Roman „Nana“ als Performance in Bremen: Sexyness fürs Oberstübchen
Das Pariser Theater MC93 und das Theater Bremen übersetzen Émile Zolas Roman „Nana“. Heraus kommt ein Abend voller getanzter Gedankenschnipsel.
Sex sells. Das wusste schon Nana. Im wenig privilegierten Pariser Viertel Château Rouge hat sie Kindheit und frühe Jugend bei einem Alkoholikervater verbracht, ist männliche Gewalt gewohnt und will daher unbedingt raus, hinauf ins Licht der Aristokratie. Hat aber außer „Haar, Teint und Beinen“ keine Vorzüge, die sich vermarkten ließen. So definierte der Naturalist Émile Zola den Startpunkt des gesellschaftlichen Aufstiegs im Paris des Zweiten Kaiserreichs. Und zeigt in seinem Roman „Nana“, wie es zu vermeiden ist, ein Leben lang die Opferrolle der Verführten zu spielen – um verführerische Täterin zu werden. Also als Lustobjekt die Macht über Männerherzen schamlos als Mittel zum Zweck der eigenen Karriere zu nutzen.
Nana, die Dirne aus der Gosse, steigt zur Edelprostituierten auf. Was dazu anno 2019 zu sagen ist, eruierten im Theater MC93 des ebenfalls prekären Pariser Stadtteils Seine-Saint-Denis neun Tänzer/Sänger/Schauspieler der transnationalen Compagnie La Fleur mit einem DJ und drei Bremer Sprechtheatergästen in einem Doppelpass-Projekt der Bundeskulturstiftung.
Nach der Uraufführung an der Seine ist „Nana ou est-ce que tu connais le bara?“ nun an der Weser als Beweis zu erleben: So geht literarischer Salon heute. Alle Beteiligten haben das Buch gelesen, lümmeln sich nun aber nicht zum Plausch bei einem Tässchen Tee im Raucherzimmer der schöngeistigen Madame eines reichen Gatten, sondern extemporieren auf der Tanzfläche ihre afroeuropäischen Einwürfe. Das ist ästhetisch nicht neu, da Bremen schon übermäßig mit Produktionen der Regisseurin Monika Gintersdorfer beglückt wurde. Aber weiterhin reizvoll. Nur locker verknüpft als Work in Progress haben die Fundstücke aus den Probenarbeiten den lässigen Charme des Improvisierten.
Unter einem Gemälde dahingegossener weiblicher Nacktheit mit explodierender Scham tänzeln die Verkörperungen des Romanpersonals herein, angepriesen von Matthieu Svetchine, dem Conférencier und Live-Übersetzer der französischen Äußerungen. „Der super sexy Soldat“ windet sich in clowneskem Freizeitschick. „Der ernste, prinzipientreue Graf“ grummelt so dahin und wird geschüttelt vom religiösen Fieber. Ein „Operettenstar“ klickerdiklackert Flamenco.
Körper als Kapital
Geradezu glamourös tritt Nanas Haushälterin auf, behauptet, alles im Griff zu haben und illustriert das mit einer Roboter-Tanzeinlage, erzählt dann aber vom frivolen Treiben im Lusttempel ihrer Chefin und lobt den professionellen Umgang mit ihrem Kapital, der sinnlichen Anmut des Körpers, dessen Zurschaustellung die Männer geradezu reflexhaft animiert, unbedingt „die Frucht zwischen ihren Beinen ausschlecken zu wollen“. Was wörtlich, aber auch als Anspielung auf eine ivorische Spezialität gemeint ist, die Schenkel eines gebratenen Hühnchens zu spreizen und „le gésier“ – wenn ich es richtig verstanden habe –, den Geflügelkaumagen also, als Superköstlichkeit herauszusaugen.
Wie es sich für einen Superstar gehört, betritt Nana als Letzte die Bühne. Ihre Hüfte rotiert, Brüste wippen und der Pöter zittert. So soll dieser Abend direkt auf den Unterkörper der Zuschauer wirken, aber auch im Oberstübchen einige Gedanken lostreten, betont Svetchine. Damit beides funktioniert, werden Statements fortan in Bewegungen übersetzt – Tanz als eine Art Ganzkörpertaubstummensprache.
Um den historischen Hintergrund des 1880 veröffentlichten Romans zu verstehen, gibt das Ensemble Lesefrüchte kund über Operettenkunst, überbordenden Luxus und Amüsiergier. Schließlich lupfen alle ihre Textilien, Baströckchenimitate sind sichtbar und eine hinreißend ironische Cancan-Nummer wird Ereignis. Szenenapplaus. Gibt es auch für die akrobatischen Soli der Darsteller.
Klischee der Sexyness
Und die Inhalte? Stichworte wie Kolonialismus, Determinismus, Positivismus, Sapphismus werden abgeklappert und mit ein, zwei Bemerkungen in Beziehung zum verhandelten Werk gesetzt. Ganz nebenbei auch Kapitelinhalte angespielt. Wobei Männer natürlich nicht so gut wegkommen. Allein Nanas Schweiß wirke auf sie wie ein Betäubungsmittel, willfährig ließen sie sich ausnehmen.
Nana wird in der Revue „Die blonde Venus“ berühmt und kann sich als Escort-Dame noch teurer verkaufen. Das nimmt Elisabeth Tambwe als Anlass zur rhetorisch gemeinten Frage, ob Frauen, die Erfolg haben wollen, die Klischees der Sexyness erfüllen müssten. Anhand ihres Beispiels wird deutlich, was sie meint. Wenn das Theater Bremen ein Shakespeare-Werk mit Kim Kardashian inszenieren würde, wäre das ein Publikumserfolg, so ihre These. Denn das Model habe wie Nana begriffen, wie allein erotische Selbstinszenierung die Türen zur Promiwelt öffnet. Plötzlich Influencerin, ohne künstlerisch irgendetwas groß zu können. Nana-Darstellerin Annick Choco bestätigt: Wenn sie ihre Hüfte kreisen lasse, seien Zuschauer stets vitaler aufmerksam als wenn sie mit dem Mund spreche.
Svetchine wirft ein, dass es auf Schwulen-Dating-Apps auch nicht anders zugehe. Festzuhalten bleibe: Sex ist Arbeit. Und bei Nana auch politische Arbeit. Denn sie wolle die Degradierten ihres Herkunftsmilieus rächen, indem sie mit promiskuitiven Eskapaden die vornehm tuende Gesellschaft zersetzt. Anderseits zitiert das Ensemble auch die Episode, in der Nana von ihrem Liebhaber geschlagen wird. Wodurch sie laut Zola noch schöner werde. Was nun gar nicht zur Glorifizierung als subversiv selbstbewusster Sexarbeiterin passt.
Sa, 23. 2., 20 Uhr, und So, 24. 2., 18.30 Uhr, Theater Bremen/Kleines Haus
Justus Ritter stellt seine Irritation in einem Monolog aus und würde das Kapitel gern überschlagen. Elisabeth Tambwe nimmt das zum Anlass, um „Nana“ zur Hymne aufs Lesbischsein zu erklären – als Flucht vor der Begierde und Gewalt der Männer. Mit Kollegin Satin lässt sich die Roman-Nana ja auch am Ende ihres Aufstiegs ein. Dass sie später elendig zugrunde geht, will das Ensemble nicht erzählen. Ruft lieber: Es lebe Nana! Die Unerschrockene!
Und hofft, dass nicht all die Hipster die Viertel gentrifizieren, aus denen Menschen wie sie und Mitglieder des Ensembles stammen. Die Performance hat zwar nicht das Debatten-Niveau eines Uni-Zola-Seminars oder Feminismus-Talks auf Arte, unterhält dank der getanzten Gedankenschnipsel aber durchaus anregend. Und Sex sells. Müsste also an der Theaterkasse funktionieren.
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