen in den USA neben Katzen auch Eulen, Waschbären und Eichhörnchen zu den charismatischen Tieren der Amerikaner zu gehören, die man sich als „Pets“ ins Haus holt.
Der Tierfilmer Horst Stern gab einmal in einem Interview zu bedenken: „Wie ich denn überhaupt sagen muss, dass nicht selten passionierte Tierfreunde, insbesondere Tierfotografen, mehr Schaden in der Tierwelt anrichten als dass ihre Beobachtungen und Bilder ihr nützen.“
Wenn Filmer vorsichtiger vorgehen, ist es oft auch nicht recht. Der für seine Tierdokumentationen geadelte Regisseur David Attenborough verursachte einen kleinen Skandal, als herauskam, dass er die im Zoo gefilmte Geburt eines Eisbären in eine Sendung eingebaut hatte, die Eisbären in der arktischen Wildnis zeigte. Der des Betrugs Bezichtigte verteidigte jedoch nicht nur seine Täuschung, sondern gab gleich noch weitere zu. Die Tierfilmproduzenten sprangen ihm bei: Seine „Eisbären-Methode“ entspreche den „Redaktionsanforderungen“, sie sei „Standard“ bei der Produktion von „Natural History Programmen“. Daraufhin beruhigte die Öffentlichkeit sich wieder.
Ärgerlicher ist sowieso eher die wachsende Zahl von Tierdarstellungen und Tiertiteln auf Büchern, weil meist weder das eine noch das andere Tier darin vorkommen oder wenn, dann nur kurz und lieblos, weil es den Autoren darin doch wieder nur um sexuell konnotiertes Menscheln geht, wenn man so sagen darf.
Auch dass plötzlich – etwa auf der Kölner Kunstmesse im vergangenen Jahr – lauter Tierbilder und -plastiken ausgestellt wurden, gibt zu denken, insofern es vielen Künstlern wie den Buchumschlaggestaltern und Autoren um das Bedienen eines Trends ging: Was selten ist, wird kostbar. Man darf sich heute kein Fell eines vom Aussterben bedrohten Schneeleoparden an die Wand nageln, wenn man in den Augen seiner Mitmenschen nicht als ein Riesenarschloch dastehen will, aber mit einem Schneeleoparden in Öl auf Leinwand von Vroni Graf an der Wohnzimmerwand kann man noch Bewunderung einheimsen. Allein kunstnet.de offeriert 84 Schneeleoparden-Bilder, Preise auf Anfrage.
Die französischen Biologen wollen zunächst die großen Firmen um „conservation intensification“ angehen, die ein Tier in ihrem Logo haben, (wie etwa die Lufthansa einen Kranich und Shell eine Jacobsmuschel). Als Naturschützer mahnen sie am Ende ihres Artikels zur Eile – bevor es zu spät ist. Der Philosoph Hans Blumenberg, der Texte und Bilder von Löwen sammelte (sie wurden 2010 veröffentlicht) meinte dagegen: „Auch ohne naturschützerische Gebärde muss gesagt werden, dass eine Welt ohne lebende Löwen trostlos wäre.“
Zoo Moskau: Me Collectors Room, Auguststr. 68. Mi.–Mo. 12–18 Uhr, bis 22. April
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