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die taz vor 15 jahren: martina habersetzer über teure lohnangleichung

Wer in einer Stadt, in einer Straße oder sogar in einem Betrieb die gleiche Arbeit macht, kann nicht unterschiedlich bezahlt werden. Vom moralischen Standpunkt her betrachtet, ist das sicher richtig. Richtig, aber zu kurz gedacht, ist ebenfalls, daß man Lohnerhöhungen einerseits und Arbeitsplatzsicherung andererseits nicht gegeneinander ausspielen kann, wie es vor allem die Innenverwaltungen bevorzugt tun. So banal wie richtig ist aber das Entscheidendste: Die Forderungen kosten Geld. Auch ohne eine Tariferhöhung im öffentlichen Dienst wird Bundesfinanzminister Waigel im Nachtragshaushalt schätzungsweise noch 30 Milliarden DM beantragen müssen. Was geht mich das an, werden sich jetzt vermutlich die im öffentlichen Dienst Beschäftigten fragen. Antwort: Eine ganze Menge. Denn in den unterschiedlichen Tarifen spürt jetzt jeder Einzelne am eigenen Leib die Folgen der überstürzten Vereinigung.

Die vorschnelle Forderung nach Angleichung der Tarife schlägt aber auch noch in anderer Hinsicht auf den Einzelnen zurück: Noch ist völlig unklar, wieviel der Staat investieren muß, um der maroden DDR auf die Sprünge zu helfen. Eines, wofür in der BRD jahrelang gekämpft wurde, fällt aber dann mit Sicherheit unter den Tisch: Staatliche Förderungen für Selbsthilfegruppen, soziale Dienste, eben alles, was sozial Benachteiligten an zusätzlichen Einrichtungen zugute kommt, wo aber der Staat besonders gern spart, weil ihn hier keine Lobby in die Knie zwingt.

Polemisch ausgedrückt: Was nützen dem Einzelnen 350 DM mehr – vorausgesetzt, er wird weiter beschäftigt –, wenn die Infra- und Sozialstruktur in kometenhafter Geschwindigkeit in den Keller rauscht? Möglicherweise ist es zuviel verlangt – dennoch sollten die Beschäftigten im öffentlichen Dienst langfristige Entwicklungen und Folgen im Auge behalten. Auch wenn das heißt, für eine Zeit weniger zu verdienen als der Kollege.

taz vom 29. 8. 1990

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