: Deutsche Einheit im Dunkeln
Wer das Brandenburger Tor zum Einheitsfest inszenieren wird, ist unklar. Künstler wittern Betrug
Von Ronald Berg
Zum diesjährigen Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober plant das Land Berlin ein großes Bürgerfest rund um das Brandenburger Tor. Bei der Vorbereitung der Festaktivitäten durch die landeseigene Kulturprojekte GmbH gibt es allerdings Merkwürdigkeiten. Diese betreffen in erster Linie die „Inszenierung des Brandenburger Tores“ und dessen „unmittelbare Umgebung“ als „Symbol der Einheit in Deutschland und Europa“, wie es in der Ausschreibung zu einem Ideenwettbewerb im März hieß. Einsendeschluss zu diesem Wettbewerb war bereits der neunte April.
Doch bis heute, einen Monat vor dem Ereignis, wissen weder die Künstler noch die Öffentlichkeit, wer die Ausschreibung gewonnen hat, wer in der Jury saß und wie deren etwaige Entscheidung begründet worden wäre. Auf Nachfrage erhielt der Künstler Olaf Arndt, der sich selbst am Wettbewerb beteiligt hatte, von der Kulturprojekte GmbH die knappe Antwort: „Der Sieger wird zu gegebener Zeit öffentlich bekannt gegeben.“
Der Ideenwettbewerb für das Berliner Wahrzeichen war immerhin mit stolzen 50.000 Euro dotiert. Für den ersten Platz waren 25.000 Euro vorgesehen, für den zweiten und dritten Preisträger 15.000 bzw. 10.000 Euro. Das Preisgeld wäre damit vergleichsweise hoch ausgefallen. Für die dreitägige Inszenierung des Brandenburger Tores selbst hätten laut Ausschreibung gar 800.000 Euro ausgeben werden können. Wettbewerbe zu Kunst am Bau bzw. Kunst im öffentlichen Raum werden üblicherweise nach bestimmten Regelungen ausgerichtet. Das betrifft etwa die Beteiligung von Künstler*innenverbänden oder neutralen Sachverständigen. Ausgerechnet künstlerische Großprojekte über 500.000 Euro – so etwa auch die Ausstattung mit Kunst beim Flughafen BBR – fallen allerdings nicht darunter.
Auf die Bitte des Künstlers Olaf Arndt um Aufklärung über das Ergebnis des Wettbewerbs weigerte sich die Kulturprojekte GmbH übrigens mit der Begründung, die besagten Informationen seien vertraulich, da es sich um eine „freihändige Vergabe“ gemäß der Landeshaushaltsordnung handle. Dort werden öffentliche Ausschreibungen allerdings als Regel festgelegt – also eben nicht freihändig. Nur eine nicht näher benannte „Natur des Geschäfts oder besondere Umstände“ würden eine Ausnahme rechtfertigen (§ 55 LHO). Auch der Hinweis auf die Vergabe‑ und Vertragsordnung für Leistungen (VOL), auf die sich die Kulturprojekte GmbH zusätzlich beruft, irritiert. Denn bei den hier geregelten Bestimmungen zur Ausschreibung und Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand werden freiberufliche Künstler ausdrücklich ausgenommen.
Wenn die Kulturprojekte GmbH also tatsächlich eine freihändige Vergabe vorgenommen hat, wozu gab es denn überhaupt einen Ideenwettbewerb? Zumal das Wettbewerbsverfahren zahlreiche Ungereimtheiten aufweist. Zunächst: Die Preissumme stammt aus Mitteln der Lottostiftung Berlin, deren Millioneneinnahmen regelmäßig am Parlament vorbei von einem kleinem Gremium von Politikvertretern vergeben werden. Die Gremiumsmitglieder werden von der jeweiligen Berliner Regierung ernannt.
Merkwürdig auch die mit vier Wochen (inklusive Ostertagen) kurze Frist von der Ausschreibung bis zum Einsendeschluss der Unterlagen für die Künstler. Bei einem Auftragsvolumen von fast einer Million Euro ist das für Konzept, Visualisierung, Darlegung der technischen Realisierung und Kostenkalkulation sehr anspruchsvoll – selbst für erfahrene Künstlerprofis.
Intransparentes Verfahren
Das Fest Die Feierlichkeiten zum diesjährigen Tag der deutschen Einheit zwischen Reichstag, Tiergarten und Brandenburger Tor sollen laut Senatskanzlei den „innovativen, sozialen und auf die Zukunft gerichteten Charakter der Stadt erlebbar“ machen.
Das Angebot Aufgeboten werden etwa eine „Robotik-Lösung“ für die Altenpflege, Workshops für die „digitale Jugendkultur“ oder eine virtuelle Zeitreise in das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Im „Energy Dance Cube“ des Bundeswirtschaftsministeriums kann durch Tanzen Energie erzeugt werden, es geht um Smart Urban Farming und der Künstler Ólafur Elíasson bietet Solarenergie zum Mitmachen. Mehr als 200 Initiativen und Institutionen beteiligen sich am Bürgerfest. Durch eine „künstlerische Bespielung“ des Brandenburger Tors soll „mithilfe eines starken Bilds“ zu einer Auseinandersetzung mit den Themen der Einheit bewegt werden.
Warum Informationen zum Wettbewerb wie zur Art der Inszenierung des Brandenburger Tores bis heute geheimgehalten werden, darauf gibt Julian Mieth (Grüne), als „Gesamtprojektleiter“ in der Senatskanzlei zuständig für die Festaktivitäten zum Tag der deutschen Einheit, eine ungewöhnliche Antwort. Auf taz-Anfrage gibt er an, die Inszenierung des Tores solle eine „Überraschung“ werden. Mehr sagt er derzeit dazu nicht.
Der Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin (BBK), der sonst Kunst-im-öffentlichen-Raum‑Wettbewerbe begleitet, hält die ganze Vorgehensweise der Kulturprojekte in Sachen Brandenburger Tor für „intransparent“. Das führe zur „Verunsicherung und Verärgerung vieler beteiligter Künstler*innen“, meint Elfriede Müller vom Büro für Kunst im öffentlichen Raum des BBK. „Dass Künstler*innen bis heute überhaupt keine Information nach der Jurysitzung über die Entscheidungsfindung erhalten haben, ist mehr als ungewöhnlich und meines Wissens in Berlin seit den 90er Jahren bei öffentlichen Verfahren auch noch nie vorgekommen“, moniert Müller.
Auch die Künstlerin Katrin Wegemann, ebenfalls eine Teilnehmerin am Wettbewerb zum Brandenburger Tor, hält dessen Abwicklung für einen Skandal und nennt das Gebaren der Kulturprojekte GmbH „unseriös“. Ihr Kollege Olaf Arndt meint inzwischen sogar, das in „höchsten Maße unklare Verfahren“ des Wettbewerbs lege die „Vermutung nahe, dass ein Wettbewerb hier nur fingiert“ sein könnte. In diesem Falle hätten Arndt (und mit ihm die angeblich mehr als 20 anderen Teilnehmer des Wettbewerbs) umsonst gearbeitet.
Fraglich bleibt, ob Preisgelder überhaupt vergeben worden sind, wenn ja, an wen und warum, und was nun eigentlich für den Tag der deutschen Einheit geplant ist. Bis jetzt kann man nur spekulieren. Am 20. September ist eine Programm-Pressekonferenz zum Tag der Deutschen Einheit angesetzt. Spätestens dann werden die Kulturprojekte sich erklären müssen.
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