Der Hausbesuch: Ohne Utopien kann er nicht
Er ist Bürstenmacher, lief dieses Jahr seinen 36. Marathon – und will den 18. März zum Feiertag machen. Zu Besuch bei Volker Schröder.
Volker Schröder ist 75 und Kreuzberger. Er war Buchhalter bei den Grünen, ist im September seinen 36. Marathon gelaufen und fährt gerne seinen Oldtimer. Außerdem übt Schröder das geerbte Metier des Bürstenmachers aus – „nebenberuflich und aus Ahnenverehrung“. Verehren möchte er seit seiner Jugend aber vor allem die KämpferInnen der Märzrevolution 1848. Sein Ziel, aus dem 18. März einen Feiertag zu machen, habe er aber „noch nicht“ erreicht. Dafür bekam er für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz und im Jahr 2000 wurde der Platz vor dem Brandenburger Tor in „Platz des 18. März“ umbenannt. Die Geschichte seiner politischen Leidenschaft erzählt Schröder in seinem vierten autobiografischen Buch „Dass ein gutes Deutschland blühe oder Mein März-Marathon“. Am liebsten würde er seine Zeit nur mit dem Schreiben verbringen, so viel habe er noch zu erzählen.
Draußen: Hip und urban ist der Bergmannkiez in Berlin-Kreuzberg mit Büchertischen auf dem Bürgersteig, der Marheineke-Markthalle mit Delikatess-Läden, Bio-Fleischern und bretonischen Galettes, drumherum Weinbars und Cafés. Zwischen Passionskirche und Chamissoplatz führt die Heimstraße bergauf. „Bilder & Bürsten“ steht im Schaufenster von Volker Schröders Ladenlokal. Laden? Ein Schild präzisiert: „Achtung Täuschung: Sieht aus wie ein Laden, ist aber keiner“. Es gibt Kratzbürsten, Spinnenbesen und „Schröders Analbürste“. Ein Schild bewirbt sie so: „Mit der Analbürste sorgen Sie auf jeder Party für Gesprächsstoff.“ Zeitungsartikel hängen dort, die von seinem politischen Aktivismus berichten, auf Schwarz-Rot-Gold an der Tür steht: „Für demokratische Tradition und revolutionären Geist.“
Drinnen: Seit 1994 wohnt Volker Schröder im fünften Stock eines Altbaus. Hätte sich vor zehn Jahren seine Frau ein Bein gebrochen, hätte er sie noch getragen, meint er, „heute nicht mehr“. Ältere FreundInnen schaffen es auch nicht bis zum Dachboden. Ein Aufzug wird gebaut, doch es sei „wie beim BER-Flughafen“. Bis in den Flur drängt das rote Licht der Jalousien seines „Revolutionsbüros“ und färbt die Familienporträts aller Generationen neben der Eingangstür. Im Büro: Zeitungsschnitte, Ordner mit „Märzrevolution“-Etiketten vom Jahr 1978 an, Marathonmedaillen, ein Keyboard, eine Armbanduhr mit Maos Gesicht. Hohe Decken hat seine Wohnküche, ein fast ebenso hohes Fenster gibt den Blick über die Dächer Kreuzbergs frei. Eine Treppe führt zur Bibliothek, es gibt zwei Terrassen: auf einer frühstücken die Schröders im Sommer, auf der anderen ziehen sie Gemüse. „Unten tobt das Leben, hier ist es wie im Urlaub“, sagt Schröders Frau. Er sagt: „Ich habe so ein Glück“: Hätten sich nicht alle Mieter zusammengetan und das Haus gekauft, könnte er sich diesen Luxus nicht leisten.
Ausdauer: Ein junger Mann stellt sich allein, mit offenen Armen, dem Strahl eines Wasserwerfers entgegen. Das Schwarz-Weiß-Foto illustriert den Flyer einer Ausstellung über die 68-er Jahre in Berlin. Der Mann auf dem Foto ist Volker Schröder bei einer Demo gegen die Springer-Presse. Alle seien weggerannt, nur er sei geblieben („Ich war schon immer ein Einzelkämpfer“). Da bleiben, standhaft sein – seine Ausdauer liege in der Familie. Auf väterlicher Seite hart arbeitende Bürstenmacher seit 1866, und seine Mutter: ein Mädchen aus gutem Haus, das den Bürstenmacher heiratete. Auch wenn ihre Mutter deswegen vom Balkon springen wollte.
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Vergangenheit: „Meine Kindheit war wie aus einem Bilderbuch“, erzählt Schröder – auch wenn sie mitten im Zweiten Weltkrieg begann. 1942 wurde er im Landkreis Steinburg bei Hamburg geboren. Er sei ein sehr geliebtes, „fast verwöhntes“ Kind gewesen, groß geworden auf dem Bauernhof eines Onkels mit Pferden und Gänsen, frischem Obst und Gemüse aus eigenem Anbau. So, „wie es früher eben war“. Jetzt sei alles industriell, die Entwicklung findet er furchtbar: „Ich würde gerne das Rad zurückdrehen, wenn es nur ginge.“
Aktion: Einen Hang zur Vergangenheit hatte Schröder schon, als er 1966 nach Berlin zog. Als er die Geschichte der Märzrevolution von 1848 und ihre KämpferInnen für sich entdeckte, war er davon fasziniert. Mit Gleichgesinnten gründete er vor 40 Jahren die Initiative „Aktion 18“, die sich dafür einsetzte, dass der 18. März „in beiden Deutschlands“ als gemeinsamer Feiertag anerkannt wird. Sie sammelten Unterschriften, wurden von Persönlichkeiten unterstützt wie der Schriftstellerin Ingeborg Drewitz, und gestalteten – „als Provokation und Anregung“ – eine Zeitungsanzeige und das Plakat, das heute im Treppenhaus seiner Wohnung hängt mit dem Text: „Konservative, Christen, Antifaschisten, Sozialisten, Kommunisten, Parteilose, Liberale, Unabhängige. Gemeinsam für ein demokratisches friedliebendes und vereintes Deutschland.“ Nach dem Mauerfall errichtete die Initiative zwölf Gedenktafeln an Orten der Revolution und reklamierte erfolgreich den Platz am Brandenburger Tor für sich. „Uns ging es um Brüderlichkeit und um die nationale Frage“, sagt er. Ob er keine Angst habe, als rechts eingestuft zu werden? Der Nationalsozialismus sei schuld, dass heute Konzepte wie „Nationalstolz“ negativ konnotiert seien, meint Schröder. „Das muss sich ändern, das dürfen wir nicht zulassen.“
Schlachtfeld: „Wir sind das Volk, die Menschheit, wir“, zitiert Schröder seinen Lieblingsvers des Dichters Ferdinand Freiligrath. Er denke, in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus sei es wichtig, den revolutionären Geist am Leben zu halten. „Echte“ Revolutionen findet Schröder dagegen zu brutal. Diese hätten in der Weltgeschichte nur „Schlachten“ verursacht, „nichts Gutes“, sagt er und zählt Kuba, China, Russland auf. Zu Demos geht er auch nicht mehr, „das übergebe ich den jüngsten Generationen und mache die Revolution am liebsten an meinem Schreibtisch“. Doch ohne Utopien könne er nicht leben. Deshalb habe er immer wieder Hoffnung: in Berlin wird über einen zusätzlichen Feiertag diskutiert, der 18. März käme vielleicht in Frage. Deshalb auch stehen Schröder und die „Aktion 18“ jeden 18. März am Brandenburger Tor. Es wird geflaggt und gesungen. Sie intonieren das Bürgerlied bei der Gedenkstunde für die März-Gefallenen.
Auffallen: Aufzufallen habe Schröder nie gestört. Er denkt vielmehr, dass sich jeder Mensch freut, wenn er im Mittelpunkt steht. So war es jedenfalls bei ihm, als er mit Hut und seinem schwarzen Oldtimer 1981 die ersten Grünen-Abgeordneten (damals noch Alternative Liste) zum Rathaus Schöneberg fuhr, und in den folgenden zehn Jahren immer mal wieder – während seiner Tätigkeit als Schatzmeister bei der noch jungen Partei. Auch hatte Schröder keine Scheu, zwanzig Jahre lang mit einer Igel-Fahne Marathon zu laufen, die stehe für Sport und Durchhaltevermögen. Heute nimmt er den Spinnenbesen mit und macht ein bisschen Werbung für sich. Und wenn jemand wegen seiner patentierten „Analbürste“ fragt, dann erzählt er lustige Geschichten, zum Beispiel von erröteten Kontrollbeamten an Flughäfen im deutschsprachigen Raum.
Sudoku:Im Ruhestand ist Volker Schröder seit 2005, doch ruhig sei es bei ihm fast nie. Neben der politischen Arbeit, den Marathonläufen und der Bürstenbinderei spielt er Tischtennis und nimmt Gesangsunterricht. „In der Schule war ich so schlecht beim Singen, dass es mir verboten wurde“, sagt er. Heute möchte er sich revanchieren, auch wenn die Freunde meinen, seine Gesangslehrerin solle „Entschädigungsgeld“ beantragen. Er singt eine Strophe des Bürgerliedes vor: „Ob im Kopf ist etwas Grütze, ob im Herzen Licht und Hitze, dass es brennt im Nu; Oder, ob wir friedlich kauern, und versauern und verbauern – das thut was dazu“. Nach dem Unterricht gönne er sich einen Cappuccino in seinem Stammcafé und widme sich seinen Sudokus. „Ich versuche damit mein Gehirn wach zu halten.“ Alle kennen ihn im Kiez und helfen ihm, wenn er mit einer Karre voller Bürsten zum Markt am Chamissoplatz geht. In seiner Stammkneipe nimmt er immer Bratkartoffeln mit zwei Spiegeleiern und ein Bier aus seinem eigenen Bierglas, das er dort deponiert hat. „Einmal im Jahr gebe ich zehn Euro Trinkgeld für das Spülen des Glases“, sagt Volker Schröder. Das mag er sehr. Er sei nicht nur „Buchhalter und Anarchist“, sondern auch ein Mann, der Traditionen liebt.
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