Die Wahrheit: „Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien“
Der Wahrheit-Unterbringwettbewerb 2018: Die diesjährigen Sieger des Jieper-Preises. Eine Wettkampfbetrachtung in zwölf Kapiteln.
Der Prolog
Die altehrwürdige Jury hat getagt, und auch 2018 gibt es wieder einen Sieger im Wahrheit-Unterbringwettbewerb. Dabei muss jedes Jahr ein neuer Nonsenssatz passend zum Gastland der Buchmesse in einem publizistischen Medium untergebracht werden, das als Transportmittel des höheren Nonsens dienen will. Diesmal lautete die Aufgabe: „Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien.“ Doch bevor wir die Sieger bekannt geben, treten wir eine kleine Reise durch Geschichte, Sinn und Unsinn des Wettbewerbs an.
Die Tradition
Der Jieper-Preis ist die wichtigste Auszeichnung, die auf der Frankfurter Buchmesse jedes Jahr vergeben wird. Der Name geht zurück auf den ersten Unterbringsatz 2001: „Wer Jieper hat, muss schmackofatzen.“ Immer schon gab sich die Wahrheit-Redaktion Mühe, ohrenkribbelnde Sprüche zu ziselieren, die lauteten dann zum Beispiel: „Was für Konfuzius Konfetti, sind für Chinesen die Spaghetti“ oder „Wer auf Island zischt ein Bier, wird zur Elfe im Geysir“ oder „Von Rio bis zum Orinoco tanzt den Samba jede Gamba“. Wichtig ist der Bezug zum Partnerland. Den ersten Wettbewerb gewann seinerzeit die FAZ, ihr folgten als Preisträger unter anderem Perry Rhodan, die „Lindenstraße“, die Micky Maus und „Brisant“.
Der Nonsenssatz
Früh entstand die Idee, dass sich „Orgien“ auf „Georgien“ reimen soll. Lang im Rennen war auch noch ein „Pferdekuss im Kaukasus“. Dann rückten die „Orgien in Georgien“ als Pointe an den Schluss, von dort aus ergab sich rückwärts Wort für Wort das Endergebnis: Was reimt sich auf „Orgien“? „Orgeln“ sind schon nah dran. Aber wer spielt die „Orgeln“? Orkas? Nein, „Igel“! Doch mit den „Igeln“ geht der Rhythmus erst auf, wenn ein weiteres O den Satzanfang bildet: „Ohne“. Jetzt muss noch das „keine“ her. Das war’s! „Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien“.
Die Teilnehmer
Von der Wahrheit-Seite breitete sich der Igelorgel-Satz zum Beispiel über Twitter rapido in der schreibenden Gemeinde aus. Bis zum Einsendeschluss am 4. Oktober beteiligten sich rund ein halbes hundert Autoren mit Beiträgen für Zeitungen und Zeitschriften, Radiosender und Internetportale oder andere Medien am Wettbewerb. Nur das Fernsehen war 2018 komplett absent.
Die Gescheiterten
Aber es ist auch nicht unbedingt leicht, den Nonsenssatz in der ach so seriösen Branche unterzubringen, wie das Beispiel Die Zeit zeigt. Von dort war zu erfahren, dass Endredakteure den Satz aus einem Artikel über den Hamburger Fußball gestrichen hätten, weil sie die Absicht des Autors, den Jieper-Preis zu gewinnen, durchschaut hätten. Tja, liebe Zeit, wieder eine Chance verpasst.
Die Radiosender
Mit deutlich mehr Energie gingen die Radiomacher zu Werk. Radio Sachsen-Anhalt baute den Igelorgel-Satz in eine „Nachtjournal“-Sendung ein und behauptete, dass jemand in der Hitzewelle so die Frage nach dem Weg zum Bahnhof beantwortet habe. Verstehe nur Bahnhof, verstehense!
Das christliche Berliner Radio Paradiso verkündete, dass am Tag des offenen Denkmals „die evangelische Kirche zu Tempeldorf Orgelführungen anbietet“ – unter dem bekannten Motto. Tempeldorf gibt es doch in Wahrheit gar nicht, oder?
Für Radio Bonn war es nach eigener Aussage leicht, den Satz in der „Morningshow“ unterzubringen, „handelt es sich doch um ein fast vergessenes und leider eher wenig bekanntes Beethoven-Zitat“, das „sehr cool“ ins „Beethoven-Jahr 2020“ passt. Coole Show!
