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CTM Festival BerlinOffener denn je

Die Berliner Clubtransmediale wurde 20 Jahre alt. Früher war die CTM ein Festival von Jungs für Jungs. Heute ist sie divers.

Katharsis durch Lärm: der Drummer des US-Duos Lightning Bolt Foto: Roland Owsnitzki

Berlin taz | Wenn schon ein runder Geburtstag ist, kann man ruhig mal sagen: Danke, CTM. Für 20 Jahre Gegenwartsausleuchtung, Panels zu Abseitigem und Naheliegendem, konzeptuelle Offenheit und immer neue Klangwelten. Dank auch für die Ideen, die nicht funktioniert haben, gerade an ihnen zeigt sich der Spielwille der Veranstalter.

Dieses Jahr lautete eine solche Idee, schräge Klänge und Schlittschuhlaufen zusammenzubringen. Bitterkalt ist es in der Eishalle neben dem Berghain, die Bahn ist trotzdem aus Plastik und lädt nicht zum Gleiten ein. Entsprechend leer blieb es oft, schade um die Sounds.

Während man noch in der Schlange vor dem Berghain ausharrt, kann man Revue passieren lassen, wie anders sich solche Abende vor 17 oder 20 Jahren angefühlt haben – wohl nicht nur, weil man inzwischen älter ist. Seinerzeit hielt man die Elektronik für den Hort des Progressiven, doch oft genug blieb es dabei, dass Checker-Jungs anderen Checker-Jungs beim Knöpfchendrehen zuguckten. Doch dieser Tage ist der Körper zurück, und mit ihm die Performance.

Den interkulturellen Dialog sucht man außerdem. Für den sorgte diesmal unter anderen die Nusasonic-Initiative des Goethe-Instituts mit Gastspielen südostasiatischer Künstler. Am Mittwochabend im Berghain etwa tritt Caliph8 mit seiner Kollegin Nonplus auf, beide sind als DJs in Manila unterwegs. Leider wirkt ihr Set zäh und rumpelig, gefühlt schleppen sich nicht nur das Publikum, sondern auch die Künstler durch.

Ein welpenhaftes „Fuck you“

Es wird jedoch bald besser, dank der Afrofuturistin MoorMother. Die Spoken-Word-Poe­tin hat sich für ihr aktuelles Projekt mit DJ Haram aus ihrer Heimatstadt Philadelphia zusammengetan, toll kaputt gekloppte HipHop-Beats führt diese mit arabischen Klängen zusammen. Nach Mitternacht spielt Cocaine Piss, eine belgische Punkband, deren überdrehter Sängerin das Kunststück gelingt, welpenhafte Verspieltheit mit Fuck-you-Gesten zu verbinden.

Ähnlich vielfältig, konzeptionell, aber fokussierter geht es am folgenden Abend weiter, unter anderem mit Gazelle Twin. Die Künstlerin aus Brighton hat mit ihrem Album „Pastoral“ einen vielstimmigen, verstörenden Kommentar zu aktuellen Befindlichkeiten in ihrer Heimat geschaffen, Brexit etc. Jetzt turnt sie im rot-weißen Outfit über die Bühne, das aussieht wie ein Harlekin-Burkini, unheimlich und narrenhaft zugleich. Leider gehen live die leisen Abgründe und auch so manch subtil satirisches Motiv des Albums verloren, von ihrem collagenhaften Sound hat man unter Kopfhörern mehr. Zugucken macht trotzdem Spaß.

Lebt an dieser Stelle der latent autoritäre Habitus der Welterklärung weiter?

Beim anschließenden Auftritt der in Berlin lebenden, aus Houston stammenden Lotic, die Avantgarde und Empowerment zusammenbringen, ist das Berghain wieder ganz eins mit sich. Den Fallstricken der Identitätspolitik entfleucht der Techno, Pop und R’n’B zerhackstückelnde Produzent und DJ J’Kerian Morgan, indem sich der Künstleralias Lotic sich nicht für „er“ oder „sie“ entscheidet, sondern gleich für den Pluralis Majestatis. Ziemlich royal wirken auch die Tanzeinlagen mit strandfetzenartigem Kleid und platinblonder Perücke.

Kurzum, es passiert einiges beim CTM. Doch warum werden die Künstler im Programm mit Begrifflichkeiten umschrieben, die an zähestes Proseminar-Geschwurbel erinnern? Lebt an dieser Stelle der abgelegte, eingangs erwähnte, latent autoritäre Welterklärungshabitus weiter?

Das Publikum leidet

Hauptsache, man lässt sich den Freitagabend im Festsaal Kreuzberg nicht ausreden. Auf den rhythmusgetriebenen Auftritt des indonesischen Duos Setabuhan – inspiriert ist das grunzende Gechante von Rully Shabara von animistischen Ritualen auf der Insel Sulawesi, dazu gibt’s Kampfkunst-Moves, die das Publikum involvieren – folgt die ähnlich tribalistisch anmutende Show des US-Duos Lightning Bolt. Mit minimalen Mitteln, einem als Cello gestimmten Bass und Schlagzeug, erzeugen sie ein prägnantes, facettenreiches Klanggewitter. Neu ist das nicht, aber effektiv. Katharsis durch Lärm.

Schwer greifbar bleibt dagegen, was der Londoner Musiker Darren J. Cunningham aka Actress kommunizieren will. Er ist ein regelmäßiger Gast auf Festivals dieser Art. Der Samstagabend im HKW wird beworben mit dem Claim, dass der Spezialist für Techno mit Young Paint interagiert, einer selbstlernenden künstlichen Intelligenz. Angeblich hat diese einiges von Cunningham gelernt und übernimmt bereits gelegentlich selbst die Regie. Worin die Interaktion besteht, bleibt jedoch unklar, da erhellt auch der an die Wand projizierte Film wenig. Das einzige Kleidungsstück dieses metallisch glänzenden Humanoiden, ein Stahlhelm mit Union-Jack-Emblem, soll wohl dieser kecke Pepita-Hut sein, den Cunningham selbst gerne trägt. Hmm. Vielleicht will Actress Young Paint nur trainieren, damit er irgendwann nicht mehr selbst auftreten muss.

Das Publikum jedenfalls leidet. Die Musik ist toll, eigentlich will man sich bewegen. Manchmal zucken die Leute in ihren Klappstühlen, doch richtig überspringen will nichts. Zum Glück sagt diese etwas dröge Zukunftsvision wenig über die Gegenwart der CTM aus. Die hat sich auch in diesem Jahr als weitgehend erquicklicher Kessel Buntes erwiesen.

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