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Varietétheater Dembélé

Beim eher berechenbaren FC Barcelona sorgt Ousmane Dembélé für ungewöhnliche Unterhaltung. Auf seine Eskapaden folgen wie gegen Tottenham meist besonders sehenswerte Kunststücke

Federleicht in Drucksituationen: Dembélé feiert seinen Treffer gegen Tottenham Foto: ap

Aus Barcelona Florian Haupt

Der FC Barcelona gilt als stilbildende Fußballmannschaft. Strebsam, akademisch und brillant. Aber in gewisser Weise auch erwartbar, selbst in den Heldentaten von Lionel Messi, und daher manchmal ein bisschen fad. Ronaldinho ist lange weg, Zlatan Ibrahimovic wurde nach einem Jahr als nicht integrierbar verramscht, und der Brasilianer Neymar erwies sich mit seinen von Gier und PR-Kalkulation getriebenen Eskapaden letztlich als Fratze des Skandalfußballers im Social-Media-Zeitalter. Im Sommer 2017 verließ er Barcelona, das als Ersatz den Franzosen Ousmane Dembélé von Borussia Dortmund verpflichtete. Anderthalb Jahre später lässt sich festhalten, dass eine für ausgestorben gehaltene Spezies wieder die größte Bühne bespielt: das verrückte Genie.

Dembélé jedenfalls scheint mehr Garrincha oder George Best als ­Neymar, er denkt nicht so viel ans Geld – sonst würde er kaum permanent Strafen wie die vom Wochenbeginn riskieren. Bei rund 200.000 Euro soll sie liegen, dafür, dass er am Sonntag zwei Stunden zu spät zum Training kam. Pünktlichkeit ist sein Kardinalproblem; dahinter sollen nächtliche Zockerorgien mit den Kumpels an der Playstation stecken. Ob er dort auch ausprobiert, was er dann auf dem Platz aufführt?

Surrealer Treffer

Denkbar wäre es, denn das Tor, das er am Dienstag in der Champions League zur Führung gegen Tottenham Hotspur erzielte (Endstand 1:1), hatte man von einem real existierenden Menschen so noch nicht gesehen. Dembélé zog am eigenen Strafraum den Sprint zum Pressing an, eroberte an der Mittellinie den Ball gegen Kyle Walker-Peters, den er mit einer weiteren Beschleunigung auf dem Weg zum Strafraum abhängte. Dort angekommen, stoppte er von 100 auf 0, als würde er kurz den Finger vom Joystick nehmen, und vermied die abenteuerliche Sprunggrätsche des ­herangestürmten Winks, indem er durch eine trockene Finte den Ball auf den anderen Fuß legte. Mit diesem verwandelte er dann aus derselben Bewegung heraus. Die Sequenz in Zahlen: 13 Sekunden, 7 Ballkontakte, 87,7 zurückgelegte Meter (davon 33,0 bis zur Balleroberung).

Beim Jubel schlug er sich gegen den Kopf, wie um zu sagen: Ich weiß selbst nicht, was darin vorgeht. Genau so ist es wohl auch. Ja, Dembélé ist ein Zocker. Er pokert hoch mit dem Verzicht auf die herkömmliche ­Fußballerdisziplin und jeden Ansatz zu professionellem ­Lebenswandel. Aber er kann sich auf eine Coolness in Drucksituationen verlassen, die sich für andere jenseits des Vorstellbaren bewegt und ihn, gepaart mit seiner Schnelligkeit, Technik und Beidfüßigkeit, komplett unberechenbar machen. Im Jackpot befinden sich neben dem tabellarisch eher irrelevanten Treffer vom Dienstag – Barça stand bereits vor dem Spiel als Gruppensieger fest – auch etliche entscheidende Tore. Sie führten zum Gewinn des spanischen Supercups gegen Sevilla und in der Meisterschaft bereits zu 7 Punkten. Zuletzt fallen sie umso zuverlässiger, je mehr er vorher verbockt hat; nachdem er während der letzten Länderspielpause nach Schwänzen eines Trainings schon auf die Abschussrampe geschoben worden war, brauchte er nur 10 Minuten zum Tor, das im Spitzenspiel bei Atlético Madrid die Tabellenführung rettete.

„Gesegneter Rebell!“, begrüßte ihn nun die klubnahe Zeitung Sport auf ihrer Titelseite. Teamkollege Carles Aleñà berichtete, Dembélé habe sich vor versammelter Mannschaft entschuldigt und erklärt, er werde jetzt immer pünktlich sein. Nach­wuchs­profi Aleñà, 20, ist jung genug, um das zu glauben („Ihr werdet sehen, dass er nicht mehr zu spät kommt“), aber momentan sind sie in Barcelona mehr denn je dazu geneigt, auch das Gegenteil zu akzeptieren. Selbst der sonst staubtrockene Trainer Ernesto Valverde, der alle Unwägbarkeiten bisher recht gekonnt mit Zuckerbrot und Peitsche jongliert, antwortete am Dienstag mit Humor auf die neueste Episode aus dem Varietétheater Dembélé. „Mal schauen, morgen haben wir Training“, sagte er auf die Frage, ob die Angelegenheit nun erledigt sei. Schon um elf Uhr begann es, doch Dembélé soll pünktlich gewesen sein. Immer mehr Fans hoffen trotzdem aufrichtig, dass er bloß nicht zum Musterstudenten mutiert an Barças Fußball-Uni.

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