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Dazulernen statt einstampfen

Der Videobeweis ist so erfolgreich wie nie. Auch, weil sich die Schiris in Zurückhaltung üben und Routine bekommen

Die deutschen Schiris haben Durchblick: Christian Dingert bei Ingolstadt gegen Paderborn. Auch die zweite Liga will wohl den Videobeweis Foto: dpa

Von Daniel Theweleit

Am vorigen Bundesligaspieltag wurde wieder mal ein Kraftausdruck zum großen und zeitweise auch sehr streitbaren Thema Videobeweis in die Welt gesendet. „Einstampfen“ müsse man das ganze System, hatte der Mainzer Trainer Sandro Schwarz gepoltert, nachdem sein Spieler Jonathan Burkardt von dem Berliner Per Skjelbred im Strafraum gefoult worden war. Die Sache war unstrittig, doch der Assistent im berüchtigten Kölner Keller griff nicht korrigierend ein.

Für Schwarz war das Grund genug für jede Menge Wut, allerdings lässt sich der Vorfall durchaus als Symbol des Fortschritts betrachten. „Einstampfen“ hätte den Mainzern nämlich überhaupt weitergeholfen, ohne Video Assistant Referee (VAR), wie die Technik im internationalen Jargon heißt, hätte es auch keinen Elfmeter gegeben. Hinter der Stille aus Köln steckt eine Idee. Mit großer Konsequenz verfolgen die Videoassistenten derzeit eine „zurückhaltende Linie“, sagt Lutz-Michael Fröhlich, der sportliche Leiter der Elite-Schiedsrichter im Verband, „weil das die Spannung in der Diskussion eindimensional hält“.

Nachdem in der vorigen Saison niemand mehr verstand, wann die Videoassistenten eingriffen und wann nicht, was den Eindruck einer ganz und gar willkürlichen Einflussnahme erzeugte, soll künftig höchstens noch darüber diskutiert werden, warum eine erforderliche Intervention ausgeblieben ist. Diese Art von Fehler ist erträglich, schließlich sind alle Beteiligten seit Jahrzehnten daran gewöhnt, dass der Schiedsrichter auf dem Platz Dinge übersieht oder mal etwas falsch einschätzt.

Nachdem die Videoassistenten in der Vorsaison und auch am ersten Spieltag des aktuellen Spieljahres immer wieder selbst Fehler produziert haben, sollen sie sich künftig konsequent darauf beschränken, die Fehlerquote zu reduzieren. Unter der Einhaltung dieses schlichten Vorsatzes erlebt die umstrittene Technik derzeit die ruhigste und wahrscheinlich auch erfolgreichste Phase seit der Einführung in der Bundesliga.

Für die Beteiligten ist das ein Segen. „Die Schiedsrichter kehren zu ihrer ureigenen Stärke zurück, nämlich Entscheidungen so zu treffen, wie sie ihrer Wahrnehmung auf dem Platz entsprechen“, erzählt Fröhlich. „Diese Entscheidungen waren ja schon früher, auch in schwierigen Situationen, ganz überwiegend richtig. Diese Stärke, dieser Mut, dass die Schiedsrichter auf dem Platz sich als Spielleiter präsentieren, das ist deutlich besser geworden.“

Hinter diesen Worten wird deutlich, wie sehr die Unparteiischen in der vorigen Saison unter Druck standen, wie nahe ihnen die öffentliche Hysterie rund um das Thema und die oftmals drastische Kritik von Spielern, Trainern und Funk­tionären ging. In diesem Spannungsfeld unterliefen ihnen Fehler, sie reagierten mit Übereifer statt mit Gelassenheit.

Das ist jetzt anders, und plötzlich gibt es freie Kapazitäten für Entwicklungen und Fortschritte. So wurde eine Kooperation mit der Lufthansa vereinbart, derzeit sind an den Bundesliga­spieltagen Piloten im Kölner TV-Studio zugegen, die die Arbeit der VAR beobachten, „die Abläufe und den Austausch anschauen, sich dazu Gedanken machen und uns Feedback ­geben, um die Prozesse zu verbessern“, erzählt Fröhlich.

Plötzlich gibt es sogar freie Kapazitäten für Entwicklung und Fortschritte

Allmählich Routine

Eine präzise, unzweideutige und auf das Wesentliche reduzierte Kommunikation gehört im Flugverkehr zu den Grundlagen der Sicherheit, von diesen Erfahrungen sollen die Videoassistenten profitieren. Zudem hat sich eine Routine zwischen den Operatoren, die die Bilder zur Prüfung bereitstellen, und den VAR entwickelt, und man hat erkannt, dass es talentiertere Kollegen für die Arbeit an den Bildschirmen gibt und weniger talentierte. Mittlerweile liegen Erfahrungswerte vor, welche Kameraperspektive zur Überprüfung welcher Situation am besten geeignet ist und welche Szenen besser in Echtzeit (grobe Fouls) und welche besser in Zeitlupe oder Endlosschleifen (Handspiele) bewertet werden können.

All das habe zu einer viel „entspannteren Arbeitsatmosphäre“ geführt“, sagt Fröhlich, der der Ruhe aber nicht ganz traut. Es könne jederzeit wieder schlechte Spieltage geben. Der Fortschritt wird sich aber nicht aufhalten lassen, bei aller Kritik ist längst klar, dass es kein Zurück mehr gibt. In der Champions League wird die Technik im kommenden Sommer debütieren, auch die zweite Liga wird wohl folgen. „Dazulernen“ ist da ganz sicher sinnvoller als „einstampfen“.

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