Brand in JVA Kleve: Die Aufklärung des „Suizids“ beginnt
Der Flüchtling Amad A. verbrannte im Gefängnis – die Suizidthese der Behörden ist unglaubwürdig. Jetzt kommt ein Untersuchungsausschuss.
Obwohl mit NRW-Justizminister Peter Biesenbach und Landesinnenminister Herbert Reul zwei Christdemokraten in dem Fall in politischer Verantwortung stehen, wird nach den Regeln des Düsseldorfer Parlaments ein Abgeordneter der CDU als stärkster Fraktion den Ausschuss leiten: Vorsitzender wird der Neusser Rechtsanwalt Jörg Geerlings.
De 26-jährige Amad A. war bei einem Brand in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Kleve am 17. September so schwer verletzt worden, dass er zwölf Tage später nach einer Lungentransplantation starb. Verbrannt waren auch mehr als 40 Prozent seiner Haut. Erst nach seinem Tod hatten die Minister Biesenbach und Reul bekannt gemacht, dass der Mann aus Aleppo als Opfer einer Verwechselung monatelang widerrechtlich eingesperrt worden war: Ein von der der Staatsanwaltschaft Hamburg gesuchter Afrikaner benutzte einen ähnlichen Tarnnamen.
Der Düsseldorfer Untersuchungsausschuss soll nicht nur klären, wie Justiz und Polizei den Syrer mit einem völlig anders aussehenden Mann aus Mali verwechseln konnten. Die Landtagsopposition aus SPD und Grünen will auch die genauen Umstände des Brandes untersuchen.
Offiziell ein Suizid
Nach offizieller Darstellung von Staatsanwaltschaft und Justizministerium soll Amad A. am Abend des 17. September gegen 19 Uhr selbst einen Haufen aus Decken, Bettlaken und seiner Matratze angezündet haben. Bei geschlossenem Fenster soll der Haufen dann etwa eine Viertelstunde gebrannt haben. Erst danach soll der junge Mann über die Gegensprechanlage der JVA um Hilfe gerufen haben. Für das Ministerium des Christdemokraten Biesenbach ist der Tod des Syrers ein tragischer, aber kaum zu verhindernder Suizid.
Brandgutachter, die diesen Ablauf im Auftrag des ARD-Fernsehmagazins Monitor überprüft haben, widersprechen: „Der Brand, so wie er beschrieben ist von der Staatsanwaltschaft, ist so nicht möglich“, sagt Korbinian Pasedag vom Institut für Brand- und Löschforschung. Ohne Luft- und Sauerstoffzufuhr sei ein derart heftiges Feuer nicht denkbar. Auch sei unglaubwürdig, dass Amad A. nach 15 Minuten in der völlig verqualmten, mit giftigen Gasen gefüllten Zelle überhaupt noch in der Lage gewesen sein soll, selbst Hilfe zu rufen.
Genährt wird damit nicht nur der Verdacht, dass Fenster oder Tür der Zelle geöffnet gewesen sein müssen – und die Hilferufe des Bürgerkriegsflüchtlings eher zu hören waren als offiziell eingeräumt. Unklar bleibt auch, in welchem Zustand die Justizmitarbeiter den Schwerverletzten auffanden. In internen Protokollen heißt es offenbar, Amad A. sei aus dem Haftraum „gezogen“ worden. In einem späteren Bericht steht dagegen: „Der Gefangene taumelte den Bediensteten nach Aufschluss der Haftraumtür entgegen.“
Suizid-These wackelt
Damit wackelt die Suizid-These von Minister Biesenbach. Es steht zumindest der Verdacht der unterlassenen Hilfeleistung im Raum. Von einem „Polizei- und Justizskandal“ spricht der rechtspolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Stefan Engstfeld. Und SPD-Fraktionsvize Sven Wolf wirft den Behörden vor, Fehler „verdecken“ zu wollen.
Zweifelhaft bleibt, wie ernsthaft die Christdemokraten aufklären wollen. Erst nach massiven Protesten nahm die CDU den Vorschlag zurück, den Abgeordneten Günther Bergmann zu ihrem Sprecher im Untersuchungsausschuss zu machen – dabei sitzt Bergmann auch im Beirat der JVA Kleve und versteht sich offenbar als Interessenvertreter der Beschäftigten.
Auf seiner Homepage präsentiert Bergmann seit Montag stolz ein Foto, dass ihn mit einer „Delegation von Mitarbeitern aller Bereiche der Justizvollzugsanstalt Kleve“ zeigt, die ihn im Landtag besucht hat. „Zufällig“ zu dem Treffen stieß auch Justizminister Biesenbach. Ob und wie er dabei mögliche Zeugen beeinflusst hat, ist noch nicht bekannt.
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