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Flüchtlingspolitik in ItalienMatteo Salvini darf sich freuen

Aktivisten der Fünf-Sterne-Bewegung stimmen bei einem Online-Votum gegen die Aufhebung der Immunität des Innenministers.

Bei ihm drücken die 5-Sterne-Mitglieder beide Augen zu: Italiens Innenminister Matteo Salvini Foto: ap

Rom taz | Der Prozess gegen Italiens Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini wegen Freiheitsberaubung wird nicht stattfinden. Am Montag sprachen sich die Aktivisten der in Rom gemeinsam mit Salvinis Lega regierenden Fünf Sterne in einem Online-Votum mit knapp 60 Prozent gegen die Aufhebung der Immunität des Ministers aus.

Eigentlich hatte das Ministertribunal der sizilianischen Stadt Catania Salvini wegen schwerer Freiheitsberaubung anklagen wollen. Der Chef der fremdenfeindlichen Lega habe sich, so die Justiz, dieses Verbrechens schuldig gemacht, da er im vergangenen August 177 Flüchtlingen tagelang den Landgang verweigerte.

Kaum hatte der Chef der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega am1. Juni 2018 sein Regierungsamt übernommen, hatte er die Politik der „geschlossenen Häfen“ verfügt, vor allem gegen die Rettungsschiffe der NGOs. Im jetzt vorliegenden Fall allerdings hatte sein Bannstrahl gar mit der „Diciotti“ ein Schiff der italienischen Küstenwache getroffen.

Auf Salvinis Weisung durfte die Diciotti, nachdem sie die Flüchtlinge an Bord genommen hatte, zunächst fünf Tage lang keinen italienischen Hafen anlaufen. Schließlich gab es dann die Erlaubnis zur Einfahrt in den Hafen von Catania – nicht aber zum Landgang. Weitere fünf Tage mussten die Geretteten auf dem Schiff ausharren.

Enormes Dilemma

Für das Ministertribunal von Catania war dies ein klarer Fall von Freiheitsberaubung, für das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) dagegen ein enormes Dilemma. In der Sache hatte es Salvinis Anti-Flüchtlings-Kurs brav mitgetragen. Dennoch hatte es seit Gründung der Bewegung immer die Position vertreten, Politiker dürften sich der Justiz nicht per Berufung auf ihre Immunität entziehen.

So hatte denn auch der M5S-Chef Luigi Di Maio, auch er Vizepremier in der Regierung, zunächst geäußert, natürlich müsse Salvini sich dem Verfahren stellen. Das war anscheinend kein Problem, da der Angeschuldigte selbst im vergangenen August immer wieder vollmundig erklärt hatte, dazu bereit zu sein.

Doch dann überlegte es sich der Innenminister anders und verlangte, der Senat – das Haus des Parlaments, dem er angehört – solle die Aufhebung der Immunität verweigern, da er in öffentlichem Interesse gehandelt habe. Eigentlich war es kaum denkbar, dass die Fünf Sterne zustimmen würden: Auch im Falle eigener Parlamentarier hatten sie ausnahmslos für die Aufhebung der Immunität gestimmt, wenn diese von der Justiz belangt wurden.

Doch ein Votum gegen Salvini hätte schnell zur Koalitionsfrage werden können. Daraufhin verschanzte sich Di Maio hinter der Tatsache, dass es diesmal nicht um die Abgeordneten-, sondern um die Ministerimmunität ging. Die Frage, die zunächst der Immunitätsausschuss, dann das Plenum des Senats mit ihrem Votum zu beantworten haben, lautet, ob Salvini in einem „überwiegenden nationalen Interesse“ gehandelt habe, als er die Flüchtlinge auf dem Schiff festhalten ließ.

Druck aufbauen

Die M5S-Spitze sieht dieses nationale Interesse gegeben. Nur durch die Verweigerung des Landgangs sei es Italien möglich gewesen, in Europa Druck zu einer Verteilung der Flüchtlinge auch auf andere Länder aufzubauen, heißt es.

Eben diese Position wollte sich die Spitze der Bewegung jetzt per Online-Votum der Basis absegnen lassen, auch wenn diverse Abgeordnete und Senatoren ebenso wie die Fünf-Sterne-Bürgermeisterin Roms, Virginia Raggi, weiter die These vertraten, Politiker hätten sich nicht „gegen die Prozesse, sondern in den Prozessen“ zu verteidigen. Mehrere Lega-Politiker ließen unterdessen drohend wissen, hier erfolge nicht nur ein Votum über Salvinis Immunität, sondern auch „über die Regierung“.

50.000 der auf der M5S-Plattform „Rousseau“ registrierten Aktivisten beteiligten sich am Montag an der Abstimmung und gaben Di Maio grünes Licht. Freuen aber darf sich alleine Salvini. Er verkündet auf allen TV-Kanälen treuherzig, er habe seinerzeit die Flüchtlinge festhalten lassen, um „das Vaterland zu verteidigen“.

Schon am 10. Februar hatte seine migrantenfeindliche Linie der Lega in den Regionalwahlen der Abruzzen 28 Prozent der Stimmen beschert, während die Fünf Sterne auf 20 Prozent abstürzten. Und bei den Regionalwahlen am kommenden Sonntag in den Abruzzen steht ein neuer Triumph der Lega ins Haus.

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11 Kommentare

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  • Manchmal staunt man nur über die Widersprüchlichkeiten, die Salvini pflegt. Er will auf eine bessere Verteilung der Flüchtlinge in der EU hinarbeiten. Ein legitimes Anliegen. Warum er dazu mit Orban gemeinsame Sache macht, der von genau dieser Verteilung nichts wissen will, ist für mich unverständlich.



    Aber vielleicht geht es ihnen ja gar nicht um die Flüchtlinge, sondern einzig darum Europa zu zerstören indem man es renationalisiert. Das Anlass wäre in diesem Fall eher nachrangig, so lange er nur dazu dienen kann das eigene Volk als Opfer, und die Völker der anderen als Täter darstellen zu können.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Noch ein Gedanke, etwas um die Ecke; weil der Autor des Beitrages weiter unten in einem Kommentar schreibt:

    ... "noch sind die Fünf Sterne gut damit beraten, ihm per Immunität juristisch den Rücken frei zu halten."

    Vielleicht muß man dazu wirklich um die Ecke denken, sind doch die fünf Sterne seit den Wahlen etwas abgeschmiert, während die Lega und wohl primär wegen der Person Salvini zu immer neuen Höhenflügen ansetzt.

    Es ist somit beinahe Selbstschutz, wenn die M5S dem Salvini den Rücken freihalten: auf das diese Regierung noch lange halte!

    Wenn Salvini angeklagt wird, so folgt dem mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kampagne der Lega, welche diese und bis hin zum Delinquenten aktuell nur gewinnen kann; Neuwahlen eingeschlossen.

    • Michael Braun , Autor des Artikels, Auslandskorrespondent Italien
      @90857 (Profil gelöscht):

      Allerdings ist (war) die Alternative für die Fünf Sterne ein wenig die zwischen Pest und Cholera. Jetzt den Bruch der Koalition riskieren? Oder vor Salvini einknicken? Damit hält momentan zwar die Regierung, der Niedergang der Fünf Sterne jedoch wird nicht gestoppt (letzte Meinungsumfrage: 22% statt der bei den Parlamentswahlen 2018 erreichten fast 33%). Und, schlimmer noch, das M5S hat jetzt Verrat an einem seiner zentralsten Anliegen begangen...

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Keine Ahnung ... warum ich Artikel wie diesen immer mit einer gewissen Distanz lese.

    Bin oft in Italien, in der Provinz, bei eher einfachen Menschen. Des Italienischen leidlich mächtig - und morgen besucht mich ein italienischer Freund für einige Tage. Wir werden die große Politik mit Sicherheit sehr intensiv und manchmal auch kontrovers diskutieren.

    Was die Lega betrifft (das diesbezügliche Wording/Framing spare ich mir hier), so hat sie in dem mir nahen italienischen Umfeld eher wenig Sympathien; die fünf Sterne schon eher.

    Aber eines wird in fast allen Gesprächen dort deutlich. Die Linie von Salvini, die "guten" Europäer insgesamt und insbesondere Deutschland in die Verantwortung für die geretteten Flüchtlinge zu nehmen, sie wird beinahe einhellig unterstützt.

    Keine Ahnung, ob der hier als taz-Autor so genannte "Auslandskorrespondent Italien" vorort ist, italienisch spricht; und in welchem Umfeld er eben dort Kontakte pflegt.



    Nur, den bösen Salvini kritisieren, die guten Europäer und eben Deutschland gnädig außen vor zu lassen, das ist selbst sprachgeregelt zu einfach, wird auch und gerade bei Grünen, den Linken und Teilen der SPD nebst ihrer Medien dennoch genau so zelebriert.

    • Michael Braun , Autor des Artikels, Auslandskorrespondent Italien
      @90857 (Profil gelöscht):

      Lieber Ebertus2,



      wenn Sie meine - alles andere als begeisterte - Sicht der Rolle Europas näher kennenlernen wollen, darf ich Sie z.B. auf diesen Text verweisen:



      www.taz.de/!5517913/

      Sie haben völlig recht: So gut wie alle Italiener teilen die Auffassung, Italien sei von Europa "allein gelassen" worden. Und Salvini hat die Abschottungspolitik nicht erfunden. Das hat vor ihm Renzi gemacht (siehe meinen Artikel), und die EU ist eigentlich ganz zufrieden damit. So stehen die Dinge - doch wird darüber weder Salvinis Politik besser noch sind die Fünf Sterne gut damit beraten, ihm per Immunität juristisch den Rücken frei zu halten.

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @Michael Braun:

        Danke für die Antwort lieber Autor des Beitrages.

        Dann ist die hier von mir überbrachte Meinung der Menschen (aus der Provinz Cuneo) doch ein wenig repräsentativ. Auch wenn Sie es "Erpressung" nennen, ich eher das Aufzeigen von extremer, anhaltender Bigotterie. Weil eben dieses Schauspiel

        "Zünd des Nachbarn Haus an, nicht meines"

        sich bei jedem mit Geretteten ankommenden Schiff wiederholt; auch in Malta, mttlerweile auch (wieder) in Spanien.

        Btw. Cuneo, wo die Deutschen übel hausten, "uns" auf beinahe jeder Bergwanderung die entsprechenden Markierungen und Gedenksteine begegnen. Bin Anfang März wieder unten und ansonsten begleiten Sie uns:

        privatausgabe.net/node/974

    • @90857 (Profil gelöscht):

      Was Sie dem Autor vorwerfen tun Sie selbst: Rumzumoppern ohne sich sachkundig zu machen. Den Hintergrund des Autors finden Sie per Klick auf dessen Profil: www.taz.de/Michael-Braun/!a155/

      Auch Deutschland hat viele Flüchtlinge aufgenommen, wir erinnern uns. Rechtsextreme stänkern deshalb auch hier und profitieren bei Wahlen.

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @stadtlandmensch:

        Btw. again ...

        "Auch Deutschland hat viele Flüchtlinge aufgenommen, ..."

        Soll das jetzt ein Ranking werden?

        • 8G
          83379 (Profil gelöscht)
          @90857 (Profil gelöscht):

          Italien nimmt im Verhältnis zur Bevölkerung und Wirtschaftskraft weniger Flüchtlinge als Deutschland auf.

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @stadtlandmensch:

        Danke !

        "Fridrich-Ebert-Stiftung", das ist schon ein Wort; und beantwortet weitgehend meine Frage nach dem Umfeld in dem der Autor seine Kontakte pflegt; deren eher selektive, Sicht hier darbietet.

        Ok, meine ist natürlich ebenfalls nicht repräsentativ.

  • Bella Italia.



    Am Ende zeigt sich das die Fünf Sterne auch nur ein verlogener Haufen ist.