piwik no script img

Botschaft trennt Eheleute

Ein in Italien lebender Geflüchteter versucht, ein Visum zu erhalten, um zu seiner Ehefrau nach Bremen ziehen zu dürfen. Obwohl er Analphabet ist, verlangt die Deutsche Botschaft aber erst einen Sprachnachweis von ihm

Mächtig und abweisend: die Deutsche Botschaft in Rom Foto: Rainer Unkel/imago

Von Simone Schnase

Sylvia Steiner* hat Angst, dass ihr Ehemann sich etwas antun könnte. Denn Abiel Dibaba* leidet unter schweren Depressionen – und statt bei ihr in Bremen lebt er in einer Obdachlosenunterkunft in Rom. Die deutsche Botschaft in der italienischen Hauptstadt verweigert ihm das Visum zum Ehegattennachzug. Der Grund: Er müsse erst den Nachweis über „einfache deutsche Sprachkenntnisse“ erbringen. Bloß: Dibaba ist nicht nur schwer krank, sondern auch Analphabet.

Im Dezember haben Steiner und der aus Äthiopien nach Italien geflohene Dibaba in Dänemark geheiratet. „Wir wollten eigentlich in Bremen heiraten“, erzählt Steiner. Aber da die in Deutschland zwingend notwendige Geburtsurkunde ihres Mannes noch nicht vorgelegen habe, sei die Eheschließung im liberaleren Dänemark erfolgt. Das Standesamt Bremen bescheinigte Mitte Dezember die Gültigkeit der Ehe.

„Wir sollten dann dem Ausländeramt in Bremen die Papiere vorlegen“, berichtet Steiner. Am Empfang der Behörde habe man aber bloß den Flüchtlingsreisepass ihres Mannes kopiert und dann sofort seine Ausreise verlangt mit der Begründung, ihr Mann halte sich illegal in Bremen auf. Dabei, sagt sie, habe der sich ganz legal im Rahmen eines 90-Tage-Visums in Deutschland aufgehalten: „Aber der Mitarbeiter holte sofort zwei Security-Kräfte. Die mitgebrachten Atteste und Dokumente wollte er nicht einmal sehen.“

Dibaba musste zurück nach Rom. Dort, sagt Steiner, habe er einen Nervenzusammenbruch erlitten: „Mein Mann ist als Soldat in Äthiopien schwer am Rücken verletzt worden. Er leidet unter Depressionen und einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Er ist pflegebedürftig, kann sich teilweise nur im Rollstuhl fortbewegen, muss extrem starke Schmerzmittel nehmen.“ In der Obdachlosenunterkunft in Rom erhalte er keinerlei psychologische Betreuung und lediglich im Notfall ärztliche Hilfe: „Die Ärzte dort sagen ihm immer wieder: Sie müssen zu Ihrer Frau!“, sagt Steiner.

Steiner besitzt in Bremen ein Haus und ist berufstätig. „Ich kann das gesamte Leben meines Mannes finanzieren – er würde hier niemandem auf der Tasche liegen“, sagt sie. Steiner weiß überdies, wo ihr Mann Hilfe bekommen kann: Sie arbeitet selbst als Sozialarbeiterin mit Geflüchteten. Hätte er nicht zurück nach Italien gemusst, hätte ihr Mann bereits im Januar bei der psychosozialen Beratungsstelle „Refugio“ in Bremen eine Traumatherapie beginnen können.

Doch nun soll Dibaba erst einmal Deutsch-Grundkenntnisse erwerben. Dies sei, teilt Eva-Maria Walter, zuständige Sachbearbeiterin bei der Deutschen Botschaft in Rom per Mail mit, „gesetzlich vorgeschrieben“. Entsprechend heißt es im „Merkblatt für die Beantragung eines Visums zum Nachzug des Ehegatten/eingetragenen Lebenspartners“ der deutschen Visa-Stelle bei der Botschaft, dass für den Antrag unter anderem ein „Nachweis über Grundkenntnisse der deutschen Sprache, Näheres hierzu entnehmen Sie bitte dem Merkblatt ‚Deutschkenntnisse beim Ehegattennachzug‘“ vorliegen müsse.

In der Tat listet dieses Merkblatt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Näheres auf – und dazu gehören auch Ausnahmen: Wenn der Antragsteller „wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage (ist), einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen“ oder wenn er „Umstände für die Unmöglichkeit des Spracherwerbs anführen (kann), die einen Härtefall begründen können“, muss er „in der Regel keine Deutschkenntnisse nachweisen“.

Diese Ausnahmen treffen auf Dibaba zu: Er ist schwer krank und er müsste selbst zum Erlangen des vorgeschriebenen A1-Zertifikats in Deutsch erst einmal Lesen und Schreiben lernen. „All das weiß die Botschaft, entsprechende Dokumente liegen dort vor“, sagt Steiner. Auf Anfrage der taz bezüglich der Ausnahmeregelungen antwortet Eva-Maria Walter: „Aus Datenschutzgründen dürfen Dritten keine Auskünfte in Visa-Verfahren erteilt werden, wir bedauern.“

Aber auch Steiner erteilte sie keine plausible Auskunft, sondern den Rat, ihren Mann in Rom doch einfach selbst zu beschulen. Schließlich erteile Steiner ja Deutschunterricht für Geflüchtete. „Ich habe eine Zulassung als Lehrkraft für Integrationskurse – aber ich gebe keine Alphabetisierungskurse und ich habe auch keine sonderpädagogische Qualifikation für Menschen mit psychischen Behinderungen“, sagt Steiner. Außerdem könne sie nicht auf unbestimmte Zeit nach Rom ziehen: „Ich würde meine Stelle verlieren und könnte mir abgesehen davon einen längeren Aufenthalt dort auch finanziell gar nicht leisten.“

Die Auslegung der Rechtsprechung zum Ehegattennachzug sei stets restriktiv, sagt Holger Dieckmann vom Flüchtlingsrat Bremen. „Für Eheleute, die keine Kinder haben, ist es danach zumutbar, auch getrennt voneinander zu leben.“ Dem ablehnenden Vorgehen der Deutschen Botschaft könne man mit einem Remonstrationsverfahren begegnen, das bedeutet: mit einer, am besten mit Hilfe eines Anwalts eingelegten Beschwerde. „Bis die bearbeitet wird, können allerdings Monate vergehen“, sagt er.

„Für Eheleute, die keine Kinder haben, ist es danach zumutbar, auch getrennt voneinander zu leben“

Holger Dieckmann, Flüchtlingsrat Bremen

Der Bremer Ausländerbehörde sind laut Amtsleiterin Bettina Scharrelmann weitestgehend die Hände gebunden. „Zuständig ist die deutsche Botschaft“, sagt sie. Zum Vorgehen des Empfangsmitarbeiters in der Ausländerbehörde gegenüber Steiner und ihrem Mann sagt sie: „Wir haben erfolglos versucht, das nachzuvollziehen. Sollte sich das wirklich so zugetragen haben, ist das aber natürlich überhaupt nicht in Ordnung.“ Gleichwohl hätte sich an der Situation aber nicht viel geändert, denn das Visum müsse ohnehin in Italien beantragt werden.

Im Rahmen des Verfahrens werde die Botschaft aber in jedem Fall noch die Einschätzung der bremischen Behörde einholen, sagt Scharrelmann: „Wenn wir die entsprechenden Unterlagen von Frau Steiner bekommen, können wir unsere Einschätzung des Falls aber auch jetzt schon abgeben – ob das zur Beschleunigung des Verfahrens beiträgt, können wir aber leider nicht sagen.“

Ein Angebot immerhin, das Sylvia Steiner dankend annimmt. Und ein weiterer Hoffnungsschimmer ist unterdessen aufgetaucht: Die Deutsche Botschaft in Rom hat überraschend eingelenkt. „Frau Walter hat nun zugegeben, dass es bei der Visumvergabe Ausnahmen gibt“, teilte Steiner am Mittwoch per Mail mit. „Sie möchte das Attest meines Mannes in deutscher Sprache nochmals haben, das den Pflegebedarf bestätigt.“

*Namen geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen