Auf dem Teufelsberg im Grunewald: Eine Art Zauberberg
Lange wurde der weitere Verfall des Teufelsbergs von ein paar Kreativen wie Wolfram Liebchen verhindert. Nun soll dieser gehen. Eine Ortsbesichtigung.
Wolfram Liebchen steht in der Kantine der ehemaligen Abhörstation auf dem Teufelsberg im Grunewald und lässt den Blick schweifen. „Ich habe keine Ahnung, wo ich jetzt noch hinkönnte“, sagt er und streicht sich das lange Haar aus der Stirn. „Einen Ort wie diesen in Berlin finde ich im Leben nicht noch mal.“ Am 18. März entscheidet das Amtsgericht Mitte, ob es Wolfram Liebchen oder den Eigentümern des Teufelsbergs recht geben soll. Ob Liebchens Kündigung rechtens ist. Ob er rausmuss.
Liebchen, der 1956 geboren und in Berlin aufgewachsen ist, hegt und pflegt den Berg, seit er hier ist, seit 2011. Er ist einer, der Altes liebt, und nennt sich selbst Bewahrer. Kurz vor dem Abriss oder der Sanierung von Gebäuden bekommt er Anrufe und holt antike Bauelemente heraus, die er dann verkauft: Kachelöfen, Kamine, Türen, Tore, Parkett. Bis vor zehn Jahren kämpfte er um sein altes Lager in der Lehrter Straße, heute verkauft dort die Groth-Gruppe Neubauwohnungen ab 6.000 Euro pro Quadratmeter.
Was Liebchen 2011 auf dem Teufelsberg vorfand, davon zeugen eine Reihe von Fotos, die er in der alten Kantine aufgehängt hat. Da waren zuerst einmal Tonnen von Müll, die er entsorgen musste. Allein die Container für den toxischen Mix aus Partyabfällen und altem Asbest hätten 20.000 Euro gekostet. Dann die neuen Scheiben, die er eingesetzt hat. Und das Dach. „Es hat überall reingeregnet.“
Die alte Kantine wirkt heute wie eine Mischung aus Wohnzimmer für alle, Kuriositätenkabinett und Alltagsmuseum. Eine alte Registrierkasse steht da, das Interieur einer Alt-Berliner Kneipe. All das passt gut zu diesem Ort, denn auch der Teufelsberg erzählt vom alten Berlin, vom Zweiten Weltkrieg, vom Kalten Krieg.
Wolfram Liebchen ist ein Pionier
Nicht zuletzt ist der Berg aber auch ein Lehrstück, das viel vom Berlin der Nachwendezeit berichtet. Von einer Stadt voller Leerräume, in der noch vieles möglich zu sein schien. Von einer Stadt, in der nach dem Mauerfall Investoren zuschlugen und pleitegingen, weil der große Boom zunächst ausblieb. Von einer Stadt, die noch vor Kurzem so arm war, dass sie all ihr Tafelsilber verscherbelte – und diesen Schritt jetzt, da sie endlich wächst und gedeiht, bereut. Und im November wurde der Teufelsberg zum Denkmal erklärt. Das ist zunächst einmal nur ein Zeichen.
Liebchen ist ein Pionier. Er hat sich in die alte Kantine verliebt, er hat sie behutsam belebt, ohne sie zu verfälschen. Gewerbe ist hier oben nicht erlaubt, also hat er gehofft, dass die Kantine vielleicht eines Tages als eine Art Vereinsheim für all jene taugen könnte, die sich für den Erhalt des Teufelsbergs engagieren.
Jetzt ist er ratlos. Erst vor Kurzem war er zum zweiten Mal auf dem Amtsgericht Mitte. Die Investorengemeinschaft, der der Teufelsberg gehört, will Liebchen, der hier, wie er sagt, einen Vertrag über mietfreie Nutzung auf Lebenszeit hat, loswerden. Entschädigung will sie ihm keine zahlen. Nie hat er etwas von ihnen bekommen, nicht einmal Wasser und Strom, erzählt er, und das, obwohl sie nicht wenige Einnahmen durch die Eintrittsgelder hatten: Angeblich pilgern jährlich 25.000 Besucher zum Teufelsberg und zahlen mindestens 5 Euro Eintritt. Hinzu kamen Einnahmen aus der Vergabe von Filmrechten. „Ich habe denen die Drecksarbeit gemacht, und jetzt kann ich gehen“, sagt Liebchen und lädt dann zu einem Spaziergang über den Berg.
Ein bröckelnder Betonwürfel, offen wie ein zerbombtes Parkhaus. Darauf ein Turm mit runder Radarkuppel, rechts und links zwei weitere weiße Kugeln. Kaputte Plastikplanen flattern im Wind, überall Graffiti. Liebchen weist auf eine „Praxis für Wahrnehmungschirurgie“. Direkt daneben hat sich das „Institut für alles Mögliche“ eingerichtet. Weiter hinten kauern sich ein paar Baumhäuser zwischen die Astgabeln von Bäumen, man denkt an die Kokons einer Spezies, die in 300 Jahren die Herrschaft über die Menschen übernehmen könnte. Man erinnert sich auch immer wieder an den Charme von Rotten Places wie dem Tacheles in den Neunzigern, als Berlin noch eher einer Spielwiese glich als einer erwachsenen Stadt voller Sorgen, Zwänge – und Geld.
Mit Trümmerschutt aufgefüllt
Wir befinden uns auf dem nach den Arkenbergen in Blankenburg höchsten Berg Berlins, nur 120,1 Meter über dem Meeresspiegel. Die Luft kann hier unmöglich viel dünner sein als unten, und trotzdem hat man das Gefühl, auf einer Art Zauberberg gelandet zu sein, in einer entrückten Welt, wo die Gesetze des Nüchternen und Praktischen sehr weit weg scheinen.
Tief im Berg steckt bis heute der Rohbau einer Wehrtechnischen Universität, die die Nazis hier geplant hatten. Ab 1950 wurden die Ruinen mit Trümmerschutt aufgefüllt, 26 Millionen Kubikmeter insgesamt. Die weißen Kugeln stammen von der Abhörstation, die die Amerikaner und die Briten seit den 50ern bis 1991 hier betrieben.
1996 verschacherte die Stadt das 4,7 Hektar große Areal an die Investorengemeinschaft Teufelsberg GmbH & Co KG, die es für den Schrottpreis von umgerechnet 2,65 Millionen Euro kaufte. So stand es jedenfalls damals in den Zeitungen, die Eigentümer selbst hüllen sich dazu heute in Schweigen. Zuerst sollten auf dem Teufelsberg Eigentumswohnungen, Restaurants, Sportanlagen, ein Fünfsternehotel und ein Spionagemuseum entstehen. Wohl auch wegen der Proteste des umweltbewegten Aktionsbündnisses Teufelsberg, das bis heute vor allem für die Renaturierung des Berges kämpft, wurden die Bauarbeiten eingestellt und legte man eine bescheidenere Neuplanung vor, die allerdings ebenfalls nicht realisiert wurde.
Die Investorengemeinschaft ging fast pleite, holte einen Neuen ins Boot. 2004 entschied der Senat, die Baugenehmigung nicht zu verlängern. Man erklärte den Teufelsberg zu einem Teil des Grunewalds – und laut Dauerwaldvertrag darf in Berlin kein Wald bebaut werden. 2011 pachtete der Filmemacher Shalmon Abraham das Areal, lud Künstler und Kreative ein zu kommen. Einer, der kam, war Wolfram Liebchen.
