: Neues Theater, neues Glück
Weil der Brandschutz im Schlachthofturm nicht mehr ausreicht, zieht die Theaterwerkstatt nach Woltmershausen an die Weser. Und während Bremen um einen neuen Kulturort reicher wird, stellt sich die freie Szene insgesamt neu auf: Ein neues Miteinander in ungewöhnlich freundlichem Ton, sogar wenn es ums Geld geht
Von Jan-Paul Koopmann
Es war dann doch ein kurzes Vergnügen mit dem neuen Theater im Schlachthof. Vor nicht einmal zwei Jahren hatte man dort (auch in der taz) Eröffnung gefeiert. Aus dem Proberaum im alten Wasserturm des Kulturzentrums war ein richtiges kleines Theater geworden: mit Bühne, Platz fürs Publikum und so weiter. Und jetzt baut sich Theaterleiter Tobias Pflug schon wieder ein Theater. Diesmal an der Weser, direkt hinter dem Neustädter Bahnhof, nur ein paar Meter von den Pusdorf-Studios entfernt – dem anderen frisch gebackenen Hotspot der freien Szene. Ganz freiwillig war der Umzug nicht, auch wenn Pflug schon auf der Baustelle ehrlich ins Schwärmen kommt über die kreative Energien, die so frei werden, wenn man etwas Neues aufbaut und die Vernetzung mit der Bremer Szene vorantreibt.
Aus dem Schlachthof musste das Theater raus, weil der Turm zumindest auf dem Papier ein Problem mit dem Brandschutz hat. Das seit 1981 für Veranstaltungen und verschiedene Projektwertstätten genutzte Gelände ist zwar immer mal wieder in Teilen modernisiert worden, gleichzeitig haben sich aber auch die Ansprüche der Behörden geändert. Vor knapp einem Jahr hat die Baubehörde die Nutzung des Turm zwar nicht vollständig untersagt – aber doch die zulässige Personenzahl stark beschränkt. „Dieses Verbot hat besonders die Theaterwerkstatt hart getroffen“, sagt Schlachthof-Sprecherin Gudrun Goldmann. Und wo sich die ebenfalls im Turm ansässigen Medien- und Zeitungswerkstätten irgendwie behelfen konnten, war doch an Publikumsverkehr nicht mehr zu denken. Wie lange das so bleibt, ist unklar. Zwar gibt es laut Goldmann inzwischen ein akzeptiertes Konzept für eine Außentreppe, aber: „Dieses Bauvorhaben ringt jetzt mit anderen in Bremen um einen guten Platz auf der Prioritätenliste.“
Kein Grund zur Panik also, aber die Zukunftsperspektive ist jedenfalls im Moment noch zu vage, um mit dem Theaterbetrieb bis dahin zu warten. Zumal es gerade ja auch richtig gut lief: Rund 40 Künstler*innen aus Bremen und dem Rest der Bundesrepublik waren zwischen Neueröffnung und Zwangspause im Turm aktiv. Darunter sind zahlreiche Residenzen und Veranstaltungsreihen, die hier ihr organisatorisches Zentrum hatten. Tatsächlich geht es hier nicht nur um Bühnen für einmalige Inszenierungen, sondern vor allem auch um zuverlässig planbare Orte zur Probe.
Das im Schlachthoftheater beheimatete Explosive-Festival etwa hatte gerade zur letzten Ausgabe begonnen, ein wieder stärker produzierendes Festival zu werden – und langfristige Kooperationen anzubieten. Kurzum: Ein neues Gebäude war nötig, um das ambitionierte Ganzjahresprogramm auch tatsächlich auf und über die Bühne zu bringen.
Nach langer Suche ist Pflug nun also in Woltmershausen gelandet – in einem ehemaligen Lagerhaus mit Verladerampe vor der Tür, einer langen Fensterfront mit Blick auf den Hafen und jeder Menge Industriecharme. Neu sind die Böden, Heizkörper, Fenster und Lampen. Und auch wenn die Ballettstangen und ein bisschen Technik noch unterwegs sind, ist der Probenbetrieb seit diesem Wochenende im Gang.
Auch diese erste Produktion im neuen Studio ist eine direkte Fortsetzung des Explosive-Festivals: Hakan Sonakalan von der renommierten Folkwang-Hochschule in Essen arbeitet hier mit Bremer Jugendlichen an einer Tanzproduktion, die im August Premiere feiern wird (nebenbei bemerkt: Es sind noch einzelne Plätze für Teilnehmer*innen zwischen 14 und 18 Jahren frei.).
Kommende Woche nimmt dann auch die Explosive-Akademie ihren Betrieb im neuen Raum auf, mit einem Synthesizer-Workshop in Kooperation mit dem Tonstudio Track 1. Für spätere Veranstaltungen und Projektphasen sei auch eine Zusammenarbeit mit den Pusdorf-Studios von der anderen Straßenseite denkbar, sagt Pflug.
Dass zum Einstand gleich dreimal das große Wort „Kooperation“ fällt, ist kein Zufall, sondern auch Ausdruck eines neuen Miteinanders in der freien Szene, das in Bremen derzeit an allen möglichen Ecken und Enden zu beobachten ist. In der Schwankhalle etwa sind gerade die „Spotlights“ zu Ende gegangen: ein Gastspielmonat, in dem das Neustädter Theater diversen Akteur*innen aus der Szene Raum gegeben hat, in ihre Produktionen vorzustellen. Auch der vor vier Jahren gegründete Landesverband Freie Darstellende Künste Bremen e. V. tritt heute durch koordinierte Öffentlichkeitsarbeit in Erscheinung. Und überhaupt: Man spricht heute in ungewöhnlich wohlwollendem Ton über die hiesigen Kolleg*innen. Es macht sich nach Jahren des Produzierens weit unterhalb des Existenzminimus sogar so etwas wie Optimismus breit, seit die Kulturbehörde kürzlich ihren Kulturförderbericht vorgelegt hat. Der zeigt tatsächlich einen interessierten und informierten Überblick über das kulturelle Geschehen jenseits der großen Häuser und wird sich – so die Hoffnung der Kulturschaffenden –, auch in den nächsten Haushaltsverhandlungen als hilfreich erweisen.
Denn natürlich geht es immer auch ums Geld. Die Stimmung war – gelinde gesagt – angespannt bei denen, die nun lange um außerordentlich knappe Fördermittel konkurrieren mussten. Nun ja. Heute jedenfalls ist etwa über den Landesverband oder in den von der Behörde unterstützten „Denkzellen“-Treffen ein transparenterer Austausch darüber zu beobachten, wo das Geld herkommt und welche Fördertöpfe noch offen stehen. Und das sind doch tatsächlich mal vielversprechende Aussichten.
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