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Ruinenstadt Machu Picchu in den AndenDer Flug des Kondors

Jeden Tag pilgern 500 Touristen auf dem Inka-Pfad zu Perus größter Attraktion. Doch die Wanderung ist teuer, überlaufen und meist ausgebucht.

Die Ruinenstadt Machu Picchu in den Anden Foto: dpa

Es brennt. Jeder Luftzug schürt das Feuer in meinen Lungen. 4.250 Meter über dem Meeresspiegel. Mein Kopf dröhnt dumpf. Ein Bein vors andere. Schritt für Schritt. Werden meine Beine schwerer? Noch 400 Meter. Sie fühlen sich definitiv schwerer an. Ein Pferd trabt so leichthufig an mir vorbei, dass ich ihm am liebsten ein Bein stellen würde. Aber das ist mir dann doch zu anstrengend. Schritt für Schritt. Ich kann nicht mehr.

Es geht weiter. Um 3.30 Uhr klingelt der Wecker. Ich schlüpfe in meine Wanderstiefel, schnüre den Rucksack zu und wanke in die Hostellobby. Hier sollen wir auf unseren Wanderführer warten. Die Tür geht auf, und eine Gruppe aufgekratzter Nachtvögel schleppt sich über die Schwelle, die Pisco-Sour-Fahne im Schlepptau.

Vielleicht sollte ich meine Augen doch noch einmal kurz zumachen. Fünf Minütchen. Da höre ich schon meinen Namen. Meine Mitwanderer und ich folgen unserem Wanderführer hin­aus in die Nacht. Zum ersten Mal Peru. Machu Picchu, so viel war klar, steht ganz oben auf der Liste. Ich bin aus Bayern. Warum also nicht die Alpen gegen die Anden tauschen? Mit dem Zug nach Machu Picchu fahren kann ja jeder. Ich wollte mir die Aussicht verdienen und mich „auf die Spuren der Inka“ begeben, wie so viele Reisebüros werben. Der Plan stand so lange, bis ich feststellte, dass die viertägige Wanderung mit rund 600 Euro erstens das Budget sprengen würde und der Inka-Pfad zweitens schon Monate vor Reisebeginn ausgebucht war.

Jedes Jahr besucht mehr als eine halbe Million Menschen die alte Inka-Stadt Machu Picchu, bis zu 3.000 Menschen pro Tag. Vor zwei Jahren ging deshalb ein Aufschrei um den Globus. „Weltwunder in Gefahr“, unkten die Zeitungen, die Unesco drohte der Ausgrabungsstätte den begehrten Titel „Weltkulturerbe der Menschheit“ zu entziehen, da der Massentourismus die Ruinen Stück für Stück zerstört.

Der Inka-Pfad steht der Ruinenstätte in nichts nach. Zwischenzeitlich war er so stark überlaufen, dass die Regierung die maximale Benutzerzahl pro Tag und Streckenabschnitt auf 500 begrenzte. Davon sind nur etwa 220 Touristen, der Rest Führer, Köche und Träger – dementsprechend schnell sind die Tickets ausverkauft. Die fünftägige Salkantay-Wanderung führt über knapp 70 Kilometer ebenfalls nach Machu Picchu. Und obwohl sie nicht mit Ruinen aus dem Inka-Imperium aufwarten kann, ist sie landschaftlich schöner, bei rund 230 Euro für fünf Tage günstiger und mit Höhen bis zu 4.650 Metern über dem Meeresspiegel fordernder.

Ein typisch peruanischer Name

Die Sonne klettert die Bergrücken der Anden hinauf, unser Bus holpert die Serpentinen entlang und spuckt uns schließlich in dem kleinen Ort Mollepata aus. Wir sind 18 Leute in unserer Gruppe, alle irgendwo zwischen 20 und 40 Jahren alt. Unser Wanderführer übt sich in Gruppenbindung, jeder soll sich mit Namen und Land vorstellen. Jiyoon aus Kanada, Mauricio aus Brasilien, Lisa aus Deutschland. Zum Schluss ist unser Führer dran. „Ich selbst habe den – wie ihr euch vermutlich schon gedacht habt – typisch peruanischen Namen Jean Paul und bin 100 Prozent Peru.“

Er grinst, und tiefe Lachfalten graben sich in sein sonnengegerbtes Gesicht. Jean Paul Jordán ist 30 Jahre alt und wandert seit sieben Jahren jede Woche nach Machu Picchu. Sein Job, so sagt er, spart ihm das Fitnessstudio.

Tipps

Start Der beste Ausgangspunkt für Wanderungen nach Machu Picchu ist Cusco. Da die Stadt bereits auf 3.600 Metern ü. N. N. liegt, lohnt es sich, ein paar Tage zum Akklimatisieren einzuplanen.

Vorbereitung Es ist zu empfehlen, die Wanderung vor Reisebeginn zu planen, da der Zugang zu bestimmten Abschnitten der Ruinenstätte begrenzt ist.

Touren Verschiedene 4- und 5-Tages-Touren in der Gruppe mit hervorragendem Preis-Leistungs-Verhältnis bietet Loki Travel, Portal de Carnes 218 Plaza de Armas, Cusco, E-Mail: cusco_tourdesk@lokihostel.com

„Unsere Gruppe braucht einen Namen“, fährt er fort und gibt drei Optionen zur Auswahl. Die Inkas verehrten drei Tiere: den Kondor, der für den freien Geist steht und als Botschafter der Götter gilt. Den Puma, der Stärke und Weisheit bedeutet und das Hier und Jetzt verkörpert. Und zuletzt die Schlange, Symbol der Unendlichkeit und der Unterwelt. Wir entscheiden uns für den Kondor, und Jean Paul, der eben alles mit einem Augenzwinkern sieht, sagt: „Dann spannt die Flügel, meine sexy Kondore, wir fliegen los!“

Aufstieg. Die Berge schmiegen sich sanft an den Horizont, und der grüne Grasteppich leuchtet satt im Sonnenlicht. Nach den ersten paar Schritten muss ich stehen bleiben, mein Herz schlägt wie vor der Führerscheinprüfung. Wir befinden uns auf 3.500 Metern Höhe. Während diese Höhe in den Alpen von steilen Gipfeln aus mit den Augen zu sehen ist, liegen in Peru schon Städte wie Cusco so hoch. In den Anden spürt der Körper die Höhe. Je näher wir der schneeweißen Spitze des Salkantay kommen, desto atemberaubender wird der Ausblick. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Die kleine Schwester der Coca-Pflanze

Pause. Die Höhe ist geschafft. Jean Paul rupft ein Büschel Kraut aus der Erde. „Das“, erklärt er, „ist Muña, die kleine Schwester der Coca-Pflanze.“ Die Andenbewohner kauen Coca-Blätter, um die Höhenkrankheit zu bekämpfen, und trinken Muña-Tee, um den Körper zu entspannen und gut zu schlafen.

Die Andenbewohner kauendie Coca-Blätter, um die Höhenkrankheit zu bekämpfen

Sanft schmiegt sich der Pfad an den Berghang, der Bach plätschert, und es riecht herb und würzig wie im Garten einer Kräuterhexe. Mittelmeer-Gefühle. Das Camp ist in Sicht, nur die Beine sind müde. Jean Paul spaziert neben mir. „Die Chasquis oder Inka-Läufer waren für die Inka das, was für uns heute Facebook und WhatsApp sind: Nachrichtenüberbringer. Solche Strecken waren für sie ein Kinderspiel“, sagt er und zieht an mir vorbei. „Aha“, denke ich mir, „so geht also Motivation auf Peruanisch.“

Am Camp zaubert unser Koch Vicente ein 4-Gänge-Menü auf die Bierbank, das so manches Restaurant in den Schatten stellt. Die Abendsonne schießt die letzten Strahlen über den Rücken des Humantay-Gletschers, bevor sie matt hinter den Berg plumpst. Die Nacht senkt ihren schwarzen Vorhang übers Hochplateau, und sofort fällt die Temperatur um gefühlte 20 Grad. Wir bekommen eine Idee davon, was uns erwartet. Ein letzter Schluck Muña-Tee, ein Blick in den Himmel, an dem die Sterne so klar funkeln wie zu Inka-Zeiten. Ab in den Schlafsack.

„Bei uns gibt es keinen Zimmerservice“, sagte Jean Paul noch am Vorabend, „sondern Zeltservice.“ Als um fünf Uhr früh der Koch Vicente gegen das Zelt klopft und mir eine Tasse Coca-Tee reicht, scheint der Mond so hell über das Camp, dass sich groteske Schatten in den gefrorenen Boden fressen. Die Nacht war ein langes Zittern. Daran konnte auch die Tatsache, dass ich mich Schicht für Schicht in alle meine Kleider gezwängt habe, nichts ändern. Dementsprechend kann ich es kaum erwarten, loszulaufen, um langsam aufzutauen.

Die Schritte werden schwerer

Noch ruht die Sonne hinter dem Salkantay, dem wilden Berg, doch schon bald beginnt seine Eiskrone golden zu glühen. Heute ist unser härtester Tag mit 21 Kilometern, 600 Höhenmetern Aufstieg und knapp 2.000 Höhenmetern Abstieg. Der Pfad führt uns immer näher an den Rücken des Salkantaypampa-Passes. Die Schritte wiegen immer schwerer.

Die Pferdehirten scheuchen die Gäule an uns vorbei und laufen selbst, als wäre es ein Sonntagsspaziergang durch den Park. Unser Koch Vicente wird erst nach uns loslaufen und trotzdem vor uns am Camp ankommen. Derweilen fühle ich mich wie ein Bergsteiger am Himalaja und denke nur noch im Walzertakt. Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei. Nur nicht stehen bleiben.

Nicht denken, laufen! Kondor schön und gut, wenn ich doch nur fliegen könnte. Und dann, endlich, nach drei Stunden stehe ich am Salkantaypampa-Pass. Der Wind zerrt an meiner Jacke und webt die Wolken um den Gipfel, als wäre es Zuckerwatte. Ich fühle mich dem Himmel ein Stückchen näher. Jean Paul sagt, er will eine Zeremonie für die Götter seiner Vorfahren abhalten, und lacht zum ersten Mal nicht.

„Wir Peruaner sind zwar katholisch, aber es ist unsere Pflicht, die Bräuche und Traditionen unserer Vorfahren zu bewahren.“ Er hebt drei Coca-Blätter in alle vier Himmelsrichtungen, legt sie auf einem Steinmännchen nieder, betet und dankt für einen sicheren Aufstieg. Ab jetzt geht es bergab.

Am Camp zaubert unser Koch Vicente ein 4-Gänge-Menü auf die Bierbank

Schon wieder wandelt sich die Landschaft und schickt uns nach Irland. Das ewige Eis und die eintönige Pampa liegen hinter uns, Esel grasen an Steinmauern. Mit jedem Schritt wird es grüner und wärmer, endlos schlängelt sich der Weg in den Urwald. Nach neuneinhalb Stunden ist die nächste Kurve die letzte Kurve. Ich bin staubig, müde und meine Blasen pochen. Noch nie hat sich eine heiße Dusche besser angefühlt.

Tag drei und vier verwöhnen uns mit ebenen Wegen durch den Urwald und an Bahngleisen entlang. Der Salkantay ist eine Wanderung durch die Klimazonen – vom Gletscher bis in die Tropen. Mit jedem Schritt kommen wir Machu Picchu näher, einem der sieben Weltwunder der Moderne.

Zum Schluss wird es richtig hart

Tag fünf. Der Tag. Machu Picchu Tag. Um 4.10 Uhr laufen wir in die Nacht zum ersten Checkpoint. Um fünf Uhr öffnen die Wärter die Tore. Der letzte Anstieg ist härter als alles zuvor. Treppe um Treppe steigen wir auf den Berg hinauf, rennen fast, immer getrieben von den Massen hinter uns. Treppe um Treppe, 400 Höhenmeter, bis die Oberschenkel brennen, und trotzdem geht es weiter.

Machu Picchu ist Quechua und bedeutet „alter Gipfel“. Die Inkas erbauten die Stadt im 15. Jahrhundert als Teil ihres Imperiums, das sich über ganz Südamerika erstreckte. Nach der Eroberung durch die Spanier geriet die Stadt in Vergessenheit. Im 19. Jahrhundert stießen verschiedene Forscher auf die Ruinen, doch erst der Amerikaner Hiram Bingham begriff die Bedeutung seiner Entdeckung und ebnete den Weg zur Verwandlung in Perus größte Tourismus­attraktion.

Noch liegen die Ruinen friedlich und still im Schatten. Nur ein Lama kaut gelangweilt auf einem Büschel Gras. Um Punkt 6 Uhr stürmt die Meute die Inka-Ruinen, Fotoblitze zucken durch Steingänge. Ein Selfie hier, ein Panorama da. „Spürst du die Energie?“, fragen die Führer ihre Schäfchen. Wir laufen von Haus zu Haus, von Garten zu Terrasse, von Stein zu Stein. Acht Stunden lang. Und außer meinen Oberschenkeln spüre ich nichts.

Enttäuscht setze ich mich auf eine der alten Terrassen und blicke auf die Überbleibsel der Stadt, die Wissenschaftlern bis heute ein Rätsel ist. Donner grollt über die Anden. Wolken jagen die Sonne, um sie gierig zu verschlingen. Die Touristen flüchten in Bussen vor dem Regen. Ein einzelner Sonnenstrahl trotzt der Wolkendecke, streicht mit langen Fingern zärtlich über dieses Wunder der Inkas, bevor auch er untergeht. Tropfen prasseln auf die Steine, die eben mehr als Steine sind. Und auf einmal kann ich sie spüren: die Energie von Jean Pauls Vorfahren, die einem auch ohne Höhe den Atem raubt.

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