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Minister Stamp gegen Stadt Bochum

Wegen der Abschiebung von Sami A. droht Bochum ein Zwangsgeld. Das würde NRW zugute kommen

Von Anett Selle, Köln

Was sich in Nordrhein-Westfalen gerade abspielt, wirkt wie aus einem Drehbuch abgeschrieben. Ein Amt wird über einen bevorstehenden Abschiebetermin bewusst im Unklaren gelassen, ein Gericht nicht informiert, in der Folge geht ein Abschiebeverbot erst ein, als der Abzuschiebende schon im Flieger sitzt. Nun sieht es so aus, als würde derjenige, der das alles zu verantworten hat, davon indirekt profitieren.

Aber der Reihe nach: Sami A., ein mutmaßlicher ehemaliger Leibwächter von Osama Bin Laden, wurde am 13. Juli abgeschoben. Diese Abschiebung hat das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen als „grob rechtswidrig“ bezeichnet, da ein Abschiebeverbot am Freitagmorgen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) übermittelt worden war.

Sami A. wurde dennoch den tunesischen Behörden übergeben. Nach seiner Abschiebung befand sich Sami A. zunächst in Untersuchungshaft, die tunesischen Behörden ermitteln wegen Terrorverdachts. Nach 15 Tagen Haft, am 27. Juli, entschied ein Untersuchungsrichter die vorläufige Freilassung von Sami A. Seinen Pass behalten die tunesischen Behörden aber nach wie vor ein – was eine Rückholung zusätzlich erschwert.

Währenddessen geht es in Deutschland rund: Das VG Gelsenkirchen hatte der Stadt Bochum eine Frist zur Rückholung gesetzt, andernfalls droht ein Zwangsgeld von 10.000 Euro. Bochum gilt hier als rechtlich zuständig, weil Sami A. dort vor seiner Abschiebung wohnhaft war. Während die Frist lief, trafen sich Rechts- und Integrationsausschuss des Landes am 20. Juli zu einer Sondersitzung. Auch NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) war zugegen. Die Sitzung sollte klären, warum sowohl das Bamf als auch das VG über den bevorstehenden Abschiebetermin nicht informiert waren – was zu dem verspäteten Eingang des Abschiebeverbots führte.

Stamp übernahm die Verantwortung für das Vorgehen: „Wir sprechen nur mit den Rechtsstellen, die zwingend von uns informiert werden müssen“, sagte er. Die Abschiebung von Sami A. habe sein Ministerium zusammen mit der Bundespolizei organisiert. Stamp habe verhindern wollen, dass es zu „Durchstechereien“ komme, gefolgt von Maßnahmen, die das ­Vorhaben „torpedieren“. Davon, dass beim VG noch eine Entscheidung anhängig war, habe er nichts gewusst. Nun ist Sami A. außer Landes – aber das Vorgehen hat Folgen für Bochum.

Die vom VG Gelsenkirchen gesetzte Frist zur Rückholung hat das Oberverwaltungsgericht in Münster bestätigt. Bochum habe bislang keinerlei Bemühung gezeigt, Sami A. zurückzuholen, schreibt das Gericht in seiner Begründung. Die Frist lief bis Dienstag um Mitternacht. Die Anwältin von Sami A. hatte angekündigt, die Zahlung des Zwangsgelds unmittelbar nach Fristablauf einzufordern. Sollte es zur Zahlung kommen, flösse das Geld der SPD-regierten Stadt in eine Staatskasse, so ein Sprecher des VGs. Genauer: in eine Landeskasse. Und so würde die CDU/FDP-Landesregierung von der Unrechtmäßigkeit ihrer eigenen Abschiebung einen finanziellen Vorteil haben.

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