: Lust am Fremden
ISRAELISCHER POP Lange galt israelischer Pop in Israel selbst als uncool. Seit ein paar Jahren aber bildet sich eine eigenständige Musik-Szene mit Lust am Sinnlichen und der Annäherung ans Fremde. Eine interessante Auswahl präsentiert nun die „Mischpoke Invasion“
VON MARCEL MACHALOWSKI
Wenn deutsche Bildungsbürger an Musik aus Israel denken, dann haben sie meist Klezmer-Musik im Ohr: Irgendwas Folkloristisches mit einem Hauch Bitterkeit soll’s schon sein, bitteschön, Vergangenheitsbewältigung für’s Ohr eben. In Israel selbst allerdings ist Klezmer-Musik beim U 40-Publikum genauso angesagt wie hierzulande Andy Borg und sein Musikantenstadl. In den Strand-Bars von Tel Aviv hört man eher deutschen Wummer-Techno, arabischsprachigen Hip-Hop aus Jaffa oder den libanesischen Power-Pop einer Haifa Wehbe. Israelischer Pop hingegen galt bis vor einigen Jahren bei der dortigen Jugend noch als recht uncool – man bevorzugte den Import-Sound aus der weiten Welt. Gerade in den letzten zehn Jahren aber hat sich in Israel auch eine eigenständige Musik-Szene herausgebildet, die Einflüsse aus nahezu allen Ländern der Welt (und der Diaspora) aufnimmt und neu verarbeitet.
Eine sehr ansprechende Auswahl der aktuellen Musik-Szene ist nun unter anderem auf dem Hamburger Reeperbahn Festival zu hören: Dort nämlich endet die mehrwöchige Deutschland-Tour von vier Acts der „Mischpoke Invasion“, zusätzlich besteht das Hamburger Line-Up aus vier weiteren Bands/Künstlern.
Am Bekanntesten dürfte dem Hamburger Publikum dabei wohl Sharron Levy sein. Als Kandidatin der Pro 7-Show „The Voice of Germany“ war Nena ihr größter Fan, danach schaffte sie es sogar in die deutschen Top-30-Charts. Levy, in Haifa geboren, lebte zuvor in England und Österreich. Und den Brit-Pop-Einfluss merkt man ihrer Musik auch deutlich an, wenngleich sie melodiöser und rockiger ist.
Interessant ist am israelischen Pop denn auch gerade, dass er keine nationalen Eigenarten hat, stattdessen spielerisch Genres durchschreitet, von der Lust am Sinnlichen und der Annäherung an Fremdes angetrieben scheint. Typisch dafür ist auch die Jerusalemer Band Coolooloosh, die seit zehn Jahren existiert und weltweit auftritt. Die vierköpfige Boy-Combo experimentiert mit schnellen Balkan-Beats, mit gewagten Arabesken, mit langsamem Blues genauso wie mit Stakkato-Hip-Hop: Multi-Kulti mit charmantem Stil, allem Guten aufgeschlossen.
Ein paar Riffs rauher dagegen kommt die Rock’n’Roll-Combo Trademark daher. Ihr neuestes Album „Future Analogue“ wurde von Nick Sole produziert, der bereits für Oasis oder die Stereophonics tätig war. Die Band neigt zum Grunge-Posing, beweist aber, dass Rock der alten Schule noch nicht ausinterpretiert ist. Der „israelischste“ der vier Haupt-Acts ist schließlich wohl Geva Alon. Der in Israel höchst beliebte und erfolgreiche Schmuse-Rabbi aus dem ländlichen Kibbuz Ma’abaroth ist auf dem Singer/Songwriter-Ticket unterwegs, streift melancholische Wüsten-Gefilde aber genauso gern wie die mediterrane Beach-Leichtigkeit.
Die junge, wilde Avantgarde repräsentieren hingegen Electra, Omri Vitis and the Holy Band und Fellidae. Vor allem Electra, die sich selbst als „Kasbah-Rocker“ sehen, gelten in Tel Aviv als Geheimtipp. Die drei E-Gitarren-Freaks drücken in ihren ruppigen Ska-Songs ihren Unmut über soziale Ungerechtigkeit in Israel genauso aus wie ihren ungestümen Weltschmerz, nebenbei betreiben die Neo-Punks noch ein Rockabilly-Projekt: „Uns geht es um Wut und um Spaß.“
Ironische Romantik aber wird in Hamburg auch von Rotem Or geboten. Die Nachwuchs-Künstlerin mit dem Unschulds-Gesicht sieht nach Indie aus, klingt aber mehr nach Future-Trance. „This is what you all came for“ heißt einer ihrer neuesten Sehnsuchts-Songs aus dem Album „Hard Magic“. Darin haucht sie zu märchenhaften Rauschmittel-Melodien betörende Zeilen wie: „A time to kill and time to heal, the sun is shining like a promise“.
■ Bielefeld: Do, 20. 9., Forum, Meller Straße 2; Hamburg: Sa, 22. 9., im Rahmen des Reeperbahn Festivals, 20 Uhr, Kaiserkeller, Große Freiheit 36
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