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Heimkinder beschweren sich

Ombudsfrau legt ihren ersten Bericht vor

Erzieher brüllen Kinder an, zwingen sie, alles aufzuessen, was auf dem Teller ist, verbieten einem Jungen lange Haare oder wenden sogar körperliche Gewalt an – so etwas gibt es in Heimen offenkundig immer noch. Das geht aus der ersten Bilanz der Beschwerdestelle für Heimkinder und andere Jugendhilfe-Sorgen hervor, die die Ombudsfrau Samiah El Samadoni in dieser Woche vorgestellt hat. Ein Fazit: Es gab viel mehr Beschwerden als erwartet.

Bis Dezember 2018 wandten sich 678 Ratsuchende an die Kieler Beschwerdestelle, die im Jahr 2016 als eine Konsequenz aus dem Friesenhof-Skandal eingerichteten worden war. Darunter betrafen 230 Petitionen „stationäre Hilfen“, also Heime und Pflegeplätze. Das Spektrum der Beschwerden reicht von Handy-Verboten, Klagen über das Essen und Schimmel im Heim bis hin zu Anschreien, körperlichen Übergriffen und Gängelungen in der Freizeit. 43 Beschwerden stufte El Samadoni als schwerwiegend ein.

In Schleswig-Holstein leben etwa 6.500 Kinder in Heimen, Wohngruppen und Pflegefamilien, darunter 3.000 aus anderen Bundesländern. Die meisten Beschwerden kamen aus der Gruppe der 6- bis 13-Jährigen.

Es seien einzelne Erzieher, die zu zweifelhaften Methoden griffen, sagte El Samadoni. Kinder fühlten sich oft nicht gehört oder gesehen. Hier sei eine bessere Beteiligung sowohl in den Heimen als auch bei der Hilfeplanung der Jugendämter dringend geboten. Die Ombudsstelle versuche, Konflikte einvernehmlich zu lösen, zum Beispiel ermöglichte sie einem 14-Jährigen, der sich bei Pflegeeltern sehr unwohl fühlte, den Wechsel in ein Heim.

Ob es so etwas wie einen „Friesenhof“ noch heute gibt? Jene Einrichtung, in der – vom Landesjugendamt toleriert – unter anderem über Jahre Mädchen und junge Frauen eingesperrt wurden? „Ich kann es nicht ausschließen“, sagte El Samadoni. Und sie betonte: „Der Anspruch auf gewaltfreie Erziehung gilt für alle Kinder.“ Es sei schwierig, die Lage im Land zu bewerten. Verbessert hätten sich in jedem Fall die Heimaufsicht und die Wahrnehmungen im Umfeld der Kinder.

El Samadoni schlug vor, die Schulpflicht auch auf Heimkinder auszuweiten, die von Auswärts kommen, wie es in 13 anderen Bundesländern üblich sei. Im Norden führe das Fehlen der Schulpflicht dazu, dass Kinder statt in Regelschulen in „schulvorbereitenden Maßnahmen“ in den Heimen unterrichtet werden. In Einzelfällen ginge das über Jahre. Für untragbar hält sie auch dies: Wenn ein Landesjugendamt die Tätigkeit eines Erziehers untersage und dieser das Bundesland wechselt, erfährt das dortige Amt nichts davon. Hier müsse es einen Datenaustausch geben. Kaija Kutter

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