: Keine Chance für Müßiggang
Die Bremische Bürgerschaft debattiert über das Hartz-IV-System und die Praxis der Leistungskürzungen
Von Jean-Philipp Baeck
Sollten Sanktionen abgeschafft werden oder Hartz-IV reformiert werden? Bei rund 80.000 HilfeempfängerInnen allein beim Jobcenter Bremen sind das Fragen mit Tragweite, die da am Mittwoch in einer aktuellen Stunde im Landtag debattiert wurden. Angestoßen wurde die Diskussion durch die Linksfraktion anlässlich einer aktuellen Befassung des Bundesverfassungsgerichts.
Die Richter in Karlsruhe verhandeln derzeit darüber, ob Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstoßen. Rechtlich müssen Hartz-IV-Bezieher jede zumutbare Arbeit annehmen, sonst drohen Kürzungen. Bei wiederholten Pflichtverstößen darf das Jobcenter das Geld sogar komplett streichen.
Beigetragen zur Debatte hatte dabei auch die Leiterin des Jobcenters Bremen, Susanne Ahlers, die sich in einem Interview mit dem Weser Kurier gegen die aktuelle Bestrafungspraxis aussprach. „Sanktionen treffen häufig die Menschen, die schwächer sind“, erklärte sie.
Überdurchschnittlich viele Sanktionen treffen in Bremen indes Leistungsempfänger unter 25 Jahren, ebenso überdurchschnittlich oft wird in Bremerhaven gekürzt. Das geht aus Zahlen für die Zeit zwischen Oktober 2017 und September 2018 hervor, die das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe vorlegte.
Für Nelson Janßen von der Linkspartei verstoßen Sanktionen grundsätzlich gegen den Gedanken des Sozialstaates. Er warb dafür, sich auch in Bremen dafür einzusetzen, dass im Jobcenter Sanktionen eingeschränkt werden. Bei Hartz-IV hingegen sprach er von einer „Neuberechnung“.
Die Grünen-Fraktion forderte am Mittwoch, sowohl Sanktionen zu stoppen, als auch das Hartz IV-System durch eine neue sanktionsfreie Garantiesicherung abzulösen. Von Hartz-IV als einem „sozialstaatlichen Irrweg“ hatte Bremens Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) zuletzt kurz vor Weihnachten gesprochen und mehr individuelle Hilfen gefordert.
Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) sprach am Mittwoch davon, das System verändern zu wollen. „Sanktionen finden da ihre Grenze, wo sie die Menschenwürde verletzen.“ Er sprach sich indes erneut für eine vernünftige Kindergrundsicherung aus. Froh sei er, dass in der Debatte niemand das bedingunglose Grundeinkommen gefordert habe, das sei „Quatsch“, so Sieling.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte in der Debatte um Abschaffung der Sanktionen vergangene Woche erklärt, ohne diese wäre das Arbeitslosengeld ein bedingungsloses Grundeinkommen, was er nicht wolle.
Dass auch die Christdemokraten deshalb nicht grundsätzlich gegen Sanktionen sei, erklärte die CDU-Politikerin Siegrid Grönert. Und FDP-Politiker Magnus Buhlert mahnte: „Es gibt auch eine sittliche Pflicht zu arbeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen