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Houellebecq-Doppel im Bochumer TheaterAusweitung der Trümmerzone

Mit Knalleffekt: Regisseur Johan Simons verklammert zwei Romane von Michel Houellebecq zu einer europessimistischen Untergangsfarce.

Guy Clemens, Mercy Dorcas Otieno, Karin Moog, Stefan Hunstein (v. li.) in „Plattform“ Foto: Tobias Kruse/Ostkreuz

Wenn es dunkel im Saal wird, ist die Bühne gähnend leer. Dann öffnet sich mit einem Ruck ein Kasten im Schnürboden und ein riesiger Haufen Sperrmüll donnert herab: fleckige Matratzen, weiße Plastikmöbel, Bierkisten, Styroporverpackungen, billige Kleidung. Ein Schock. Dann herrscht erst einmal Stille, bis es sich langsam regt in dem Müllberg.

Nach und nach schälen sich die Protagonisten aus dem Chaos heraus, ordnen die Möbelstücke zu improvisierten Arrangements und Aufbauten, schieben die Matratzen zusammen und wieder auseinander, stapeln Bierkisten und werfen sie wieder um. Pflügen den ganzen Krempel ächzend auf die Seite oder nach hinten und holen dann doch wieder kaputtes Mobiliar hervor.

Hilf- und sinnlose Versuche, Struktur zu schaffen in einem Szenario, das trister und banaler nicht sein könnte. So wird das den ganzen Abend über gehen, zwei Mal knapp zwei Stunden, unterbrochen von einer einstündigen Pause stolpert und stakst das Personal zwischen dem Müll herum, der den mit glatter Folie beklebten Bühnenkasten bedeckt, auf dem Luftaufnahmen einer Großstadt – vermutlich Paris – zu erkennen sind.

All-you-can-fuck-Angebot

Der Bochumer Intendant Johan Simons hat bereits mehrfach die dystopischen Romane von Michel Houellebecq inszeniert. „Plattform“ (von 2001) brachte er 2005 in Gent heraus, auch „Unterwerfung“ von 2015 kam schon auf die Bühne.

Nun hat er beide Produktionen im einst geretteten Bühnenbild von Bert Neumann erneut bearbeitet und zu einem Doppelabend verklammert, der – nicht zuletzt durch die fast identische Besetzung – erstaunlich stimmig ineinander greift und in der Summe ein bitterböses, mitunter krachend komisches Untergangs-Crescendo ergibt.

Der Knalleffekt am Anfang illustriert dabei Simons’ dramaturgischen Kniff, „Plattform“ vom Ende her zu erzählen. Und so beginnt der Abend mit dem Attentat auf ein thailändisches Urlauberbordell, das die Liebesgeschichte zwischen Valérie und Michel – und zugleich ihr sich als genial erwiesenes Geschäftsmodell: All-inclusive-Urlaub mit All-you-can-fuck-Angebot – jäh beendet.

Mourade Zeguendi gibt dem Affen Zucker, holt jedes erdenkliche Klischee hervor

Houellebecqs erzählerische Ich-Perspektive wird in Simons Bühnenfassung auf die handelnden Personen aufgeteilt. Im Zentrum beider Stücke stehen die jeweiligen Paare. Bei „Plattform“ heißen sie Michel und Valérie, in „Unterwerfung“ François und Myriam.

Simons reduziert Houellebecqs mäandernde und manchmal bewusst zur Geschwätzigkeit neigenden Romane dabei virtuos auf ihre Essenz: Auf die sexuelle Frustration des ausgebrannten, von Konsumsucht und Leistungsdruck ermüdeten Westeuropäers mittleren Alters sowie die dumpfe Bedrohung, die vom Aufstieg des Islam und den fatalen Verheißungen politischer Radikalisierung ausgehen.

In „Plattform“ setzt Houellebeqcs satirische Kritik am globalen Spaß-Tourismus an, der die Sehnsüchte der verkappten Romantiker befriedigen soll und nur zum Preis systematischer – auch sexueller – Ausbeutung der Prekären zu haben ist.

Der greinende François

Schablonenhafte Opfer- und Täterzuschreibungen umgeht Simons elegant mit seinem multinationalen Ensemble. So ist etwa Aisha, die nordafrikanische Putzfrau, mit der Michels Vater ein Verhältnis hatte mit dem im China-Kleidchen heiter tänzelnden schwarzbärtigen Mourad Baaiz besetzt.

Und Audrey – laut Houellebecq so schmal und mädchenhaft wie die gleichnamige Hollywood-Schauspielerin – mit der kraftvoll präsenten, aus Kenia stammenden Mercy Dorcas. Die zerlegt mit achselzuckender Leichtigkeit Plastikmobiliar. Yassin dagegen – Aishas Bruder, der ihre Ehre rächt, Michels Vater erschlägt und später mit Sprengstoffgürtel das Thai-Bordell in die Luft jagt – wird von dem bleich und ätherisch wirkenden Lukas von der Lühe verkörpert.

In der Bühnenfassung von „Unterwerfung“ spart Simons die Satire auf den Universitätsbetrieb sowie die politischen Begleiterscheinungen der fiktiven französischen Präsidentschaftswahlen von 2023 aus, bei denen der Muslim Mohammed Abbes an die Macht kommt.

Simons konzentriert sich wiederum auf die scheiternde Paarbeziehung und die männliche Hauptfigur, den zunehmend infantil greinenden François, den Stefan Hunstein hinreißend beglaubigt – mit fettigem Haar, schlotternder Trainingsjacke, taumelnd zwischen Sentimentalität, hilfloser Destruktionswut und sarkastischer Selbstironie. Auch Karin Moog als seine weiblichen Gegenparts Valéry und Myriam glänzt in der Ambivalenz von rollenspezifischem Anlehnungsbedürfnis und selbstbewusstem Aufbegehren.

Das verdrehende Spiel mit Herkunftsklischees und Rollenzuschreibungen in „Plattform“ hätte unangenehm erwartbar werden können, doch den zweiten Teil der „Unterwerfung“ löst Simons auf verblüffende Weise auf. Mit Mourade Zeguendi ist der muslimische Universitätsrektor Rediger, der den ehemaligen Dozenten François wieder zurück an die – nun muslimische – Sorbonne holen will, wie es so schön heißt, rollendeckend besetzt.

Zeguendi gibt dem Affen Zucker, holt jedes erdenkliche Klischee hervor, holt sich dauergrinsend und überzeichnet die kichernde Zustimmung im Publikum – und zerkrümelt alles zu Theaterstaub. Ja, ja, so sind sie, sie missachten die Frauen, fraternisieren mit Geschlechtsgenossen gleich welcher Herkunft, biedern sich an mit Zahnpasta-Lächeln, großspurig, hinterhältig, und gewieft.

Zeguendi führt das mit nonchalanter Glätte und eisiger Selbstironie vor, brillant und witzig, der eigentliche Clou des Abends, der sich am Ende allerdings doch etwas zieht.

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