: Wolkig witzig
Teil des Problems oder Teil der Lösung? Eine Ausstellung in der Kunsthalle am Hamburger Platz in Weißensee hat den Kunststudenten Holger Meins zum Ausgangspunkt
Von Tilman Baumgärtel
„Bist du Teil des Problems oder Teil der Lösung?“ Bei der Umfrage unter Studenten und Mitarbeitern der Kunsthochschule Weißensee mögen manche Antworten wolkig ausfallen, andere als Witz gemeint sein. Doch die Tendenz ist klar: Die Mehrheit sieht sich in erster Linie als Teil des Problems; selbst graduell optimistischere Antworten wie „Ich bin Teil des Problems, aber ich will auch Teil der Lösung sein“, hört man in der Videoarbeit kaum. Was das Problem und was die Lösung ist, hatte man dabei noch gar nicht gesagt bekommen!
Einige der Interviewten wollten sich offenbar nicht einmal filmen lassen, so scheint dann die Kaffeetasse oder ein Busch auf die Frage zu antworten. Wenn man diese Interviews als repräsentativ für die Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen nimmt, bleibt der Eindruck eines vagen Wissens um die eigene Verstricktheit in eine ungerechte Gesellschaft, aber auch wenig Initiative, etwas daran zu ändern.
Was kann so eine Generation anfangen mit Leuten, die vor fünfzig Jahren sich nicht nur sehr dezidiert als Teil der Lösung gesellschaftlicher Probleme verstand, sondern dieses Selbstbild auch ostentativ vor der Kamera demonstrierte? Eine Präsentation in der Ausstellungshalle der Kunsthochschule Weißensee, die von den Professoren Christoph Wachter und Mathias Judd auf Anregung der Studierenden organisiert worden ist, bringt die beiden Generationen zusammen.
Ausgangspunkt ist dabei Holger Meins: erst Kunst-, dann Filmstudent, rasante politische Radikalisierung nach der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg, 1968 zusammen mit 15 anderen Kommilitonen wegen politischem Protest aus der frisch gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie (DFFB) geflogen. Holger Meins wird Mitglied der RAF, wird beschuldigt, sich an Anschlägen auf US-Einrichtungen in Frankfurt und Heidelberg beteiligt zu haben.
Zusammen mit Andreas Baader und Jan-Carl Raspe wird er 1972 verhaftet. Er stirbt 1974 in Folge eines Hungerstreiks in der Untersuchungshaft in Wittlich. In einem Brief aus dem Gefängnis heißt es: „entweder du bist ein teil des problems oder du bist ein teil der lösung. DAZWISCHEN GIBT ES NICHTS. so einfach und doch so schwer.“ Sein Tod und die Gefangenenhilfe, die entsteht, um die RAF-Mitglieder im Gefängnis zu unterstützen, hält die Gruppe für Jahrzehnte am Leben.
Auf mehreren Tischen sind Skizzen des Kunststudenten Meins zu sehen. Wie man in einem Jahrzehnt von Akten, die an Arno-Breker-Plastiken erinnern, zum linksextremen Terrorismus kommt, darauf geben die schlicht präsentierten Bilder keine Antwort. Die Schwarz-Weiß-Fotos aus derselben Zeit, die unter anderem einen Straßenkehrer zeigen, signalisieren aber immerhin schon ein Interesse an den untersten sozialen Schichten.
Daran knüpft sein erster DFFB-Film „Oskar Langenfeld“, eine kommentarlose Dokumentation über einen Berliner Stadtstreicher, nahtlos an. Meins Film über die Herstellung eines Molotowcocktails, der 1968 an der DFFB zur Eskalation führte, bleibt allerdings verschwunden.
Trotzdem ist in der Ausstellung viel Video zu sehen. Die Interviews, die die Filmemacher Hartmut Jahn und Gerd Conrad für ihren Film „Starbuck“ über Holger Meins geführt haben, werden in neu geschnittenen, ausführlicheren Versionen gezeigt.
Auffallend, dass es vor allem die Studierenden aus Ländern wie dem Iran, Irak, Syrien, Israel oder Palästina sind, bei denen die Geschichte von Holger Meins und seiner politischen Entwicklung Wiederklang zu finden scheint, wie zum Beispiel eine Audioinstallation zeigt, in der sich zwei Frauen aus Israel und dem Iran über den Konflikt zwischen ihren Ländern unterhalten. Sajan Mani aus Bangladesch erinnert in seinen Performances an den kommunistischen Widerstand in seinem Heimatland, und kommt so zu pathetischen Bildern von sich mit roter Fahne in einer Meeresbucht, die stark an den DFFB-Studentenfilm „Farbtest“ von Gerd Conrad erinnern, in dem eine rote Fahne erst durch die Straßen Berlins getragen und am Schluss von Holger Meins vom Balkon des Westberliner Rathauses in Schöneberg entrollt wird.
Während es beim Werk von Mani direkte Bezüge zu der „antiimperialistischen“ Ideologie der RAF gibt, wirkt der Blick der deutschen Studierenden deutlich distanzierter. Tamara Stotz stellt Bilder von historischen APO-Demonstrationen Aufnahmen von Protestkundgebungen gegen Stuttgart 21 oder G20-Gipfel in Hamburg gegenüber. Deren Erkenntnisgewinn bleibt allerdings gering: Okay, es gab und gibt Demonstrationen in Deutschland, aber sonst?
„Wofür es sich zu leben lohnt. Gezeichnet von den 68ern – eine Betrachtung ausgehend vom jungen Kunststudenten Holger Meins.“ Bis zum 11. Januar in der Kunsthalle Hamburger Platz, Weißensee
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen