piwik no script img

„Der Wandel geschieht durch weniger Konsum“

Die Unternehmerin Guya Merkle von der ethischen Schmuckfirma Vieri im Gespräch über ökologisch und fair gewonnenes Gold, Blutdiamanten und Impact-Maximierung

Von April von Stauffenberg

Der Gebrauch von Schmuck ist seit den Anfängen der Menschheit zu beobachten. Die Muschelketten, die in Marokko und Südafrika gefunden wurden, sind etwa 82.000 Jahre alt und stellen, so wird gesagt, den ersten Ausdruck abstrakten Denkens dar. Dieser Halsschmuck steht für die menschliche Fähigkeit zum symbolischen Denken. Mit Schmuck lassen sich soziale Rollen, territoriale Machtansprüche und religiöse Zugehörigkeit optisch differenzieren. Schmuck bedeutet daher auch Verantwortung. Verantwortung, die sich heute anders darstellt als in der Frühzeit der Menschheit. Über die es aber nachzudenken gilt. Guya Merkle von der ethischen Schmuckfirma Vieri und Initiatorin der Earthbeat Foundation traf sich mit April von Stauffenberg, der Gründerin des Vintage Brand After March, um über Gold, Diamanten und unseren fahrlässigen Umgang mit diesem Luxus zu sprechen.

taz: Frau Merkle, gerade haben wir Weihnachten hinter uns gebracht. Natürlich wurde auch viel Schmuck geschenkt. So sehr das den Beschenkten freuen mag, sollen wir als Weltgesellschaft darüber glücklich sein?

Guya Merkle: Das war die Ausgangserfahrung für meine Vorstellung eines kritischen Schmuckdesigns: Die Glücksgefühle, die der Luxus von Schmuck bedeuten kann, spiegelt sich an der Quelle seiner Herkunft nicht wider. Im Gegenteil. Als mir auf einer Reise nach Peru die katastrophalen Umstände deutlich wurden, unter denen Gold gefördert wird, war ich sprachlos.

Wie muss man sich diese Umstände vorstellen?

Fast immer arbeiten die Menschen dort in der Illegalität, sie haben weder Training noch Ausbildung, wie man Gold sicher abbauen kann. Es fehlt ihnen das Equipment, sodass sie viel per Hand machen. Das größte gesundheitliche Problem ist, dass Quecksilber und Zyanid benutzt werden, um das Gold vom Erz zu trennen. Die Stoffe greifen das Nervensystem und die Organe massiv an, und am Ende werden sie in die Flüsse gespült und gelangen ins Grundwasser. Das vergiftet die ganze Erde dort und dann wiederum auch die Menschen eines weitläufigen Gebiets. Bildung, Infrastruktur und medizinische Versorgung fehlen an allen Ecken. Tödliche Unfälle wie einstürzende Stollen und Gänge sind an der Monatsordnung, Kinderarbeit ist weit verbreitet und natürlich bringt diese ganze Armut und die Perspektivlosigkeit vieles mit sich, was sich in häuslicher und sexueller Gewalt widerspiegelt!

Und das Gold, das unter solchen Umständen der Erde entrissen wird, wo bleibt es eigentlich?

Das ist schwer nachzuvollziehen. Das Gold, das in sogenannten Small Scale Mining Communities abgebaut wird, gelangt durch ein komplexes System von Mittelsmännern in die offiziellen Wege des Goldhandels. Es handelt sich ja nur um kleine Mengen Gold, die in den Communities geschürft werden. Das System ist schwer zu durchschauen und meistens auch mit Korruption verbunden.

Ist es schwierig, recyceltes Gold in den nötigen Mengen zu bekommen?

Es ist tatsächlich bislang kaum möglich, recyceltes Gold in den Mengen zu bekommen, die benötigt wären, um die gesamte Nachfrage zu decken.

Warum?