Die Zeitungen
Bei den Zeitungen stechen die Badische Zeitung mit einer schönen Reportage über den Festivalsommer am Rheinufer heraus; die Leipziger Volkszeitung mit einem fabulösen Bericht über schmelzende Grenzen; die Jungle World mit einem Hinweis auf die verbotene aphrodisierende Wirkung des Südlichen Weißbrustigels; der Freitag mit einer Reminiszenz an die Rechtschreibreform 1998; und gleich zwei Blätter nutzten den Igelorgel-Satz, um die Ereignisse in Chemnitz und das Konzert mit Feine Sahne Fischfilet zu kommentieren: die Saarbrücker Zeitung und die Welt. Feine Sahne, das!
Die Regionalblätter
Bei den Regionalblättern sind uns vier besonders lieb: das Bad Herrenalb Magazin, das jedes Jahr tapfer teilnimmt und längst schon einmal den Sieg verdient hätte und diesmal den Igelorgel-Satz als Warnschild an einem Wanderweg präsentiert; und der Regenthal Anzeiger, der einen Auftritt der wahlkämpfenden grünen Prominenz in Gillamoos igelorgelig kommentiert; und die Bezirksblätter aus Neusiedl, wo die neu hinzugekommenen österreichischen Kollegen den Nonsens bei einem Nostalgiefest in Zurndorf entdeckten; sowie, nicht zu vergessen, unseren Liebling, die wackere und immerhin im 112. Jahr erscheinende Zeitschrift Spessart, die mit dem Igelorgel-Satz die Geschichte der „gepflegten Raufkultur“ bei der Kirchweih neu schrieb.
Das Internet
Die Blogs und Internetportale brachten einiges zustande, ausdrücklich erwähnt sei hier das Brüsseler Magazin politico.de, das „frischen Nonsens“ aus der Wahrheit brauchte, um die Einschränkung der Pressefreiheit in Belgien überhaupt beschreiben zu können. Im Magazin für Bildbearbeitung Docma wird eine ganze Räuberpistole um die Entwicklung von Zoom-Objektiven rund um den Igelorgel-Satz gebaut. Im Blog flow.de schält sich bei einer Rezension des „Handbuchs der Unternehmensberatung“ ganz logisch das Igelorgische als Schluss heraus.
Dass Nonsens auch eine nützliche Anwendung haben kann, bewies die Redaktion des Internetportals mobilsicher.de, der Igel-Spruch dient hier als Merksatz für ein sicheres Passwort.
Die Außenseiter
Sehr zugetan sind wir auch den Außenseitern wie der „Zeitschrift für Ältere“ Reifezeit oder dem „Vorbet-Kollektiv“ #twaudes auf Twitter oder dem Gemeindebrief der Kirchengemeinde Carlow oder der „Vereinszeitung des RuderVereinHumboldtschule Hannover e. V.“ Auslage, die wir alle aus Platzgründen nur kurz erwähnen können.
Mehr, wenn nicht sogar den Sieg versprochen haben sich sicher die Autoren des laut Untertitel „unentbehrlichen Erotik-Handbuchs“ namens „Die Sex-Flüsterer“, die im Kapitel über „Sex-Partys“ unser Nonsens-Motto ausgeben. Aber für solchen Schweinskram sind wir Igelorgler nicht zu haben.
Leider sind wir nicht korrupt, sonst hätten wir bestimmt die Damen des Süßkramladens in Fürth gewinnen lassen, die uns einiges an Hüftgold zukommen lassen könnten. Die Fünf-Jahres-Jubelfeier mit dem Igelorgel-Satz zu feiern, war jedenfalls zuckersüß.
Die Sieger
Und wer hat jetzt gewonnen? Kurz: Radio Paradiso. Die christlichen Radiomacher sind schon seit 2.000 Jahren auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: „Was ist Wahrheit?“ Jetzt ist sie endlich gefunden: „Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien“.
Der Epilog
Der Jieper-Preis – eine Flasche edler Brandy der Marke Gran Duque d’Alba, genannt „die große Ente“ – wird am nächsten Samstag, dem 13. Oktober 2018, um 14 Uhr beim Wahrheitklubtreffen auf der Frankfurter Buchmesse im Bereich Leseinsel neben dem taz-Stand (Halle 4.1, D28) überreicht. Die Wahrheit gratuliert ganz herzlich Christian Orschmann von Radio Paradiso und wünscht allen Teilnehmern eine nonsensige Zeit bis zum nächsten Wahrheit-Unterbringwettbewerb 2019.
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