„Widerrechtlich in Besitz genommen“
Ein anderer war Sebastian Wendt. Gerade führt er vier, fünf TouristInnen aus dem Ruhrgebiet und England übers Gelände. Fünf Jahre hat der 1976 geborene Berliner unentgeltlich hier gearbeitet, Wege freigeräumt, Müll entsorgt, Stromkabel verlegt. Mit Abraham verstand er sich gut, genauso wie sein Kollege Wolfram Liebchen. Anfangs kamen beide auch noch mit Marvin Schütte aus. Schütte ist seit Abrahams Kündigung 2015 der neue Pächter des Areals, er ist auch der Sohn von Hanfried Schütte, dem Geschäftsführer der Investorengruppe, der irgendwann zu Beginn der nuller Jahre hinzukam, dem der Teufelsberg zur Hälfte gehört.
Am Anfang lief alles noch reibungslos, berichten die Künstler, aber irgendwann habe Marvin Schütte aufgehört, mit ihnen zu sprechen. Und dann kamen die Kündigungen.
Schütte bestreitet dies am Telefon. „Ich bin nur der Verwalter“, fügt er an und bittet um einen Anruf bei seinen Vater. Doch auch der Anruf bei Hanfried Schütte bringt wenig. Er sagt, Wolfram Liebchen sei kein Künstler. Er habe die Kantine „widerrechtlich in Besitz genommen“. Es scheint, als habe weder Vater noch Sohn Interesse am bewährten Berliner Modell der Zwischennutzung, das nicht nur den Künstlern und Kreativen helfen kann, sondern auch den Eigentümern und der Stadt. Zwischennutzung bedeutet in vielen Fällen Schutz vor Vandalismus, Schutz vor weiterem Verfall.
Wolfram Liebchen und Sebastian Wendt wissen das, doch während sich der eine ausgebeutet fühlt, nennt sich der andere nach wie vor „Dreamupdater“ auf dem Teufelsberg. Er berichtet stolz von den Projekten hier, die er mit auf den Weg gebracht hat. Anders als Liebchen weiß er aber auch, wo er hinsoll: Er zieht gerade nach Freiburg, in ein selbstverwaltetes Wohnprojekt, und hat dort auch Arbeit gefunden.
„Dieser Ort passt gut zu meiner Arbeit“
Wie Sebastian Wendt hat auch Sebastian Müllauer schon übers Weggehen nachgedacht. Zum Beispiel darüber, sich einem der vielen Gemeinschaftsprojekte im Berliner Umland anzuschließen – auch wenn er bislang noch gar keinen Ärger hatte mit den Schüttes. Er steht in der Küche einer ehemals vermüllten und heruntergekommenen Halle, die er ohne jeden Vertrag seit fünf Jahren in ein Labor für nachhaltige Technologien umbaut. Während er gerade einen Kaffee brüht, sagt er: „Dieser Ort passt gut zu meiner Arbeit, und meine Arbeit tut diesem Ort gut.“
Müllauer hat in der Halle eine Aufbereitungsanlage für Regenwasser gebaut, eine Photovoltaikanlage für den eigenen Strom. Küchenmodule, ein mobiles Büro im Lieferwagen, Werkbänke auf Rädern, auf denen er gerade eine Segelbootdrohne verfeinert, die nach Havarien Öl aus dem Meer saugen kann. Vieles in seinem Labor ist so mobil wie seine Reisestation Taku, die seine Abschlussarbeit war für das Diplom als Industriedesigner: eine Art Schweizer Taschenmesser auf Rädern inklusive Strom, Küche, Pumpe. Müllauer hat mit Taku über ein Jahr utopische Gemeinschaften wie etwa Auroville in Südindien bereist. All das könnte er mitnehmen, wenn er müsste. Das Problem ist nur, dass er das gar nicht möchte.
Es ist Nachmittag geworden auf dem Teufelsberg, und auch in dieser Hinsicht ähnelt er einem Zauberberg, auf dem die Zeit deutlich schneller vergeht als in der Welt da unten.
Wolfram Liebchen führt vorbei an den wild wuchernden Wandgemälden, deren Urheber nicht einmal er alle kennt, vorbei an einem schönen Garten, der bald aus dem Winterschlaf erwachen wird.
Einfach weitermachen wie bisher
Dass es hier nicht so bleiben kann, wie es ist: das mag vielleicht so sein. Dass Eigentümer im Jahr 2018 noch immer Künstler und Kreative bewahren und investieren lassen, um sie nach getaner Arbeit in die Wüste zu schicken: das ist das andere.
Wie soll es weitergehen auf dem Teufelsberg?
Ginge es nach den Künstlern, würden sie einfach weitermachen wie bisher. Mit festen Mietverträgen vielleicht, auch gern mit Wasser und Strom. Der Berg könnte noch einige Verrückte mehr vertragen, solche wie sie, auch ein paar Investitionen, aber es dürfte gern so lebendig und so bunt bleiben, wie es war.
Wenn es nach den Investoren ginge, würden sie heute gern einen Standort für Kunst schaffen, vielleicht auch ein Ausflugscafé und ein Spionagemuseum, wie es in den Medien immer wieder hieß. Hanfried Schütte sagt derzeit nur, er habe zwar ein Konzept für die zukünftige Nutzung, könne dieses aber nicht an die Presse geben.
Und was will Berlin?
Ein anderer der heute vier Gesellschafter der Investorengemeinschaft heißt Hartmut Gruhl und ist Architekt in Köln. Angeblich hat er um 2010 Künstler aus dem Tacheles eingeladen, auf den Teufelsberg zu arbeiten. Einer seiner Sprecher, der namentlich nicht genannt werden will, bestätigt, dass die Gesellschafter zerstritten seien und deshalb keine gemeinsame Strategie über die Zukunft des Berges existiere. „Wir beklagen auch die uns nur unzureichend zur Verfügung stehenden Information seitens des Geschäftsführers Hanfried Schütte“, so der Sprecher. Er habe gehört, dass sowohl das Finanzamt als auch die Staatsanwaltschaft gegen Schütte ermittelt, wisse aber darüber nichts Näheres.
Und was will die Stadt Berlin? Im Koalitionsvertrag der Regierung steht, man strebe an, „den Teufelsberg in Zusammenarbeit mit den Berliner Forsten, freien Trägern des Naturschutzes und der kulturellen Arbeit als Erinnerungs- und Naturort öffentlich zugänglich zu machen“. Dass dies gemeinsam mit Eigentümern zu verwirklichen ist, die seit dem Erwerb vor 23 Jahren wenig Interesse an dem Berg gezeigt haben und über keine gemeinsame Strategie verfügen, ist zu bezweifeln. Aus den Grundbuchauszügen geht hervor, dass eine Grundschuld von bis zu 35 Millionen Euro besteht. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Freiflächen am Checkpoint Charlie seit der Pleite eines Investors mit 90 Millionen Euro Schulden belastet sind und der Senat deshalb nicht kaufen wird.
„Bevor der Senat in Aktion treten kann, müsste sich nun erst einmal die unterste Denkmalbehörde in Gang setzen und sich in sich steigernden Eskalationsstufen mit den Eigentümern befassen“, sagt Daniel Bartsch, Pressesprecher des Senats für Kultur. Oliver Schruoffenegger (Grüne), zuständiger Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Charlottenburg-Wilmersdorf, sagt, das Land Berlin müsse sich endlich einig werden, was es macht. Und der Direktor des Landesdenkmalamtes, Christoph Rauhut, sagt, der Denkmalschutz setze Eigentümer von Denkmalen nicht unter Druck.
Kurz vor Redaktionsschluss ein letzter Anruf von Wolfram Liebchen. Ihm sei zu Ohren gekommen, eine Künstlerin habe eine GmbH gegründet mit dem Geschäftsziel, den Teufelsberg zu kaufen. „Aber an diesem Berg sind schon viele gescheitert“, lacht er. Die Künstlerin gibt es wirklich, sie heißt Claudia Fauth und führt ein Antiquitätengeschäft am Kurfürstendamm. Bis Redaktionsschluss hat sie nicht zurückgerufen.
Der Text ist Teil eines Schwerpunktes in der Printausgabe der taz.berlin vom 9./10. März 2019.
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