Interessanterweise liegt das nicht daran, dass zu wenig vorhanden wäre. Viel eher liegt es daran, dass Gold oft gebunden ist und gehortet wird! Bewusst, aber auch unbewusst! Natürlich gibt es die Finanzwelt und das ganze Gold in den Safes – aber auch die Mengen an Gold, die in Altgeräten, Tablets und Handys schlummern, sind nicht zu unterschätzen! Im Durchschnitt kauft jeder alle elf Monate ein neues Smartphone! Die alten liegen dann in der Schublade! Oder denken Sie an den vererbtem Altschmuck, der nicht getragen wird! Man könnte ihn ja umarbeiten lassen! Mit Vieri verarbeite ich nur kleine Mengen an Gold, wir sind ein Nischenlabel und nicht zu vergleichen mit den großen Herstellern! Daher ist es kein Problem, die Mengen, die wir brauchen, über Scheideanstalten zu beziehen! Um einen Wandel zu schaffen, müssten sich vor allem auch die großen Unternehmen und Labels mit dem Thema beschäftigen!

Statt „Form Follows Function“ heißt die Forderung heute „Form Follows Ethics“: Die Dinge sollen Gutes bewirken. Geht das?

Bedingt. Um ehrlich zu sein, denke ich, dass es gar nicht so sehr darum geht, Gold fair und nachhaltig zu verarbeiten. Gold ist eine endliche Ressource. Es geht darum, die Geschäftspraktiken ganz allgemein zu revolutionieren. Solange Shareholder Value und Profit an erster Stelle stehen, wird sich nichts ändern. Wollen wir Gutes bewirken, dann wollen wir notwendigerweise unseren Konsumstil ändern, wollen wir über Recycling zu sprechen, über Sharing und auch über Verzicht. Es geht um eine neue Sicht auf die Dinge.

Alle großen Juweliere und bekannten Marken haben nun Fair-Trade-Linien. Kann man ihnen trauen?

Das kann ich nicht so einfach sagen, denn ich kenne ihre Geschäftspraktiken nicht. Und um ehrlich zu sein, ich denke nicht, dass es darum geht, Gold fair und nachhaltig zu machen. Es geht vielmehr ganz generell um einen Wandel der Art, wie wir Geschäfte machen. So lange die Rendite der Aktionäre und die Profitmaximierung im Zentrum stehen, können einzelne Marken nichts ändern.

Welche Mitbewerber finden Sie interessant?

Cred Jewellery und Greg Valerio machen einen guten Job. Aber weil alle großen Firmen heute sagen, dass sie nachhaltig aufgestellt sind, wundere ich mich, warum sich am Boden nichts geändert hat. Solange es keine Idee von ethischem Design gibt, wird es schwer werden, substantielle Veränderungen zu bewirken. Die großen Firmen könnten zum Beispiel sagen, von jetzt an produzieren wir einfach 30 Prozent weniger Kollek­tionen, weil unsere KundInnen nicht ständig neuen Schmuck brauchen. Und warum bauen wir nicht eine Design-Schule in Ghana? Wir könnten den Leuten dort zeigen, wie sie den Schmuck selbst produzieren. Statt einer Milliarde Gewinn wäre es dann eben nur noch eine halbe Milliarde.

Was machen Sie anders?

Mit der Earthbeat Foundation setzen wir genau da an. Es geht nicht um Charity, sondern darum, Fairness und Gleichberechtigung in das System zu bringen. Den Menschen, die auf postkoloniale Art und Weise ausgebeutet werden und dadurch nicht aus der Elendsspirale rauskommen, Chancen zu bieten. Da liegt meines Erachtens die Verantwortung von Unternehmen. Wir besprechen gemeinsam mit den Communities, was sie brauchen, um sich aus dem Elend befreien zu können. Wir haben Imker ausgebildet, die Community kann jetzt Honig ernten und verkaufen. Dazu haben wir gemeinsam mit den Communities Permakultur-Gärten angelegt. Farming ist wichtig, denn damit sichert man die Selbstversorgung, generiert Einkommen und forstet gleichzeitig das Land wieder auf. Vieri ist keine Firma, die sich der Gewinnmaximierung unterworfen hat, sondern der Impact-Maximierung. Wenn wir wachsen, und zwar organisch, dann bedeutet das nicht mehr Gewinn für mich, sondern mehr Möglichkeiten vor Ort. Wir investieren in Bildungsprogramme, und mein Traum wäre es, einen Gesundheitsfonds für die Menschen vor Ort aufzubauen. Dafür sind wir aber noch zu klein. Das wäre was für die großen Unternehmen.

