: Chicagos Schüler weiter draußen
USA Die Gewerkschaftsdelegierten lehnen ein von der Führung ausgehandeltes Abkommen ab. Der Streik der LehrerInnen in Chicago geht in die zweite Woche
AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN
Sieben Wochen vor den Präsidentschaftswahlen geht der LehrerInnenstreik in Chicago, dem drittgrößten Schuldistrikt der USA, weiter und der Wind weht schärfer: Die Delegiertenversammlung der Gewerkschaft hat am Sonntag ihre Zustimmung zu einem Abkommen zwischen Gewerkschaftsführung und dem Bürgermeister der Stadt verweigert. Sie will erst ihre Basis konsultieren. Bürgermeister Rahm Emanuel versucht seinerseits, die Streikenden gerichtlich dazu zwingen, in den Klassenraum zurückzukehren. Am Sonntagabend nannte er den Streik „illegal“.
Das gegenseitige Misstrauen zwischen LehrerInnen und Bürgermeister ist in den beinahe elfmonatigen Verhandlungen über das Abkommen immer größer geworden. Rahm Emanuel, zuvor Stabschef von Präsident Barack Obama, hat in Chicago bei den LehrerInnen seinen Ruf als „Bully“ bestätigt, der seine Projekte ohne Rücksicht auf Verluste durchboxt.
Emanuel will Leistungskontrollen in Schulen, will LehrerInnen entlassen, wenn die Resultate ihrer SchülerInnen nicht zufriedenstellend sind, und will Schulen notfalls schließen und mit komplett neuer Belegschaft wiedereröffnen. Die LehrerInnen halten dagegen, dass schlechte schulische Leistungen nicht nur von der Leistung der LehrerInnen, sondern auch stark von der sozialen und familiären Lage der Kinder abhängen. Sie argumentieren, dass bis zu 200 Schulen in Chicagos sozialen Brennpunkten eine Schließung riskieren. Aus dem Rathaus verlautet, die Zahl sei niedriger.
Während sich der ebenfalls aus Chicago stammende Obama bislang aus dem Streit zwischen seinem Vertrauten und einer der wichtigen Basisorganisation der Demokratischen Partei, den Gewerkschaften, zurückhält, hat sich Präsidentschaftskandidat Mitt Romney gegen den Streik ausgesprochen. „Wir sollten zuerst an die Kinder in diesem Land denken“, sagte Romney vergangene Woche in einem Statement.
Doch in Chicago, einer eher gewerkschaftsfreundlichen Stadt in einem gewerkschaftsfeindlichen Land, hat die Öffentlichkeit bislang Verständnis für den ersten LehrerInnenstreik seit 25 Jahren gezeigt.
Allerdings drängt die Gewerkschaftsspitze darauf, den Streik so schnell wie möglich zu beenden. Am Freitag unterzeichnete sie ein Abkommen mit Emanuel. Das Abkommen sei „gut“, sagte Gewerkschaftschefin Karen Lewis anschließend. Doch am Sonntag musste Lewis einen Rückzieher machen. Die Delegierten verweigerten ihre Zustimmung wegen Emanuels Drohung mit Schulschließungen.
Nach dem Ende des jüdischen Neujahrsfests Rosch ha-Schana müssen nun am Dienstag die 25.000 gewerkschaftlich organisierten LehrerInnen entscheiden, ob der Streik weitergeht.
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