Öko-Bauern in Brandenburg: Aktien für mehr Bio-Angebot
Eine Bürger-AG möchte regionale Landwirtschaft fördern – ohne dass Großkonzerne den Laden übernehmen können.
Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Kunden für Biolebensmittel als in Berlin, doch die meisten Bioprodukte kommen nicht aus der Region. Mit dem Verkauf von Aktien will die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg das ändern. Nach Freiburger Vorbild fördert das Unternehmen eine vielfältige, regionale Landwirtschaft und ist so konstruiert, dass kein Großinvestor den Laden übernehmen kann. Die Anteilsscheine werden ab dieser Woche verkauft.
Initiator der Bürgeraktiengesellschaft ist Timo Kaphengst. Der gelernte Landschaftsökologe hat früher wissenschaftliche Studien darüber geschrieben, was in der Landwirtschaft alles schiefläuft. Eines seiner Themen war Landgrabbing, also der Trend, dass Investoren überall auf der Welt Äcker und Felder kaufen, um dort Nahrungs- und Energiepflanzen für den Export anzubauen oder mit dem Boden zu spekulieren.
„Dass es auch in Brandenburg einen Wettlauf um Agrarland gibt, hab ich erst vor drei Jahren auf einer Veranstaltung in Chorin kapiert“, berichtet der 40-Jährige. Dort erzählte ein junger Biobauer, dass er mit vier Hektar angefangen habe, aber keine Möglichkeit sehe, an weitere Äcker zu kommen. Und obwohl der Leiter des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin ein Vorkaufsrecht für frei werdende Flächen habe, könne er sie wegen horrender Preise nicht sichern. „Das war für mich ein Schlüsselerlebnis“, berichtet Kaphengst.
Der umtriebige Mann begann zu recherchieren und entdeckte, dass sich schon mehrere Genossenschaften und Vereine mit dem Thema beschäftigten. Auf dem Gründungstreffen des Netzwerks Flächensicherung lernte er das Konzept der Regionalwert AG kennen, das der Demeter-Bauer Christian Hiß aus Freiburg entwickelt hat. Dessen Betrieb produziert 70 verschiedene Gemüsesorten, macht selbst Saatgut, und auch eine Kuhherde gehört zum „Hoforganismus“.
Doch solche Art der Landwirtschaft ist immer weniger konkurrenzfähig, weil inzwischen auch viel Biogemüse in Monokulturen angebaut wird. Deshalb kam Hiß auf die Idee, die ganze Wertschöpfungskette vom Acker bis zum Restaurant unter einem Unternehmensdach zu vereinen und Menschen aus der Umgebung durch Aktien an den Risiken, aber auch an den Gewinnen zu beteiligen. Das Freiburger Modell funktioniert nun schon seit zwölf Jahren und hat inzwischen mehrere Nachahmer gefunden – jetzt auch in Berlin-Brandenburg.
Timo Kaphengst, Regionalwert AG
Die Ausgangslage ist im Prinzip gut. Berlin ist der größte Biomarkt in Deutschland, auch „regional“ ist bei der Kundschaft angesagt. Doch die Nachfrage kann nicht befriedigt werden. Auf den meisten Feldern in Brandenburg wachsen Raps, Mais, Weizen und Gerste – ein Großteil davon geht als Tierfutter auf den Weltmarkt oder wird in Biogasanlagen eingesetzt. Nicht einmal 400 Hektar Acker in Brandenburg sind mit Biofeingemüse wie Salat, Möhren und Kohlrabi bestellt, das entspricht gerade einmal der Größe des Tempelhofer Felds.
Dabei könnte Berlin die benötigten Lebensmittelmengen theoretisch vollständig aus einem Radius von 71 Kilometern Umkreis beziehen, hat Ingo Zasada vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung ausgerechnet. Selbst eine Komplettversorgung der 3,5 Millionen EinwohnerInnen mit Bioprodukten aus Brandenburg wäre möglich, wenn nicht wie bisher 30 Prozent der Produktion weggeschmissen würde, bevor sie auf den Tellern landet.
„Wir können nicht auf die Politik warten, wir müssen die Agrarwende selber machen“, sagt Bauer Jochen Fritz, der die jährliche „Wir haben es satt!“-Demo organisiert und ab kommender Woche gemeinsam mit Timo Kaphengst die Regionalwert AG leiten wird. 200 AktionärInnen gibt es bereits: Der Biobetrieb Apfeltraum bei Müncheberg hatte vor einigen Jahren die Sanierung eines Hofgebäudes mithilfe von Anteilsscheinen finanziert.
Bei der letzten Hauptversammlung beschlossen die Geldgeber, sich in Regionalwert AG Berlin-Brandenburg umzubenennen. Nun hoffen die beiden Vorstände, bis zum Jahresende weitere 100.000 Euro einzusammeln. In den kommenden Jahren peilen sie dann mehrere Millionen Euro an. „Ein Spaziergang wird das nicht, aber wir sind optimistisch“, sagt Timo Kaphengst, der auch den Berliner Ernährungsrat mit aufgebaut hat.
Einsetzen wollen sie das Geld, um kleine Produzenten und Verarbeiter zu stärken und zu vernetzen. „Es gibt rund um Berlin viele landwirtschaftliche Betriebe, die erst ein paar Jahre alt sind und große Probleme haben, an Geld zu kommen“, berichtet Fritz. Aus Sicht der Banken ist deren Investitionsbedarf zu klein, als dass sich ein Kreditberater überhaupt damit beschäftigte. Auch ist es für die Höfe sehr mühsam, ihre Produkte zu vermarkten.
„Wie kommt das Ei nach Berlin?“, bringt Fritz das Problem seines eigenen Betriebs in Werder auf den Punkt. Er selbst hat neben einer Wasserbüffelherde auch rund 400 glückliche Zweinutzenhühner. Sie wohnen in mobilen Ställen – umgebauten Bauwagen – und haben tagsüber viel Auslauf zwischen Kirschbäumen, um zu picken und zu scharren. Alle zehn Tage versetzt Fritz den Zaun, damit die Tiere den Bewuchs gleichmäßig abfressen und den Boden düngen. Die Eier zur Markthalle Neun und anderen Verkaufsstellen zu bringen ist mühsam und zeitaufwändig. Deshalb will die Regionalwert AG helfen, solche Kleinmengen von verschiedenen Höfen zu bündeln.
„Wenn Biobetriebe ein überzeugendes Konzept haben, wollen wir sie unterstützen – finanziell, aber auch informell“, so Fritz. Entscheidend sei, dass es auch menschlich passt. Schließlich gehe es der Regionalwert AG um langfristige Partnerschaften. Mehrere Betriebe hätten bereits ihre Wünsche nach einer Käserei, einer Mosterei, Hühnermobilen oder Schafställen angekündigt. Auch beim Kauf weiterer Äcker wünschen sich manche finanzielle Hilfe.
„Wir als Bürgeraktiengesellschaft wollen zusammen mit vielen Menschen etwas Großes verändern“, fasst Fritz zusammen – und wie der Bauer das sagt, klingt es sehr bodenständig. Für den Nebenerwerbslandwirt und Demoorganisator ist ein Hof auch ein soziales Projekt. Schon mehrere Schülerpraktikantinnen haben bei ihm in die Landwirtschaft reingeschnuppert, und wenn ein Zaun zu bauen ist, kann Fritz auf Unterstützung von Freiwilligen setzen. „Es geht ums Gemeinschaftsgefühl und darum, etwas zusammen zu bewegen.
Nicht nur in der Berliner Bevölkerung, sondern auch in der Politik sehen die beiden Männer derzeit die Bereitschaft zu strukturellen Veränderungen. Die für Verbraucherschutz zuständige Staatssekretärin Margit Gottstein erarbeitet bis Ende 2018 zusammen mit der Zivilgesellschaft eine Ernährungsstrategie.
Zudem hat der Senat im Haushalt Geld für ein Haus der Ernährung eingestellt, das sich um eine gute Kantinenversorgung kümmern soll. „Die Regionalwert AG ist ein Zahnrad von vielen in einem großen Netzwerk“, meint Jochen Fritz. „Wir schließen die Lücke, Geld für Investitionen zu beschaffen“, ergänzt Timo Kaphengst.
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