: Wer hat Angst vor diesem Mann?
Alex Jones und sein Kanal Infowars wurden in dieser Woche von vielen große Onlineplattformen verbannt. Im Kampf gegen Verschwörungstheorien wird das wenig helfen. Dafür sind diese im politischen Diskurs der USA viel zu tief verwurzelt
Von Peter Weissenburger und Meike Laaff
Trumpland versinkt in Verschwörungstheorien? Wie nie zuvor bestimmen wahnwitzige Überzeugungen und Feindbilder die Debatte der USA? Joseph Uscinski hält das für ein Hirngespinst von Journalisten. „Linke zeichnen gern das Bild von der verschwörungstheoretischen Rechten“, sagt der Politologe von der Universität Miami. Dabei sei der Hang zum Geschichtenspinnen bei Linken ebenso gegeben, man müsse sich nur den Komplex um die russische Einmischung in die Wahlen anschauen. „Egal ob die Mueller-Untersuchung am Ende Wahlbetrug aufdeckt – die Überzeugungen der Linken werden sich längst gebildet haben, und zwar unabhängig von jedem Beweis.“
Uscinski beschäftigt sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien und hat 2014 das Buch „American Conspiracy Theories“ veröffentlicht. „Menschen auf der linken wie der rechten Seite des politischen Spektrums sind genau gleich anfällig für Verschwörungstheorien“, sagt er. Wobei links bei ihm das gesamte Spektrum der Demokratischen Partei umfasst (von der etablierten Oppositionsführerin Nancy Pelosi bis hin zur Antifa) und rechts dementsprechend alle Republikaner*innen. Aufbauend auf eigenen Erhebungen attestiert der Wissenschaftler jeweils der Hälfte der Demokraten und Republikaner einen solchen Hang zum Verschwörerischen.
Neu sei in der Ära Trump hingegen etwas anderes. „Normalerweise läuft es wie folgt: Gibt es einen republikanischen Präsidenten, dann ergeht sich die Linke in Verschwörungstheorien, ist es ein Demokrat, dann ist es andersherum.“ Uscinski verweist auf George W. Bush und die Theorie, dass 9/11 inszeniert gewesen sei (die Anhänger dieser Idee sind bekannt als „Truthers“). Umfragen kamen zu dem Ergebnis, dass zeitweise 35 Prozent der Demokrat*innen daran glaubten. Ein vergleichbar großer Teil der Republikaner*innen vertrat später die Behauptung, Barack Obama sei nicht in den USA geboren worden (das waren dann die „Birthers“).
Verschwörungstheorien gehörten zum politischen Diskurs der USA spätestens seit dem Mord an John F. Kennedy einfach dazu, sagt Uscinski. Ein neues Phänomen sei allerdings, dass die Rechte mit Trumps Wahl nicht aufgehört hat, sondern fröhlich weiter theoretisiert.
Prominent sind dabei Onlinemedien wie Infowars, The Gateway Pundit, oder Breitbart, die sich irgendwo zwischen klassischem Konservatismus, Verschwörungstheorien und neurechten Erregungsdebatten bewegen. Sie haben mit der Wahl 2016 Berühmtheit erlangt. Zur Trump-Ära gehören sie einfach dazu.
In dieser Woche hat die Auseinandersetzung zwischen Infowars-Verschwörungstheoretiker Alex Jones und den großen Social-Media-Konzernen wieder den Blick auf die gefährlichen Entwicklungen im politischen Diskurs der USA gerichtet, die – durch die Vernetzung – natürlich auch den politischen Diskurs in Europa betreffen. Facebook, YouTube, Apple und andere Plattformbetreiber wollen künftig die Inhalte des Infowars-Predigers Alex Jones nicht mehr ausspielen – auf Druck von Aktivist*innen, die auf dessen Hetze gegen Minderheiten und sein Spiel mit Falschinformationen verweisen.
So verbreitete Jones wiederholt die Behauptung, dass es das Massaker von Sandy Hook nie gegeben haben soll. In dem Ort im Bundesstaat Connecticut erschoss ein 20-Jähriger im Jahr 2012 20 Grundschulkinder. Wie bei ähnlichen Fällen entspann sich im Anschluss eine Debatte über die US-Waffengesetze – aber auch eine breite Palette von Verschwörungstheorien seitens extremer Waffenfans. Ähnliches passierte nach den Schießereien in der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland im Februar und im Mandalay Bay Hotel in Las Vegas im vergangenen Oktober. Jedes Mal entstanden Theorien. Jedes Mal ging es in die gleiche Richtung: Der Staat steckt irgendwie dahinter, es geht darum, den Amerikaner*innen ihre Waffen wegzunehmen. Und jedes Mal beteiligt sich Alex Jones in seinen stundenlangen Monologen an der Verbreitung. Von einigen Eltern erschossener Kinder aus Sandy Hook wurde er deshalb kürzlich verklagt.
Nur Twitter macht nicht mit
Einzig Twitter scherte aus und schob die Verantwortung von sich weg. Twitter-Chef Jack Dorsey appellierte an „kritische Journalist*innen“, den politisch schädlichen Inhalten durch Berichterstattung entgegenzuwirken. Eine kaum zu lösende Aufgabe, bei all den kursierenden Verschwörungstheorien um Sandy Hook, Las Vegas und Parkland – ganz zu schweigen von dem fast schon originellen „Pizzagate“, bei dem es um Hillary Clintons angebliche Verstrickung in die Kindesmissbrauchs-Mafia geht; dem etwas diffuseren „Deep State“, bei dem eine Untergrundorganisation, verteilt über staatliche Behörden, an Donald Trumps Niedergang arbeiten soll; und das restlos abgedrehte „QAnon“, bei dem die Gläubigen in Postings nach Geheimbotschaften suchen wie Dan Brown in der Bibel.
Begleitet wird das Ganze von einem Präsidenten, der die generelle Verschwörungstheoretisiererei seiner Fans immer wieder befeuert. Selten explizit, indem er Theorien wortwörtlich weiterträgt. Eher durch die „Alle sind gegen mich“-Haltung, das Feindbilddenken, das Verbreiten von Halbwahrheiten, das diesen Präsidenten auszeichnet – und das Verschwörungstheoretiker*innen darin bestärkt, sich lieber mit dem zu befassen was sein könnte, anstatt mit dem, was ist.
Womit wir bei der Kernfrage der Trump-Ära wären: Wie kann der politische Diskurs, geprägt durch Verschwörungstheorien, Falschinformationen und extrem verkürzten Weltbildern, noch repariert werden? Wem kommt diese Verantwortung zu? Und ist überhaupt etwas so sehr kaputt, dass sich der ganze Alarmismus lohnt?
Die Präsidentschaftswahl 2016 und die Zeit seither sind geprägt durch polarisierende Debatten im Netz, durch Gerüchte und krude Szenarien wie keine zuvor – ganz egal, ob dabei nun von russischer Seite Einfluss genommen worden ist oder nicht. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass das Netz als Raum für politische Diskussionen für alle erst in den letzten Jahren entstanden ist. Beim letzten großen Machtwechsel in den USA, im Jahr 2008, benutzten putzige 100 Millionen Menschen regelmäßig Facebook. Als die Trump- und Clinton-Kampagnen an ihren Höhepunkt kamen, waren es 1,8 Milliarden.
Der Kandidat Trump, ein politischer Emporkömmling, der seine Außenseiterrolle zu seinem Vorteil wenden wollte, nutzte diese neuen Medien geschickt. „Anstatt den normalen Mainstream-Republikaner*innen nachzujagen, konzentrierte er sich auf diejenigen, die verschwörungstheoretisch veranlagt sind – und die normalerweise von der Partei vernachlässigt werden“, sagt Uscinski.
Dass Verschwörungstheorien im rechten Spektrum weiter gedeihen, liegt daran, dass sich Trump auch als Präsident weiterhin als politischer Außenseiter darstellt; dass seine Chance für eine Wiederwahl von den extremen, nicht den gemäßigten Republikaner-*innen abhängt; und dass Trump sowie ihm nahestehende Personen selbst Verschwörungstheorien nähren, dazu gehört vor allem sein Sohn Donald Trump Jr., den das Magazin Politico deswegen kürzlich als einen „Entsandten seines Vaters für den politischen Rand“ bezeichnete.
Wichtig ist bei alledem, dass die verschwörungstheoretischen Portale wie Infowars nur eine Minderheit erreichen. Mehr noch, ihre Userzahlen gehen zurück – was die Betreiber*innen zu einer neuen Verschwörungstheorie inspiriert hat. Unter dem Stichwort „Shadowbanning“ behaupten Rechte inzwischen, dass Twitter und andere soziale Medien rechte Stimmen zensieren würden. Eine Behauptung, die neben mehreren republikanischen Abgeordneten auch der Präsident höchstpersönlich verbreitet.
Hundertprozentig falsch ist das zwar nicht – zumindest Falschinformationen werden bei Facebook inzwischen weniger prominent ausgespielt. In seiner Absolutheit ist „Shadowbanning“ aber nichts weiter als eine Verschwörungtheorie.
Der Zwang zur Reaktion
Und genau da liegt das Problem: Der provokative Charakter von Verschwörungstheorien zwingt die Gegenseite dazu, zu reagieren. Ohne ein gesteigertes Interesse der Linken wären rechte Verschwörungstheorien womöglich weniger prominent. Eine Kombination aus dem bipolaren US-System und der Social-Media-Blase, in der es Zwischentöne schwerer haben als Extrempositionen, sorgt aber dafür, dass der größte Unsinn als diskursrelevant erscheint.
Und so stellt sich auch die Frage, was mit dem Rauswurf von Alex Jones aus fast allen großen Internetplattformen eigentlich gewonnen ist. Klar ist: Es wird ihm schwerfallen, sein Publikum weiter zu vergrößern, wenn etwa seine Videos YouTube-Nutzer*innen nicht einfach so in die Empfehlungsspalte gespült werden. Klar ist aber auch: Alex Jones wird neue Kanäle finden, um seine Botschaften zu verbreiten.
Sicher ist in jedem Fall: Seine Anhängerschaft wird ihn zum Märtyrer freier Meinungsäußerung stilisieren – zum Opfer der Zensur durch den linksliberalen Medienmainstream. Womöglich wird ihm auch der Präsident beispringen, der sich einst als Infowars-Fan bezeichnet hat.
Linke wie Rechte in den USA befeuern ein sich ewig drehendes Rad von wahnwitziger Behauptung und wahnwitziger Gegenbehauptung. Jede Gelegenheit, den politischen Gegner als verrückt, verblendet und idiotisch darzustellen und so zu antagonisieren, wird genutzt. Die Sperrung von Alex Jones durch die großen Plattformen ist auch nur eine weitere Eskalation davon.
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