: „Als hätten wir den Milzbrand im Haus“
Piccobello-ultra-saubere Küche, tiefenreine Wäsche, desinfizierte Haut: Gutgemeintes tun wir zu viel, sagt die Autorin Hanne Tügel, und blenden umso mehr die schädlichen Folgen aus. Welche Rolle spielt dabei die Werbung – und welche eine antike Göttin?
Interview Alexander Diehl
taz: Frau Tügel, haben Sie heute schon geputzt?
Hanne Tügel: Nein, heute noch nicht.
Ist das denn ein Thema für Sie – ob Sie genug putzen, zu viel oder zu wenig? Hat sich daran vielleicht etwas geändert durch die Arbeit an Ihrem Buch?
Ich bin da, glaube ich, auf der sicheren Seite … ich würde gerne mit einer griechischen Göttin antworten: Hygieia, der Namensgeberin der Hygiene. Das war ursprünglich die Göttin der Gesunderhaltung – und nicht der Picobello-ultra-Sauberkeit. Und wenn man das als Ziel im Auge behält, dann zeigt sich, wie viel doch falsch gemacht und übertrieben wird beim Putzen. Das ist aus meiner Sicht die Richtschnur, die man haben sollte: „Was ist gesund?“
Für einen selbst?
Ja, aber auch für die Welt hinter dem Ausguss.
Warum haben Sie das Buch gerade jetzt geschrieben? Besteht eine besondere Dringlichkeit, hinzuweisen auf den Zusammenhang zwischen Putzen, unserer Gesundheit und der des Planeten?
Ich glaube, im Moment kommt sehr viel zusammen. Der Müllstrudel im Meer, Diesel-Skandal und dicke Luft, die Zunahme von Allergien und Lungenerkrankungen, Kapitulation beim Plastikrecycling, Nitrat im Trinkwasser: Das sind ja Sachen, die uns recht häufig begegnen in den Schlagzeilen. Umso interessanter finde ich es, die Probleme im Zusammenhang zu sehen. Es gibt Unverpackt-Läden und Menschen, die versuchen, wirklich ohne Plastik auszukommen. Aber das ist immer noch, glaube ich, eine etwas zu enge Sichtweise.
Sie schreiben wunderbar griffig, wir verhielten uns einerseits wie Waschzwangopfer, andererseits wie Messies. Inwiefern?
Einerseits tun wir – oder viele von uns – des vermeintlich Guten viel zu viel. Kann sauber Sünde sein? Ja, es kann! Nehmen wir Waschmittel. Die sind in den vergangenen 25 Jahren chemisch sehr viel raffinierter geworden und verbrauchen für denselben Sauberkeitseffekt nur noch weniger als die halbe Menge. Da sollte man meinen: Da sinkt entsprechend der Pro-Kopf-Verbrauch. Der hat sich aber nur um zehn Prozent verringert. Na gut, kann man denken: Aber die Mittel sind ja biologisch abbaubar! Aber es bleibt nichts ohne Überreste: Man erzeugt dann eben Massen von Klärschlamm, und die kommen auf die Felder und das ist nicht nur gut für die Böden. Und dann gibt es viele Substanzen, die aus Sicht von Verbraucher- und Umweltschützern einfach überflüssig sind … Spezialwaschmittel für schwarze Jeans!
Die Diversifizierung im Putzregal führt ja zu etwas, das wir gern mit Messies in Verbindung bringen: diese vielen Behälter mit halb aufgebrauchten Mittelchen …
Wenn es nicht verbraucht wird, ist es ja noch nicht mal so arg schlimm … Und es gibt ja durchaus sanfte Reinigungsmittel. Aber das Bild im Drogeriemarkt ist ein ganz anderes: Da geht es um immer mehr und stärker und „Aktiv-Gel“ und „Anti-Rost-Formel“. Ich glaube, wir waren da schon mal weiter, das beklagen auch die Leute im Umweltbundesamt: Dass in der Schweiz und in Österreich etwa mehr Sachen mit Öko-Labeln wie dem Blauen Engel angeboten werden. Und das alles ist ja noch die gute Seite, die saubere …
… denn globale Messies sind wir ja auch noch.
Viele von uns habe eine Ex-und-Hopp-Kultur verinnerlicht. Wir sagen: Wir trennen doch Müll, zahlen für die Entsorgung – aber es bleibt immer noch viel, das sich der geordneten Abfallbeseitigung entzieht. Und dann gibt es die Macht der Masse: 1,3 Milliarden Autos weltweit; der Schiffsdiesel, wirklich der Treibstoff der Globalisierung – und sehr, sehr dreckig; die Reste all der Unkrautvernichtungsmittel, die im Boden landen, dazu die Gülle von Rindern und Schweinen. Es gibt da, glaube ich, so ein Unbehagen: Die Natur räche sich. Dass der „great pacific garbage patch“ größer ist als Deutschland und Frankreich zusammen, haben viele mitbekommen. Und eine Sensibilität ist da. Man weiß vielleicht nur noch nicht so genau, wohin damit. Wir sind nicht die Gesellschaft, die die Verantwortlichen beim Schopfe nimmt und schüttelt – nehmen Sie nur mal den Diesel-Skandal.
Zurück in den Drogeriemarkt: Die Kehrseite des Waschmittelregals, sozusagen, ist das für Körperreinigung und -pflege. Kür gab es immer: Badezusätze, Make-up, Parfüm, das gehört ja seit Jahrtausenden zu unserer Kultur. Aber es ist natürlich absurd, sich erst die Bakterien von der Haut zu schrubben, die sie eigentlich schützen, und hinterher cremt man sich ein, damit sie sich wieder ansiedeln. Da wird man sicher manchmal etwas weniger tun können, ohne dass man sich schlechter fühlt. Viele Chemikalien sind ja auch einfach nicht hinreichend untersucht auf ihre Wirkung hin – bis hin zu denen, die wirklich schlimm sind, aber trotzdem verwendet werden dürfen, Triclosan zum Beispiel. Die Werbung schafft es halt uns einzureden: Händewaschen reicht nicht, es muss Desinfektion sein.
Hanne Tügel, *1953, arbeitete 30 Jahre lang als Journalistin, u. a. bei Geo. Ihr Buch „Sind wir noch ganz sauber? Klüger mit Schmutz umgehen, gesünder leben, der Umwelt helfen“ ist bei Edel Books, Hamburg, erschienen (288 S., 17,95 Euro).
Und das ist …
… Nonsens, sagen Ärzte und Verbraucherschützer, Umweltbundesamt und Robert-Koch-Institut: Wir brauchen im Haushalt keinen Bakterienkiller und für die Hände auch nicht. Da sind viele auf dem Wissensstand des späten 19. Jahrhunderts und handeln, als grassierten in der Wohnung Milzbrand und Tuberkulose. Wir wissen heute, dass die meisten Bakterien segensreich sind, dass sie sich gegenseitig in Schach halten. Auch dass Kläranlagen nur mit Hilfe von Bakterien funktionieren, diese also beim Sauberhalten helfen: Das wissen wir – aber dieses Wissen dringt offenbar nur sehr langsam durch. Andererseits löffeln wir „probiotische“ Bakterien im Joghurt.
Was tun gegen all die Angst vor Keimen und die – möglicherweise – übersteigerte Bedeutung, die wir sauberen Badezimmerböden zuweisen?
Meine Lieblingsempfehlung: Ausschlafen! Weil: Wer viel schläft, stärkt sein Immunsystem – und das ist eine geniale Putztruppe im eigenen Leib, kostenlos und unschätzbar.
Wer länger schläft, hat auch weniger Zeit, sich um die Hygiene im Haushalt zu sorgen.
Und weniger Zeit zum Schmutzen!
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