die dritte meinung: Höchste Zeit, die Akten des Vatikans zum Holocaust zu öffnen, sagt Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur des evangelischen Monatsmagazins „zeitzeichen“.
Die Entscheidung von Papst Franziskus, die bisher verschlossenen Akten des Vatikans zu den Weltkriegsjahren seines entfernten Vorgängers Pius XII. zu öffnen, ist überfällig. Schon jetzt füllen die Publikationen zu den Fragen: „Was wusste Pius XII. vom Holocaust? Warum hat er geschwiegen? Hat er überhaupt geschwiegen?“, ganze Bibliotheken – und das, dummerweise, auf meist spärlicher Aktengrundlage.
Es ist höchste Zeit, dass nun Historikerinnen und Historiker die Originalakten einsehen können, um – hoffentlich – zu einem fairen Urteil über diesen umstrittensten Papst des 20. Jahrhunderts zu kommen.
Da die Akten erst in einem Jahr den Fachleuten vorliegen werden, dürften schnelle Urteile, seriöse Arbeit vorausgesetzt, eher nicht zu erwarten sein. Und möglich ist, dass die Urteile auch nach Akteneinsicht nicht sehr viel anders aussehen werden als heute.
Denn klar ist schon jetzt: Der Vatikan wusste, nicht zuletzt dank seines Netzes an Geistlichen überall in Europa und dank bester Kontakte in die Politik, früh Bescheid über das Ausmaß der Judenverfolgung und -ermordung. Ebenso klar ist, dass es einen deutlichen öffentlichen Protest von Pius XII. gegen den Völkermord am, biblisch gesagt, alten Gottesvolk nicht gab.
Es gab von Pius XII. lediglich ein paar verklausulierte öffentliche Äußerungen, die mit großem Wohlwollen als diplomatischer Protest gegen den Genozid gewertet werden können.
Insofern wird es auch nach Akteneinsicht schwer sein, zu einem anderen Urteil zu kommen als zu dem des Schriftstellers Rolf Hochhuth in seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“: Der Papst schwieg. Er hat, als die Geschichte an seiner Tür klopfte, versagt. Das „mea culpa“ der Kirche sieht auch den Menschen als Sünder, der „Gutes unterlassen“ hat.
Die Akteneinsicht wird allerdings im besten Falle die Gründe für dieses Versagen besser erklären können. Gut möglich, dass wir lernen werden: Das Schweigen des Papstes war eines aus besten Motiven. Wird uns diese Antwort befriedigen?
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