SHEILA MYSOREKAR POLITIK VON UNTEN: Weiße sind die besten Opfer
Günter Wallraff hat sich als Schwarzer verkleidet, um Rassismus in Deutschland zu erleben – aber was soll das?
Als Kölnerin bin ich begeisterte Verfechterin alberner Verkleidung. Aber Günter Wallraff als Schwarzer – das wäre einer der Tiefpunkte des Karnevals. Der Journalist Günter Wallraff hat sich ein Jahr lang als „Somalier“ verkleidet und teilt nun seine Erfahrungen mit der deutschen Öffentlichkeit. Aber wozu?
Teilnehmende Beobachtung und intensive Recherche vor Ort sind wichtige Methoden guten Journalismus. Aber wieso verkleidet sich ein weißer Journalist als Schwarzer, um über Rassismus zu berichten? Günter Wallraff kann – ganz normal als Weißer – schwarze Migranten und schwarze Deutsche nach Rassismuserfahrungen fragen. Er muss sich nicht verkleiden, um die Wahrheit herauszufinden.
Das war übrigens genauso, als sich Wallraff für die Recherche zu seinem Buch „Ganz unten“ als „Türke Ali“ verkleidete. Was soll das? Er hätte tausende echter Alis befragen können, die aus allererster Hand von Diskriminierung hätten berichten können.
Meines Erachtens dienen Aktionen wie diese zweierlei. Erstens: Günter Wallraff macht die persönliche Erfahrung, wie es ist, als Schwarzer zu leben. Das ist für ihn pädagogisch wertvoll, aber man muss es nicht in der Zeitung lesen. Zweitens dient das Verkleidespiel der Beweisführung. Und hier wird es unangenehm. Denn dahinter steht offenbar, dass einem weißen Journalisten einfach mehr geglaubt wird: Wird ein weißer Mann in Verkleidung diskriminiert, dann ist der unbestechliche Beweis geführt, dass es tatsächlich Rassismus in diesem Land gibt. Was Schwarze übrigens schon lange behauptet hatten.
Wallraff mag die lobenswerte Absicht verfolgen, den alltäglichen Rassismus zum Thema zu machen. Herausgekommen ist wohlmeinender Paternalismus: Die bedauernswerten Opfer von Diskriminierung sind ja leider nicht in der Lage, sich selbst zu äußern, also muss es jemand anders für sie tun, nämlich Günter Wallraff, der ja aus eigener (!) Erfahrung weiß, wie sich Rassismus anfühlt. Und Wallraff kann sich außerdem viel besser ausdrücken, in der Zeit und anderswo, als irgendein dahergelaufener Ali oder Mohammed es je könnte. Weiße sind also die effektiveren schwarzen Rassismusopfer. Nazis, mal herhören: Die Echten sind nicht halb so gut.
■ Die Autorin ist Journalistin und in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland aktiv Foto: Firat Bagdu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen