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Politisch so gewollt

Er vertritt Menschen, die jahrelang in Deutschland leben, aber nie ankommen können: der Asylrechtsanwalt Aarash D. Spanta, der selbst als Kind aus Afghanistan geflohen ist. Ein Tag in seinem Büro

Spricht die Sprache seiner Mandanten: Asylrechtanwalt Aarash D. Spanta

Von Sascha Lübbe (Text) und Christian Mang (Foto)

Spantas erster Mandant an diesem Mittwoch ist ein junger Mann: Baran Naim, 25 Jahre alt, mit sauber gestutztem Haar; schwarzem Hemd, schwarzer Hose, schwarzen Schuhen. Kerzengerade sitzt er da, schluckt, dann schiebt er dem Anwalt sein Handy über den Tisch. Ein Foto. Naims jüngster Cousin, er kam vor einer Woche bei einem Anschlag in Kabul ums Leben.

„Die Deutschen sagen, Afghanistan ist sicher“, sagt Naim auf Farsi. „Wie kann das sein?“

Aarash D. Spanta, der gerne Seidenschal und Jacket trägt, ist Anwalt für Asylrecht in Berlin-Kreuzberg. In seinem Büro stapeln sich rote Akten; in den Regalen, den Schränken, auf seinem Tisch. Um die Tausend sind es; ein Großteil gehört zu jungen Afghanen wie Naim. Bei ihnen, sagt der Anwalt, verliere er inzwischen 80 Prozent der Fälle.

Es ist paradox: Die Sicherheitslage in Afghanistan ist weiter desaströs, der Lagebericht des Auswärtigen Amtes bestätigt das. Die Ablehnungsquote für Afghanen in Deutschland aber steigt, auf aktuell 52 Prozent. Wurden bisher nur Gefährder, Straftäter und sogenannte Identitätsverweigerer – ein Begriff, der schwammig ist – in das Land abgeschoben, gelten nun gar keine Einschränkungen mehr.

Unter den 69 Afghanen, die am 3. Juli „rückgeführt“ wurden, und von denen sich einer dann das Leben nahm, waren auch gut integrierte Menschen. Azubis, Berufsschüler, Praktikanten. Was macht das mit den afghanischen Flüchtlingen hier? Denen, die es sehen und denken, sie könnten jeden Tag die nächsten sein?

Naim steckt das Handy in die Hosentasche. Gleitet zurück in den Stuhl; setzt sich wieder aufrecht hin.

Spanta vertritt seit 2015 afghanische Asylbewerber wie ihn. Als die Flüchtlingszahlen stiegen, standen sie plötzlich vor seiner Tür. Er wurde selbst in Afghanistan geboren, in den achtziger Jahren floh er zusammen mit seinen Eltern nach Deutschland, heute ist er 42 Jahre alt. Er hat Jura studiert und sich auf Urheber- und Medienrecht spezialisiert, allerdings kommt er seit drei Jahren kaum noch dazu. Weil er die Sprache der Asylbewerber spricht, sagt er, erreiche er in dreißig Minuten, wofür andere Anwälte mit Dolmetscher Stunden brauchen würden.

In seiner Kanzlei bereitet er seine Mandanten auf ihre Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor und vertritt sie vor Gericht, wenn sie gegen abgelehnte Bescheide klagen. Gemeinsam gehen sie dann die Fluchtgeschichte durch. Warum musste jemand fliehen? Warum kann er nicht zurück? Spantas Aufgabe ist es, präzise Antworten darauf zu finden.

Das hat er auch bei Naim getan; nur hat es da nicht funktioniert. Seine Klage wurde abgewiesen. Mehrmals habe die Richterin ihn gefragt, ob er bei der Flucht von Kabul nach Kandahar an anderen Städten vorbeigekommen sei, sagt Spanta. Naim antwortete: Nein. „Das ist natürlich Quatsch“, sagt der Anwalt. „Er war einfach nervös.“

Naim ist Analphabet, wie einige von Spantas Mandanten. Die Situation in der Heimat, sie hat Spuren hinterlassen: In Afghanistan herrscht seit fast 40 Jahren Krieg. Straßen, Häuser, Schulen sind zerstört. Jemand, der nie zur Schule gegangen ist, der nur Krieg kennt, sagt Spanta, habe natürlich Schwierigkeiten, strukturiert zu denken. Und mehr noch, die passenden Worte für das Erlebte zu finden. Ein falsches Wort bei der Anhörung, ein kleiner Zweifel des Richters und das Verfahren ist verloren.

Gebildeten Afghanen falle es in der Regel leichter, ihre Geschichte zu erzählen, sagt der Anwalt. Vor Abschiebung schützt das aber auch sie nicht. Im Gegenteil: Wer gut ausgebildet ist, Englisch spricht, vielleicht sogar einen Deutschkurs absolviert hat, der hat mitunter ein echtes Problem. Wenn er seine Fluchtgeschichte nicht absolut glaubwürdig belegen kann, sagt Spanta, heiße es dann schnell: „Geh doch zurück, du kannst doch arbeiten.“ Bildung und Integration werden so zum Haken, sie gelten in Afghanistan als Wettbewerbsvorteil.

Das Problem, das hinter all dem steht: Die Vorstellung, es gebe in Afghanistan sichere Regionen. Von internem Schutz ist dann die Rede, von großen Städten, in die man fliehen könne; angeblich sicher genug, um dort zu leben, und sei es anonym.

Um zu bestimmen, ob eine Region sicher ist, greifen die Behörden auf eine Rechnung zurück. Dabei wird die Bevölkerungszahl der Region zu ihren „sicherheitsrelevanten Vorkommnissen“ ins Verhältnis gesetzt, zu den Toten und Verletzten. Erst wenn die Zahl einen bestimmten Wert überschreitet, gilt die Region als unsicher.

Spanta nennt diese Berechnung zynisch. Selbst wenn in einer Stadt weniger Bomben hochgehen und weniger Menschen sterben als anderswo, sagt er, hinterlassen Anschläge in der Bevölkerung doch Spuren. Auch wenn sich die Angst und der Terror nicht in Zahlen niederschlagen.

Für einige seiner Mandanten gibt es noch ein anderes Problem: Ihre Eltern sind vor Jahren in den Iran geflohen, lebten dort als Flüchtlinge, sie selbst wurden dort geboren. Afghanistan, das Land, in das man sie abschieben würde, haben sie nie gesehen. „Faktische Iraner“, nennt man sie. Eine Abschiebung, sagt der Anwalt, würden sie nicht überstehen. Weil sie in Afghanistan keine familiären Bindungen haben, keine Ressourcen.

Sein zweiter Mandant an diesem Tag ist ebenfalls ein junger Mann: Ali Zaher, 22 Jahre alt. Gedrungen, blass, das dünne Haar seitlich über den Kopf gekämmt. Gebeugt betritt er den Raum, in den Händen ein Brief. Es ist immer dasselbe Prozedere: Spanta bittet seine Mandanten, Platz zu nehmen; lässt sich die Dokumente geben; liest, tippt etwas in seinen Computer. Dann steht er auf, läuft durchs Zimmer, um eine der roten Akten zu holen.

Zahers Akte hat er schnell gefunden. Er hat sich für einen Integrationskurs angemeldet, wurde abgelehnt. Als afghanischer Asylbewerber im Verfahren darf er – anders als etwa Syrer – nicht daran teilnehmen.

In seiner Heimat hat Zaher Handys programmiert, hatte sein eigenes Geschäft. Hier verkauft er Döner in einem Imbiss in Berlin-Hellersdorf. „Ich verstehe nicht, warum ich nicht Deutsch lernen darf“, sagt er. „Deutschland braucht uns doch.“ Zahers Asylantrag wurde abgelehnt, Spanta wird dagegen klagen. Und dabei besondere Umstände geltend machen. Denn Zaher lag im Krankenhaus, 40 Tage lang, mit schweren Depressionen. Zweimal hat er versucht, sich das Leben zu nehmen.

Das Problem seiner Mandanten, sagt Spanta, sei nicht nur das Warten auf den Bescheid. Das Problem sei auch die über allem schwebende Angst vor der Abschiebung. Er erzählt von Klienten, die Deutsch lernen wollen, aber seit Jahren in Notunterkünften leben; zu fertig mit den Nerven, um zu sagen, wo sie am Vortag waren.

Ghazis Kinder sprechen mehrere Sprachen; weil sie nirgends wirklich zu Hause waren

Spanta glaubt, das sei politisch gewollt. Schließlich könnten die Behörden teilweise selbst entscheiden, ob jemand eine Arbeitserlaubnis bekommt, in eine Wohnung ziehen darf oder nicht. Für ihn sind das Stellschrauben, mit denen sich ein Ankommen verhindern lässt. Je mehr Druck man auf die Menschen ausübe, sagt Spanta, desto schwerer falle es ihnen, sich zu integrieren. Nur schieße sich der Staat damit letztlich selbst ins Knie: Menschen eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, die jahrelang hier leben und eventuell bleiben, das belaste die Kassen doch viel mehr.

Bei seinem dritten Mandanten, Hasib Ghazi, sieht man, wohin das führen kann, so ein Leben im Wartezustand. Er ist älter als die anderen beiden; 38 Jahre alt. Sein Blick ist offen, aber frei von Illusionen. Er hat Augen, die sagen: Ich habe schon alles gesehen.

Ghazi ist seit 22 Jahren auf der Flucht. Er wurde von Schleppern entführt, erzählt er, und lebte später in Griechenland auf der Straße. Er hat drei Kinder, sie sprechen mehrere Sprachen; weil auch sie nirgends wirklich zu Hause waren.

„Deutschland viel Stress“, sagt Ghazi. Sein Asylverfahren ist schon entschieden, eigentlich hat er einen Aufenthaltstitel für ein Jahr. Doch weil ein Strafverfahren gegen ihn läuft – es ging um innerfamiliäre Konflikte, Genaueres wollen Ghazi und der Anwalt nicht sagen –, stellt ihm die Ausländerbehörde keine Aufenthaltserlaubnis aus; er darf weder arbeiten noch an staatlichen Sprachkursen teilnehmen.

Der Weg in die deutsche Gesellschaft ist steinig und lang. Wer das Asylverfahren durchlaufen hat, sagt Spanta, lande im nächsten System, dem des Ausländerverwaltungsrechts, und muss dort erneut um alles kämpfen. „Ein zermürbender Prozess.“ Nicht wenigen ist er zu viel. Wer Jahre in einer Notunterkunft verbracht hat, nicht arbeiten durfte, mit nichts als der Duldung in der Hand, der könne irgendwann nicht mehr.

Dabei, sagt er, sehe man schon jetzt, wohin all diese Schikanen führen. Es gab das ja schon einmal. In den achtziger Jahren, als die Palästinenser aus dem Libanon nach Deutschland kamen und man ihnen mit Wohn- und Arbeitsauflagen den Weg in die Gesellschaft verbaute. Ein Teil der jüngsten Geschichte, sagt Spanta. „Nur hat man nichts daraus gelernt.“

Die Namen aller Mandanten sind zu ihrem Schutz geändert

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