Wie informiert man sich, um nicht Teil der ausbeuterischen Mafiapraktiken des Gold- und Edelsteinhandels zu werden?

Der Wandel geschieht durch weniger Konsum und mehr Recyling. Bislang gibt es immer noch viel zu wenig gute Information über die wirklichen Bedingungen des Goldschürfens.

Sie arbeiten ausschließlich mit recyceltem Gold. Was ist mit den Diamanten?

Guya Merkle

studierte Kommunikation und Management, als sie sich mit 21 Jahren vor die Aufgabe gestellt sah, die Firma Vieri Haute Joaillerie in Crans-­Montana zu übernehmen, da ihr Vater ganz unerwartet gestorben war. Erst wollte sie verkaufen, dann übernahm sie doch, entschied sich aber, die Firma auf eine ganz neue, ethisch begründete Geschäftsgrundlage zu stellen. Stars wie Rihanna oder die Schauspielerin Emma Watson haben ihren Schmuck gekauft.

Wir arbeiten normalerweise nicht mit großen Steinen in unseren Kollektionen. Die kleineren Diamanten beziehen wir aus Kanada, da werden wenigstens die Arbeitsbedingungen kontrolliert. Ich arbeite daran, zukünftig mit einer großartigen Kooperative auf Madagaskar zusammenarbeiten, die fair geschürfte Saphire anbietet und gleichzeitig das Land wieder aufforstet.

Was hat es mit den „Blut“- oder „Konfliktdiamanten“ auf sich?

Ein Konfliktdiamant finanziert Kriege und Kindersoldaten, er fördert Korruption und Sklavenhandel. Aber es ist wichtig, zu verstehen, dass ein konfliktfreier Diamant noch lange kein fair geförderter Diamant ist. Seit dem Kimberley-Prozess, in dem anhand von staatlichen Herkunftszertifikaten der Handel mit sogenannten Blutdiamanten unterbunden werden soll, glauben viele Leute, es handele sich bei den zertifizierten Diamanten um fair und nachhaltig geförderte Steine. Aber das ist nicht so.

Was ist mit Gold?

Es gibt auch Konfliktgold. Die größte Quelle dafür ist die Demokratische Republik Kongo. Seit dem Artikel 15 des Dodd–Frank Act, der Unternehmen verpflichtet, keine Rohstoffe zu verwenden, die den bewaffneten Konflikt finanzieren, versuchen die Firmen Gold aus dem Kongo zu meiden. Leider führt das dazu, dass die Leute, die eh schon in den Goldminen ums Überleben kämpfen, gar nichts mehr haben, der Schmuggel blüht und die Leute unter noch schrecklicheren Bedingungen leben und illegal schürfen.

Es kann also faires Wirtschaften nur dort geben, wo es die entsprechenden politischen Bedingungen dafür gibt.

Ich glaube inzwischen, dass Politik und Wirtschaft meistens Hand in Hand arbeiten. Unternehmen betreiben so viel Lobbyarbeit, um ihre Interessen zu wahren. Würden sich die großen Unternehmen zu einer Änderung des Systems bekennen, könnte sich viel ändern. Wenn Geld nicht mehr oberste Prämisse wäre. Ich sage nicht, dass Unternehmen kein Geld verdienen sollen. Das hat auch mit Nachhaltigkeit zu tun. Arbeitsplätze sichern, Investieren in Knowhow, all das muss gewährleistet sein. Die Interessenwahrung von Shareholdern macht viel kaputt. Ich verstehe einfach nicht, wie man stolz erzählen kann, man habe zig Millionen Gewinn gemacht, wissentlich auf dem Elend anderer. Es wäre doch viel schöner zu sagen, wir haben zig Millionen Umsatz gemacht und dabei auch noch ein Wertewandel geschafft.

Wer sind Ihre Kunden?

Meine KundInnen sind Frauen und Männer, die anfangen, ihre ersten Stücke zu kaufen. Das Schmuckgeschäft ist in dieser Hinsicht nicht einfach. Die klassischen Käufer und Käuferinnen von hochwertiger Juwelierkunst, die schon eine Menge teuren Schmuck haben, sind an einer Diskussion über die problematische Produktion nicht interessiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen