liebeserklärung
: Der pensionierte Professor

So flach hierarchisiert sich die moderne Gesellschaft auch wähnen mag: Spricht erst der Herr Professor, stehen weiterhin alle treudeutsch stramm – und glauben jeden Unsinn

Claus Kleber vom ZDF nannte ihn „Professor Köhler“, als ob der Titel der Vorname sei. Und als die Thesen des pensionierten Lungenarztes Dieter Köhler durch Recherchen der taz in sich zusammenfielen wie eine Lunge nach einem Lungenkollaps, da kam auch diese Zeitung nicht ohne den Titel aus.

Die Botschaft: Irrt sich ein leibhaftiger Professor, dann ist die Überraschung besonders groß. Wäre Köhler ein profaner wissenschaftlicher Mitarbeiter, hätte sich niemand um seine Vergleiche von Zigarettenrauch und Autoabgasen geschert; die Thesen wären wohl gar nicht in die Welt gekommen: Mittelbau-Akademiker sind näher dran am Forschungsstand als ein 70-jähriger Rentner – Pardon! – ein pensionierter Professor.

Professoren, Mediziner zumal, genießen in Deutschland auch im Ruhestand einen Halbgottstatus. Professoren dürfen ihren Titel in der Regel lebenslang tragen. Niemand kann sie daran hindern, sich weiter wichtig zu machen, und niemand traut sich zu sagen: Deine Berufszeit ist abgelaufen, mach Studiosus-Reisen und kümmere dich um deine Enkel!

Es geht nicht um Häme. Wir sollten dem Typus des deutschen pensionierten Professors dankbar sein. Er hält uns den Spiegel vor, wie autoritätsfixiert diese Gesellschaft noch ist. So lange her sind die Zeiten nicht, als sich die Professorengattin an der Fleischtheke mit „Frau Professor“ anreden ließ. Jedes Unternehmen, das sich für modern hält, redet von den angeblich flachen Hierarchien. Aber das wird zu oft behauptet, als dass es wahr sein könnte. Wenn ein Professor um die Ecke biegt, stehen alle stramm. Wer „Professor“ googelt, bekommt den Zusatz „Anrede“ vorgeschlagen. Wenn ein Deutscher in den USA studiert, ist er ganz aus dem Häuschen, weil sich die ProfessorIn jovial Jeff oder Mary nennen lässt. Zurück in Deutschland, wird wieder der akademische Diener gemacht.

Der Neoliberalismus hat die alten Berufstitel geschleift: Der Schaffner heißt heute Zugbegleiter, der Paketbote, früher stolzer Beamter bei der Staatspost, ist heute Zustellkraft bei irgendeinem Subunternehmen. Der (pensionierte) Professor hingegen hat seine Privilegien behalten können. Die deutsche Gesellschaft braucht ihn, weil er ihr zeigt, wie sie wirklich tickt. Gunnar Hinck