: Kunst und Krempel aus dem Krieg
Zwei Museen in Stade zeigen, was Soldaten im Krieg bastelten, malten und zeichneten
Von Frank Keil
Er hätte es auch wegwerfen können. Es in die Mülltonne treten können, den Rahmen im Container für Altholz standesgemäß entsorgen und die Leinwand zerknüllt zum Restmüll legen. Oder es einfach an die Straße stellen, mit einem Zettel dran, auf dem „Zu verschenken!“ steht.
Stattdessen hat er das Gemälde seines Großvaters bei Ebay eingestellt, um es entsprechend meistbietend zu veräußern. Wobei ihm bis zuletzt wohl etwas unwohl dabei war, es tatsächlich in fremde Hände zu geben, außerhalb der eigenen Familie, erst recht, als sich ein Interessent meldete, Geld bot und so zuschlug.
Und so hat er diesem noch etwas rechtfertigend wie spöttelnd mit auf den Weg gegeben, als er es einpackte, verschnürte und zur Post trug: „Bevor ich es aus Ekel über dem Knie zerbreche, dachte ich, dass ich es lieber verkaufe – irgendein besorgter Bürger hat sicherlich Interesse an nationaler Romantik über dem Kaminsims.“
In roter, einprägsamer Schrift sind diese und andere begleitende Zeilen im Eingangsbereich des Stader Kunsthauses an die Wand gemalt worden – dazu ist ein Bild des Bildes „Der letzte Mann“ von Hans Bohrdt zu sehen, einem kaiserlichen Marinemaler. Das Original gilt seit 1916 als verschollen und ist seitdem immer wieder tausendfach kopiert worden, als Postkarte, als Kunstdruck – und eben wie hier auch eigenhändig nachgemalt, Öl auf Leinwand.
Gar nicht ungeschickt gemalt dabei, denn da hat sich einer einige Mühe gegeben, um das Bildnis des Marinesoldaten noch einmal auferstehen zu lassen, der nach der verlorenen Seeschlacht vor den Falklandinseln im Dezember 1914 als letzter Überlebender dem Feind so trotzig die Reichskriegsflagge entgegenstreckt, bevor auch über ihm die Meereswellen zusammenschlagen werden.
Zigmal „Der letzte Mann“
Es ist nicht das einzige handgefertigte „Der letzte Mann“-Bild, das derzeit im Kunsthaus Stade zu sehen ist: Es gibt einen eigenen Raum mit „Der letzte Mann“-Bildern. Angemessen schaurig abgedunkelt, blickt der Besucher auf unterschiedliche Varianten der immer gleichen Ausgangssituation: Der Kampf ist verloren, aber der Kampf geht weiter. Seinerzeit kamen über 2.000 kaiserliche Marinesoldaten und Matrosen ums Leben – die gegnerischen Briten hatten sieben Tote zu beklagen.
Titel der dazugehörigen Ausstellung: „Der naive Krieg“. Und der nicht unwichtige Zusatztitel: „Kunst. Trauma. Propaganda.“ Die Schau beruht dabei auf der Sammlung von Hans-Georg Barber, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Atak“, einem der wichtigen Künstler unserer Tage, der gekonnt zwischen Malerei, dem Comic und dem Graffito switcht, auch ist er Kunstprofessor in Halle.
Barber hat sich in den letzten beiden Jahren erst eher sporadisch-neugierig, bald aber systematisch und dann getrieben von nahezu manischer Sammelwut nach Zeugnissen von Laienkunst umgeschaut, die den Krieg zum Gegenstand hat – und zwar aus eigener Kenntnis heraus, aus eigenem Erleben.
Aus dem anfänglichen Wundern über eine bisher vernachlässigte Kulturform des Erinnerns wie des Wachhaltens, des Verarbeitens wie des Fortlebens von ersehnter bis fragwürdiger Kameradschaft, von Kampf und Flucht, von Tod und Sterben, wurde Staunen, wurde professionelle Auseinandersetzung.
Sodass die Sammlung des Hans-Georg Barber heute über 5.000 Exponate umfasst: von der handtellergroßen Feldpostkarte über wuchtige Soldatenbildnisse in Kohle auf Papier weiter zu seltsam skulpturalen Nachbauten von Kriegsschiffen und Kriegsflugzeugen bis hin zu einem eigens aus Holz geschnitzten Schachspiel, mit dem sich der Herr Soldat die Abende in der Kriegsgefangenschaft zu verkürzen und sich vielleicht auch zu trösten suchte.
Zeitlich reichen die Exponate zurück bis in die fernen Jahre der Preußen-Kriege, die jüngsten beziehen sich auf den Zweiten Weltkrieg; den Hauptbestand aber machen eindeutig die Exponate aus, die um Erlebnisse und Erfahrungen des Ersten Weltkrieges kreisen.
Das dies so ist, ist vor allem unserer Zeit geschuldet. Denn 100 Jahre nach dem Waffenstillstand von Compiègne, ist längst eine Enkel- und Urenkel-Generation am Werke, die vergleichsweise nüchtern Dachböden, Garagen und Scheunen entrümpelt und die sich von der Aussage, „Das war Uropa mal sehr wichtig“, nicht weiter aufhalten lässt. Und wo eine persönliche-familiäre Bindung im Guten wie im Schlechten nicht mehr vorhanden ist, ist Ebay als Flohmarkt unserer Tage nicht mehr weit.
Zugleich bekommt man eine Ahnung, dass die Bilderpolitik des Ersten Weltkrieges lange nicht so total und geschlossen kontrollierend war wie die des Zweiten Weltkrieges, die als wichtiger Bestandteil nicht nur der Kriegsmaschinerie generell eingebettet war in die Unterdrückungsmechanismen des NS-Regimes.
Das wird etwa deutlich anhand der Feldpostkarten: Zwar dienten auch sie im Ersten Weltkrieg mit ihren oft vorgegebenen Blumen- und Landschaftsmotiven zur Beruhigung der beunruhigten Angehörigen im fernen Hinterland. Doch finden sich eben in der Stader Schau interessante und individuelle Abweichungen, die im Zweiten Weltkrieg kaum mehr möglich gewesen wären:
Handgezeichnete Gräber sind zu sehen, Namen von ums Leben gekommenen Kameraden sind hinzugefügt, individuelle Trauer schwingt mit; auch Zerstörungen sind zu entdecken, Verwüstungen. Und dann wieder finden sich herzlichst freundliche Oster- oder Weihnachtsgrüße an die Eltern, an die Verlobte – es scheint plötzlich ebenso undenkbar, dass man sie nicht wiedersehen könnte.
Es ist diese Spannung zwischen dem Bewusstsein einer jederzeit möglichen Vernichtung des eigenen Lebens und dem Überführen dieses Zustandes in einen ganz normalen, unaufgeregten und also verlässlichen Alltag, die immer wieder in den Ausstellungsstücken aufblitzt – weshalb der Begriff des „Naiven“ in Bezug auf die inhaltliche Intention wie auch auf die zur Verfügung stehenden künstlerischen Fertigkeiten und Mittel, derer, die ja nie Kunst studiert haben oder auf eine vergleichbare Ausbildung hätten zurückgreifen können, so trefflich gewählt ist.
Anders gesagt: Da gibt man sich währenddessen wie anschließend so viel Mühe, das erlebte Grauen, auch die wohl wenigstens zeitweise erlebte Schuld in eine fassbare Form zu gießen, es sich abzumalen oder abzuzeichnen und so niederzuringen – und genau dies will nicht überzeugend gelingen.
Da gibt man sich so sehr Mühe, mit sich und diesem Krieg als ja immer lebensgeschichtlichen Bruch, der nie heilen wird, ins Reine zu kommen, auch um ungeschoren davonzukommen, und scheitert genau daran doch.
Wobei es schön ist, dass sich die Ausstellung auf zwei Häuser aufteilt: Im Kunsthaus entblättert sich die eher kunstmetaphysische Sphäre; nebenan im Schwedenspeicher geht es weit mehr kunsthandwerklich rustikal zu.
Was nicht minder spannend ist, nämlich etwa zu betrachten, wie sich einst die Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges einrichteten; zu sehen, wie sie es sich schön zu machen versuchten, wie sie ihrem Alltag auch eine ästhetisch erlebbare Form zu geben suchten – bis dahin, dass sie aus den verfeuerten Geschosshülsen, sehr liebevoll Vasen für Blumen und Gräser fertigten, zur Verzierung des Unterstandes, aber auch für das Grab desjenigen, der eben noch neben einem saß. Oder auch für einen selbst – wer weiß das schon, während man an dem Geschossteil feilt und poliert.
Und so ist diese Ausstellung insgesamt genau das nicht geworden, was man hätte erwarten und befürchten können: eine Freak-Show, nur eine Ansammlung schlecht gemalter und schlecht gezeichneter oder schlecht gefertigter Werke, getragen von womöglich nur noch unfreiwilliger Komik.
Verstörtes Inneres im Bild
Es eröffnet sich vielmehr ein ganz anderer Erzählraum: der des im Inneren verstörten Kriegsteilnehmers, um ein lange gebräuchliches Wort zu nutzen, das so tat, als könne man am Krieg teilnehmen oder nicht teilnehmen. Samt der Schuldgefühle der Soldaten, ihrer Albträume, ihrer Deutungen – nur eben nicht schriftlich fixiert in Tagebüchern, sondern bildnerisch und damit sprachfern umgesetzt.
Es wäre interessant zu wissen, ob im Falle der „Der letzte Mann“-Bilder die malenden Männer (es ist zu vermuten, dass es ausschließlich Männer waren, die hier nachmalerisch tätig wurden) sich hier selbst auf den Resten eines Floßes die Fahne hochhalten ließen oder ob nicht doch die Erleichterung und auch der Stolz, einfach das Schlachten überlebt zu haben, einen Ausdruck fand.“
„Der naive Krieg“, 13. 10. 18 – 20. 1. 19, Kunsthaus Stade & Museum Schwedenspeicher
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen