Die Wahrheit: Miss Verstanden im Sammelbecken
Die Wahrheit zu Gast bei Sahra Wagenknecht und ihrem Hausdiener. Die Initiatorin von „Aufstehen“ ist in linker Hochform.
Die Spannung ist jetzt schon unerträglich. Am 4. September wird Sahra Wagenknecht der Weltöffentlichkeit ihre große, ihre neue Sammlungsbewegung „#Aufstehen“ präsentieren. In der Berliner Bundespressekonferenz, mit krassem Manifest, schickem Hashtag, einer mitreißenden Hymne – und der feierlichen Bekanntgabe von vierzig Hochprominenten.
Die unterstützen die gute linke Sache, haben „sich bisher aber noch nicht öffentlich geäußert und zur Bewegung bekannt“. Das teilte Wagenknechts Sprecher Oskar Lafontaine jüngst mit. Wer also wird dabei sein? Bislang ist ja nur bekannt, dass sich die Grünen-Rentnerin Antje Vollmer ebenfalls aufrappeln will. Exklusiv für die Wahrheit öffnet Sahra Wagenknecht nun Herz und Türen.
Merzig-Silwingen, ein gemütliches Dorf nahe der französischen Grenze. Strahlend lächelnd bittet uns die Fraktionschefin der Linkspartei in ihre Villa. Wagenknecht trägt ein dezentes Etui-Kleid in gebrochenem Taupe, dazu Kitten-Heels und eine Statement-Kette von Zalando. Das „schöne und kluge Aushängeschild der Linkspartei“ (SuperIllu) geleitet uns ins Wohnzimmer, einen Traum in Apricot und Shabby-Chic. Im Hintergrund schlurft ein alter, weißhaariger Mann durchs Zimmer. Der Hausdiener?
„Die Zeit der linken Spaltung ist vorbei!“, sagt die schöne Sozialistin, gießt uns Mezzo-Mix ein. Die #Aufstehen-Bewegung solle eine „Bewegung aller Linken“ sein, „und das schließt die AfD ausdrücklich mit ein – schließlich steht die AfD links von der SS, zumindest in Teilen“. Und wie kam sie auf den tollen Namen #Aufstehen? „Na ja, erst haben wir überlegt, die Bewegung WASG zu nennen, abgekürzt für WAgenknecht-Sahras Gemeinschaft, aber dann hat sich mein Mann im Rotweinrausch an den tollen Song von den Bots erinnert: 'Alle Menschen, die ein besseres Leben wünschen, sollen aufstehn!’“ Jetzt kommt Leben in den alten Mann im Fernsehsessel. Er drückt sich hoch, plumpst ermattet wieder hinein.
„Dass Konstantin Wecker öffentlich erklärt hat, nicht mitzumachen, das hat mich wütend und traurig gemacht“, bekennt die inzwischen überzeugte Saarländerin. „Denn Konstantin ist doch immer mit dabei, wenn es um viel Wind und wenig Wirkung geht.“ Stille im stilvoll eingerichteten Salon. Nur das Keuchen des alten Mannes ist zu hören. Er zappt.
Verrat an der Bewegung
„Wecker hat die Bewegung verraten“, sagt die elegante Hausdame. „Er hat nicht verstanden, dass es um etwas Großes geht, um Einigkeit. Sehen Sie – auch ich bin gespalten, suche meine innere Einheit: Ich bin charismatisch, zugleich aber auch ein scheues Reh. Einerseits bin ich Stil-Ikone, andererseits trage ich privat schon mal Schlabber-Couture und silberne Crocs. Die einen sehen in mir Rosa Luxemburg, die anderen Frida Kahlo. Dabei stehe ich Mutter Teresa viel näher.“ Betroffen reichen wir Sahra ein Taschentuch. Sie trocknet ihre Tränen.
„Ich sage immer: Probleme zu verschweigen ist nicht links. Und wir Linken haben ein Problem mit Rechtspopulismus und mit den Wahlergebnissen. Dass daran vor allem die Asyltouristen und Wirtschaftsflüchtlinge schuld sind, das will ich nicht behaupten! Das tun ja schon andere, zum Beispiel mein Mann.“
„Es gibt also einen Mann in Ihrem Leben?“, fragen wir, doch die süße Sozialistin winkt müde ab. „Einen? Ach woher denn – Tausende, ja Millionen! Sie kommen in Booten aus Afrika! Dabei wäre es doch das Humanste, man würde sie da einfach belassen – das spart Milliarden an Reisekosten!“ Ob sie denn etwas gegen Ausländer habe, wollen wir wissen und schauen streng in ihre kastanienbraunen Augen.
Flüchtlinge in Bouclé-Optik
„Ach Quatsch, ich habe überhaupt nichts gegen Flüchtlinge, sie sind Menschen wie ich – oder wären es jedenfalls, wenn sie etwas mehr Bildung hätten und schönere Sachen an, zum Beispiel mal ein Damenkostüm in angesagter Bouclé-Optik mit paspelierten Taschen und langen Puffärmeln. Ich sage nur: Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt. Aber als ich das sagte, da wurde ich mal wieder missverstanden.“ Die gutaussehende Linkspolitikerin mit dem geheimen Faible für Foie gras und Bankenregulierung steht auf und reckt die Fäuste zur eierschalfarbenen Zimmerdecke. „Ich wurde schon so oft missverstanden, dass ich direkt zur Miss-Wahl gehen könnte – als Miss Verstanden. Verstehen Sie den Witz?“
Wir lachen schrill und schenkelklopfend, kugeln uns auf dem Terrakottaboden. Der Mann im Fernsehsessel schaut verwirrt auf, dann fängt er weiter Fliegen. „Nein“, sagt die Miss, sie wolle keinesfalls nationalistisch argumentieren. Die neue Sammlungsbewegung solle auch nicht national beschränkt sein, schließlich sei die Linke „immer internationalistisch“ gewesen.
Von Recep Tayyip Erdoğan habe sie bereits positive Rückmeldung bekommen, ebenso von Boris Johnson, mit dem sie eine geheime Leidenschaft fürs Fahrradfahren und gegen Überfremdung verbindet. „Seinen Witz, dass Frauen mit Burkas wie Bankräuber oder Briefkästen aussähen, fand ich aber unpassend und falsch“, sagt die 48-Jährige. „Die sehen doch viel eher aus wie Mülleimer oder kleine Bierzelte.“ Jetzt lacht auch der weißhaarige Mann im TV-Fauteuil, aus seinem Mund fliegen Fliegen.
„Wer wird denn jetzt“, fragen wir, „auf der Promi-Liste stehen, die Sie am 4. September bekannt geben?“ Der linke Lady-Boss zögert noch, dann hagelt es Breaking News: „Okay, aber das bleibt unter uns: Ziemlich sicher wird Horst Seehofer dabei sein. Der ist ja auch links, jedenfalls ein bisschen links von der AfD, wenn auch nur ein ganz kleines Bitzli-Bisschen, aber ich bin da nicht kleinlich. Und Jens Spahn! Der ist zwar überhaupt nicht links, aber er hat mir privat versichert, dass er Linksträger sei, und das ist ja insgesamt schon mal ein positives Signal.“
Fiebrig bewegt
Fiebernd schreiben wir mit, im Stehen selbstverständlich, denn die Kraft der Sammlungsbewegung hat auch uns erreicht. Peter Gauweiler sei „natürlich“ mit dabei, auch Reinhold Beckmann, wenn auch eher aus Versehen, „aber der ließ sich nicht mehr abschütteln“. Außerdem Uschi Glas und Gloria von Thurn und Taxis, überraschenderweise auch Jörg Kachelmann. „Der will halt auch mal wieder irgendwo mitmischen. Besonders freut mich aber, dass Bernd Lucke und Frauke Petry mit im Boot sind. Die haben einen hohen Bekanntheitsgrad und sind zurzeit politisch irgendwie … heimatlos. Definitiv dabei sein wird auch Bernd Bege- oder Stegemann, das weiß ich jetzt nicht so genau. Und Jan Ullrich! Der sammelt sich ja auch selbst gerade.“ Ullrich habe lediglich zur Auflage gemacht, dass Til Schweiger nicht auch dabei sein dürfe.
„Doch da konnte ich ihm keine leeren Versprechungen machen“, kichert die schöne Sozialistin zum Abschied. „Wir von #Aufstehen sind für alle und alles ganz weit offen. Ein Bitzli-Bisschen so wie ein Arsch beziehungsweise mein Mann.“ Der Mann im Fernsehsessel winkt mit der Fliegenklatsche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene