: Zu viele bleiben schlecht qualifiziert
Die Arbeitnehmerkammer hat in ihrem diesjährigen „Bericht zur sozialen Lage“ den Fokus auf das Thema „Weiterbildung“ gerichtet
VonSimone Schnase
Je weniger qualifiziert ArbeitnehmerInnen sind, umso weniger nehmen sie Weiterbildungsangebote wahr. Das geht aus dem diesjährigen „Bericht zur sozialen Lage“ der Arbeitnehmerkammer hervor, der sich schwerpunktmäßig dem Thema „Weiterbildung“ widmet. In Bremen sei das Thema besonders wichtig, sagte Arbeitnehmerkammer-Chef Ingo Schierenbeck bei der gestrigen Vorstellung des Berichts.
Denn im Vergleich zu anderen Großstädten arbeiten hier 17 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Industrie. Von den 15 größten deutschen Städten hat nur Duisburg mit 20 Prozent einen höheren Anteil. Und gerade in der Industrie, sagte Schierenbeck, sei das Rationalisierungspotenzial im Zuge der Digitalisierung hoch. „Weiterbildungen können auffangen und abfedern. Sie sind sozusagen Digitalisierungs-Airbags.“
Die Wirtschaftsstruktur wirkt sich auch auf die Qualifikation der Beschäftigten aus: So liegt der Anteil der Spezialisten und Experten in der Stadt Bremen bei 28 Prozent und in Bremerhaven bei 19, in anderen Großstädten durchschnittlich bei 35 Prozent. Umgekehrt arbeiten mit 16,4 Prozent in Bremen und 17,8 Prozent in Bremerhaven überdurchschnittlich viele Menschen in Helferberufen; der Durchschnitt liegt bei 12,2 Prozent. „Bremen wird stärker vom Wandel auf dem Arbeitsmarkt betroffen sein als andere vergleichbare Regionen“, prognostizierte Schierenbeck. Weiterbildung müsse deshalb für die Beschäftigten gefördert werden und finanzierbar sein.
Das aber ist selten der Fall: Bundesweit werden knapp 18 Milliarden Euro aus der eigenen Tasche in die berufliche Weiterbildung investiert, während Betriebe etwa elf Milliarden Euro finanzieren und die öffentliche Hand nur fünf Milliarden.
„Von Weiterbildung profitieren vor allem diejenigen, die es sich auch leisten können“, sagte Jessica Heibült, Referentin für Bildungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer. Die Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung der Arbeitnehmerkammer aus dem Jahr 2017 bestätigen das:
So liegt in Bremen die Weiterbildungsquote – wobei hier „Weiterbildung“ das gesamte Spektrum von der eintägigen Schulung bis hin zu einer monatelangen Qualifizierung umfasst – in der niedrigsten Einkommensgruppe bei 43,6 Prozent, in der höchsten bei über 80 Prozent. Insgesamt lag der Anteil jener, die sich in den letzten 24 Monaten weitergebildet haben, in Bremen bei 58,2 Prozent, bei den Beschäftigten ohne Ausbildungsabschluss hingegen bei nur 38,4 Prozent.
Der über 150 Seiten starke „Bericht zur sozialen Lage 2018“, der am heutigen Mittwoch ausführlich auf der Jahrestagung der Arbeitnehmerkammer vorgestellt wird, zeigt auch die Probleme für jene auf, die sich weiterbilden: Es gibt eine Vielzahl von Anbietern und viele Stellen, die Weiterbildungswilligen Unterstützung anbieten – aber sie alle zu finden und vergleichen zu können und herauszufinden, ob sie die richtigen Anlaufstellen sind, ist kaum möglich. „Hier resignieren bereits viele“, sagte Schierenbeck.
Jessica Heibült, Arbeitnehmerkammer
Wer diese Hürde aber genommen hat, steht vor weiteren Problemen. Die Weiterbildung kostet Geld und Zeit: „Eine Reduzierung der Arbeitszeit scheitert für viele am Arbeitgeber und für sehr viele daran, dass sie keinen Ausgleich für den Lohnausfall bekommen“, sagte Schierenbeck.
Er forderte deswegen einen höheren Weiterbildungsetat im bremischen Haushalt und einen Anspruch auf Weiterbildung einschließlich eines Lohnausgleichs mindestens für ArbeitnehmerInnen ohne anerkannten Berufsabschluss. Das soll laut Beschluss der Bremer „Zukunftskommission“ im Rahmen eines fünfjährigen Modellprojekts auch umgesetzt werden. „Ein verbindlicher Rechtsanspruch auf Weiterbildung kann aber nur auf Bundesebene geschaffen werden“, sagte Schierenbeck.
Eine weitere Forderung der Arbeitnehmerkammer ist das Recht auf eine unabhängige Weiterbildungsberatung, die den Weg durch den unübersichtlichen und manchmal auch unseriösen Anbieter- und Finanzierungsdschungel erleichtern soll. Hier wird die Kammer selbst tätig: Ab dem ersten Januar bietet sie diese Beratung an.
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