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UN-Klimakonferenzchef über Klimaschutz„Es wird nicht einfacher“

Michał Kurtyka ist Präsident der UN-Klimakonferenz in Katowice. Er sagt, die EU müsse glaubwürdig bleiben in ihrer Möglichkeit, Ziele zu erreichen.

„Polen ist Weltmeister beim Ausrichten von Klimakonferenzen“: Michał Kurtyka Foto: imago/ Eastnews
Bernhard Pötter
Interview von Bernhard Pötter

taz: Herr Kurtyka, Polen ist zum vierten Mal Gastgeber einer Klimakonferenz. Aber in der EU steht Ihr Land seit Langem bei der Klimapolitik auf der Bremse. Warum ist Polen so besessen von Klimakonferenzen?

Michał Kurtyka: Polen ist in der Tat Weltmeister beim Ausrichten von Klimakonferenzen. Die erste war in Bonn, ein gutes Beispiel für polnisch-deutsche Kooperation, dann Poznań, Warschau und jetzt Kattowitz. Sie schauen auf Polen aus einer EU-Perspektive. Aber unsere Ausnahmestellung innerhalb der EU macht uns anderen Ländern ähnlich, etwa Indien und China. Diese Länder haben gewaltige Anstrengungen unternommen, um ihre Einwohner von Energiearmut zu befreien, und sie haben dafür die Ressourcen genutzt, die sie zur Verfügung haben.

Sie sprechen von Kohle, die inzwischen das größte Klimaproblem ist.

Polen hat sich in den letzten 30 Jahren von einem Entwicklungsland zu einem Industrieland gewandelt. Deshalb sind wir in der einzigartigen Position, die Ausgangslagen verschiedener Länder bei der Klimapolitik zu verstehen. Die Organisation der COP24 in Kattowitz ist für uns auch ein Weg, um die besondere Bedeutung der Solidarität zu zeigen. Dieser Wert ist wichtig für uns Polen, weil wir glauben, dass die „Solidarność“-Bewegung die europäische Geschichte positiv beeinflusst hat. Jetzt wollen wir diese Idee in die Debatten der internationalen Klimapolitik einbringen. Ich glaube, das hilft uns bei Kompromissen und einem guten Ergebnis.

Was wäre denn ein gutes Ergebnis?

Wir brauchen ein ausgewogenes Paket, das für alle Länder akzeptabel ist. Wir müssen eine Menge Regeln ausarbeiten, vor allem bei der Transparenz und für die Anrechnung bei der Reduktion von Treib­haus­gasen. Dazu kommen Regeln für die finanzielle und technische Unterstützung. Die größte Herausforderung ist es, ein neues Paradigma zu finden für die Verpflichtungen und die Aufgabenteilung, die die Trennung von Industrie- und Entwicklungsstaaten aus dem Kioto-Protokoll überwindet.

Das wurde eigentlich schon 2015 in Paris beschlossen.

Das Ergebnis von Kattowitz wird ganz anders sein als das von Paris. Es wird nicht einfacher. In Paris hatten wir 30 Seiten mit Prinzipien, die die Politiker ansprechen. Aber jetzt haben wir mehrere hundert Seiten Text, das meiste davon ziemlich technisch. Die wichtige Aufgabe wird sein, die politische Ebene wieder mit der technischen zu verbinden. Aus den technischen müssen sich bedeutende politische Fragen ergeben. Es wird eine große Herausforderung, das in der verbleibenden Zeit zu tun – ein ausgeglichenes Paket, alle Länder mitzunehmen und das in einer juristischen Sprache, die die Politiker verstehen.

Im Interview: Michał Kurtyka

45, ist Staats­sekretär im polnischen Energie­ministerium. Der gelernte Physiker und Ingenieur leitet die COP24, die 24. UN-Klimakonferenz in Kattowitz.

Der Weltklimarat IPCC hat gerade in seinem Bericht gefordert, wir müssten schneller und drastischer handeln. Wie viel Druck bringt das für Sie und die Verhandlungen?

Der Bericht unterstützt uns dabei den dringenden Handlungsbedarf aller zu unterstreichen. Wir arbeiten an einem Rahmen, um die kollektiven Maßnahmen der Staaten in den kommenden Jahren zu organisieren. Die EU hat sich dabei als Anführerin gezeigt. Aber bisher hat sich die Diskussion über Ziele auf einzelne Punkte und Daten konzentriert. Wir haben noch keinen systemischen Rahmen. Und ich glaube, diesen Rahmen werden wir in Kattowitz bekommen.

Sie sagen, Europa hat sich als Anführerin gezeigt? Die EU-Kommission hat gerade einen Vorschlag zurückgezogen, mit dem sie das EU-Ziel von 40 Prozent CO2-Ausstoß auf 45 bis 2030 erhöhen wollte. Ist es diese Art von Ambition, die wir brauchen?

Diese Diskussion haben wir in Europa ja schon seit einer ganzen Weile. Es ist wichtig, dass die EU glaubwürdig bleibt in ihrer Möglichkeit, die Ziele zu erreichen. Und viele Länder haben Probleme, sie zu erreichen. Das gibt Kritikern den Anlass zu sagen: Europa ist stark bei Erklärungen und schwach bei der Umsetzung. Die Glaubwürdigkeit steigt, wenn Europa mit einer Stimme spricht. Wir sollten nicht vergessen, dass nach einigen turbulenten Diskussionen der Rat der EU-Umweltminister den CO2-Grenzwert für Autos auf minus 35 Prozent bis 2030 angehoben hat. Im Juni haben wir ein neues Ziel für erneuerbare Energien beschlossen. In beiden Fällen haben Deutschland und Polen, aber auch Frankreich, dieses Vorgehen unterstützt. Trotzdem haben sich einige EU-Staaten diesem Kompromisses nicht angeschlossen.

Die Finanzen sind ein Schlüssel zum Erfolg. Wie muss ein gutes Ergebnis in Kattowitz da aussehen?

Wir stehen vor der Frage, ob die Industrieländer ihre finanziellen Zusagen eingehalten haben. Die Empfängerländer verlangen Vorhersagbarkeit, die Geberländer wollen dafür transparentes Handeln beim Klimaschutz. Ich will sicherstellen, dass die Artikel im Pariser Abkommen, die finanzielle Transparenz fordern, richtig umgesetzt werden.

Es gibt ernste Bedenken in der Zivilgesellschaft, ob Polen ein guter Gastgeber sein wird. Ihr Land hat ein „COP24-Gesetz“ erlassen, das Demonstrationen während der COP einschränkt. Wollen Sie kritische Stimmen unterdrücken?

Es stimmt nicht, dass während der COP keine Demonstrationen erlaubt sind. Redefreiheit ist ein fundamentales Recht in Polen, das wird nicht eingeschränkt. Unser Gesetz sagt, dass Sie sich für eine Demonstration oder eine Veranstaltung sechs Tage im Voraus bei der Stadt registrieren lassen müssen. Die Stadt Kattowitz darf keine Unterschiede zwischen den Kritikern machen. Polen hat schon viele Konferenzen organisiert, zuletzt den Nato-Gipfel. Unsere Sicherheitskräfte brauchen wesentliche Informationen vorab. Und übrigens, beim Klimagipfel von Paris waren gar keine Demonstrationen erlaubt.

Gibt es so etwas wie eine Energiewende in Polen?

Zu Beginn der Energiewende 1989 bestand Polens Energiemix zu fast 100 Prozent aus Kohle. Viele unserer Nachbarn im sowjetischen Block hatten Atomkraft entwickelt, wie die Ukraine, Litauen oder die Tschechoslowakei. Polen war das nicht erlaubt, wir mussten auf die heimische Kohle setzen. Als wir uns 1990 dem Westen öffneten, brach unsere Industrie in einem katas­tro­phalen Ausmaß zusammen. Wir blieben auf einer Kohle-Monokultur und riesigen Überkapazitäten sitzen. 2000 haben wir damit begonnen, das Angebot zu verbreitern.

Als eines der wenigen Länder sind wir von der Wirtschaftskrise nach 2008 verschont geblieben. Unser steigender Strombedarf wird mehr und mehr von anderen Quellen gedeckt werden. Polen hat bereits 6.000 Megawatt Wind installiert, das ist mehr als Dänemark, einem der führenden Beispiele für Wind. Wenn der Wind weht und der Verbrauch niedrig ist, haben wir schon eine Menge grüne Energie im System. Aber solange wie wir die Probleme mit dem schwankenden Angebot nicht lösen, bleibt die konventionelle Stromerzeugung.

Wie wichtig sind erneuerbare Energien in Polen?

Die Kosten dafür werden weiter sinken. Photovoltaik ist sehr gut an die polnischen Bedingungen angepasst, weil unser größter Bedarf vom Winter in den Sommer gewandert ist. Wir brauchen mehr Strom zum Kühlen als zum Heizen, unser höchster Strombedarf ist jetzt im August. Offshore-Wind ist besser verfügbar, wenn auch nicht zu 100 Prozent vorhersagbar. Der Schlüssel liegt in der Speicherung.

Wir legen großen Wert auf Elektromobilität. Die Regierung hat einen umfassenden Plan, um bis 2025 eine Million E-Autos auf die Straße zu bringen, 8 bis 10 Milliarden Euro für Lade-Infrastruktur, Unterstützung für öffentlichen Verkehr und Besitzer von Null-Emissions-Fahrzeugen. Wir haben bereits die größte Ausschreibung für Elektrobusse in der EU. Interessant ist auch, dass wir das größte elektrische Carsharing in Wrocław haben, und Gdynia entwickelt die größte Vermietung von E-Bikes mit derzeit 1.000 und bald 4.000 Bikes.

Trotzdem ist die Luft in vielen Städten immer noch schrecklich.

Das ist kein neues Problem, aber es wird schon viel dagegen getan. Trotzdem ist Luftverschmutzung eines der größten Probleme in Polen, während wir mehr verdienen und eine höhere Lebensqualität verlangen. Das meiste geht auf die Heizung in Wohnhäusern zurück und auf den Verkehr. Wir haben drei Millionen Wohnhäuser, die nicht richtig isoliert sind und noch alte Kohleheizungen haben. Wir wollen 25 Milliarden Euro über zehn Jahre ausgeben, um das Problem zu lösen. Das wird nicht nur die Luft verbessern, sondern auch den CO2-Ausstoß senken. Polen entwickelt sich sehr schnell und bei Umwelt und Klima machen wir unsere Arbeit.

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2 Kommentare

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  • Offensichtlich gibt es wie in der ZDF Reportage von "Panorama" vom 29.11.2018 von Hans Joachim Schellnhuber dargestellt, ein schon seit Jahrzehnten andauerndes Problem mit der Kommunikation zwischen den Erkenntnissen der Wissenschaft/Forschung und der nationalen wie der Europäischen Politik bei der realen Umsetzung der Lösungen unserer inzwischen unsere menschliche Existenz gefährdenden Lage.

    Das ganze Prozedere gleicht dem Bildnis, als würde man versuchen eine Elefantenherde durch einen undurchdringlichen Sumpf führen wollen.

    Um der weiteren unheilvollen politischen Geschwätzigkeit, der eigenen sozialen und politischen Eitelkeiten abzuhelfen, verweise ich auf Jean Claude Junkers, der sich Anfang 2018 für die Gründung einer "Zweiten Kammer" des Europäischen Parlament ausgesprochen hat.

    Dieser freie Senat der europäischen Wissenschaft/Forschung bietet den von Parteien, Religionen und Weltanschauungen freien Pionieren aus den Bereichen Umwelt, Sozial, Arbeit, Kultur und Bildung nicht nur eine Lobbyverbund aus, Sitz, Stimme und Gehör, sondern er verbindet auch gleichberechtigt die jeweiligen nationalen freien "Zweiten Kammern".

    Darüber hinaus ermöglicht er die Grundlagen für die Gründung von "Europäischen Pionier Schulen" zu erstellen, die den Pioniergeist, der Vergangenheit und der Pioniere der Gegenwart für die Zukunft der Europäischen Union zum Leben zu erwecken und in den gesamten Europäischen Kontinent zu tragen.

    Zur "Freien Entfaltung der Persönlichkeit" in der Europäischen Union, gehört auch die lebenslange chancengleichen Förderung der individuellen, kreativen und schöpferischen Fähigkeiten.

    Die Wertschätzung die man als Erwachsener gegenüber der Europäischen demokratischen Gemeinschaft aufbringt, wird doch von der Wertschätzung geprägt, die man selber als Kind durch die Verwaltung der EU erfahren hat.

    Das diese Wertschätzung Geld kostet dürfte für die EZB kein Problem sein, entscheidend ist dabei allein der menschliche Wille zu politischen handeln.

  • Das Modell von "Arm und Reich" hat ausgedient. Kooperation und volle Gleichberechtigung sind Schlüssel für eine gute Zukunft.