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Tonloses Gewerk und schillernde Sets

Beim Letra/Tone-Festival verfertigen die Beteiligten am kommenden Wochenende das, was sie am besten können: Musik und Grafik. Titelgebend ist die englische Firma Letraset, die ab 1961 Anreibebuchstaben und Symbole für Grafik und Illustration herstellte

Von Franziska Buhre

Das Video ist nicht gerade ein Hit: seit Oktober 2018 erklärt die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte die richtige Anmeldung von Musikwerken in einem Trickfilmchen. Kaum Noten sind darin zu sehen, als wären diese für die GEMA eine Nebensache. Ganz so einfach ist es nicht, denn ein verschriftliches Werk der so genannten E-Musik wird mit mehr Tantiemen bedacht als eine Bedroom Production. Den Zwang zur Berufsformel Partitur gleich Werk mit gebildetem Urheber, haben Komponist_innen im 20. Jahrhundert abgelegt. Auch, weil die herkömmliche Notenschrift so armselig begrenzt ist bei der Aufzeichnung, etwa der Mazda Marimba aus Glühlampen von Harry Partch oder modularen Synthesizern, und kläglich versagt bei der Verschriftlichung außereuropäischer Tonsysteme.

Andererseits mag in der Vergangenheit schon mancher Zeitgenosse der Neuen Musik mit wilden Pinseleien seine Auftraggeber darüber hinweg geblendet haben, dass von der Musikpraxis wenig Kenntnis vorhanden und das fürstliche Kompositionshonorar quasi eine Wertanlage in Kunst sei.

Beim Letra/Tone-Festival muss sich niemand auf fachfremdem Terrain beweisen, denn alle Beteiligten verfertigen das, was sie am besten können – Musik und Grafik. Titelgebend ist die englische Firma Letraset, die ab 1961 Letrasets herstellte, Anreibebuchstaben und Symbole für Grafikdesigner*innen und Illustrator*innen. Der Klangkünstler und Musikkurator Hanno Leichtmann hat ein unfehlbares Gespür für Festivals und Konzertprogramme, die eigene und musikalisch hochwertige Akzente im Berliner Musikleben setzen. 2017 veranstaltete er das Festival „Syn/cussion“, bei dem sich Schlagzeuger_innen und elektronische Musiker_innen begegneten.

Eine solche Begegnung läutet nun „Letra/Tone“ ein. Der Schlagzeuger Andrea Belfi interpretiert gemeinsam mit der Klangkünstlerin und elektronischen Musikerin Jessica Ekomane eine Grafik von Anke Fesel. Belfi hat Erfahrung mit visuellen Auslösern, 2017 vertonte er Fotografien urbaner Wohn­utopien aus dem Italien der 70er Jahre von Matthias Heiderich. „Viele der Grafiker_in­nen der jetzigen Festivalausgabe haben schon für Musiker_innen gear­beitet.

Das war aber keine Bedingung, erzählt Leichtmann im Gespräch. „2018 war ich in Los Angeles auf einer Grafikmesse, da bin ich auf Scott Massey gestossen. Ich recherchiere aber auch laufend nach guten Platten- und Buchcovern.“ Das Duo Demdike Stare aus Manchester wird Masseys facettenreiche schwarz-weiß-Grafik mit seriellem Industrial zum Tanzen bringen.

Leichtmann selbst hat früher schon mit Letrasets gearbeitet: „In einem Ramschladen in Neukölln hatte ich etwa 50 Bögen von Letraset/Letratones gefunden. Seitdem habe ich immer wieder etwas damit gemacht, zum Beispiel die Artwork für mein Label Picture/Disk. Das sind 23 Singles mit je 23 Cover-Unikaten. Für den Schriftzug für die Platte mit Sakamoto/Alva Noto hatte ich mit einem Vintage Letraset Font gearbeitet. Danach wollte ich noch mehr mit dem Material machen.

Die Idee ist, grafische Notation, so wie wir sie aus der Neuen Musik kennen, in andere Musikbereiche zu transportieren. Nur, dass die Grafiken eben nicht von Komponist_innen gemacht werden, sondern von Grafiker_innen. Das Festival bewegt sich zwischen elektronischer, elektroakustischer und Neuer Musik.“ Schon vor den Konzerten kann mensch die Klanginstallation namens „Offset Rubdown“ von Leichtmann und dem experimentellen Filmemacher Toby Cornish erleben. „Nach dem letzten Festival hat Cornish mich auf die Filme von Lis Rhodes angesprochen.

Sie hat in den 70er Jahren eine Videoarbeit gemacht, indem sie Letrasets auf den Filmstreifen auftrug, die dann vom Projektor als Film und auch als Musik (Tonspur) interpretiert werden. Mit diesem Prinzip arbeiten wir. Cornish reibt Letrasets auf Filmstreifen, ich arbeite mit den Sounds wie Knacksen und Fiepen, die entstehen, wenn die Streifen durch den Projektor laufen. Es kommen aber auch etwa sechs Tracks aus meiner „Offset“ Arbeit vor.

Entstanden ist ein etwa 16-minütiger Loop, der über Vierkanaltechnik wiedergegeben wird.“ Cornish ist Mitgründer des Studios für Grafik, Film und Architektur, Jutojo, ebenso wie Julie Gayard. Ihre grafische Gestaltung hat Leichtmann dem Duo Jimi Tenor & Nefertyti zugeordnet, verspielte Muster aus Zeichen und Buchstaben aus originalen Letrasets auf knallbunten Blättern, die mensch in der Ausstellung beim Festival bewundern kann. „Ich entscheide, welche Musiker_innen welche Grafik bekommen. Den Grafiker_innen habe ich gesagt: Macht euch erst einmal keine Gedanken um die Musik, sondern vorrangig um die Grafik.

Und die einzige Vorgabe für die Musiker_innen ist ein Set von etwa 35 Minuten, welches eine Interpretation der Grafik ist und von ihrem „normalen Set“ abweicht.“ Aber können Konzertbesucher_innen überhaupt ausmachen, dass jemand anders als die Musiker_innen selbst die Grundlage für ihre Aufführungen geschaffen hat? Davon ist Leichtmann überzeugt: „Die Grafiker_innen komponieren und die Musiker_innen können die Ergebnisse interpretieren, wie sie wollen. Grafisch macht es einen großen Unterschied, ob die Notation von Komponist_innen stammt oder nicht. Mit Blick auf die sehr unterschiedlichen Formate dieser Ausgabe würde ich sagen, das würden Komponist_innen nicht so hinkriegen.“

Jenseits der kategorialen Trennung der Gewerke gibt das Festival einen An­stoß zur genüsslichen Reflexion von Urheberschaft.

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