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Kommentar Spahns neues PflegegesetzEin Pfleger für drei Etagen

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Gesundheitsminister Jens Spahn will für mehr Personal in der Pflege sorgen. Das ist schön, doch es reicht bei Weitem nicht aus.

Spahns neues Gesetz zur Pflege reicht nicht aus, um die Notstände zu beheben Foto: dpa

G esundheitsminister Jens Spahn will sich nicht nachsagen lassen, ein Faulpelz und Geizkragen zu sein. Also legt er vor: 13.000 neue Stellen für stationäre Pflegeeinrichtungen im nächsten Jahr, 5.000 mehr als im Koalitionsvertrag vereinbart.

Dazu mehr Personal auch in den Krankenhäusern, voll bezahlt von den Krankenkassen. Und er droht: Wer künftig zu wenige Fachkräfte hat, soll auch weniger Patient*innen haben dürfen. So ungefähr steht es in dem Gesetz mit dem lauschigen Namen Pflegepersonal-Stärkungsgesetz.

Schönes Paket. Endlich wird die Pflege, das Stiefkind einer menschenwürdigen Versorgung im Alter, personell und finanziell aufgewertet. Doch Vorsicht: Wo Stärke draufsteht, muss nicht Stärke drin sein. Pflegeheime jedenfalls empfinden Spahns „Geschenk“ als Witz.

Das ist insofern nicht überraschend, als Pflegeeinrichtungen immer über zu viel Stress bei zu geringen Kapazitäten klagen. Wer aber regelmäßig in Pflegeheimen zu tun hat, weiß, was die Mitarbeiter*innen meinen. Drei, vier Pfleger*innen für 30, 40 Pflegebedürftige. Hier die Windel wechseln, dort jemanden in die Wanne setzen. Und Herr P. aus Zimmer 23 ruft schon wieder nach Tee. Wenn sich die Mitarbeiter*innen gerade mal für einen Moment hingesetzt haben, schreit auf dem Flur die Frau im Rollstuhl. Wieder keine Pause.

Das Problem ist lange bekannt

Das Maß an nerven- und kräfte­zehrender Arbeit ist in den ver­gangenen Jahrzehnten enorm gestiegen. Gingen manche Heim­be­woh­ne­r*innen früher selber noch einkaufen, spa­zieren und Eis essen, bewegen sich jetzt die ­meisten im Rollstuhl, mit Rollator oder gar nicht mehr. Sie müssen selbst beim Mittagsschlaf umgedreht werden, weil sie das allein nicht können. Das ist nur ein Preis für die Alterung der Gesellschaft.

taz am wochenende

Anfang der siebziger Jahre nahmen junge Linke heimlich Abtreibungen vor. Sie trafen sich in WGs, benutzen umgebaute Fahrradpumpen und Codewörter. Jetzt haben wir vier Frauen der Gruppe wieder zusammengebracht – in der taz am wochenende vom 4./5. August. Außerdem: In Bayern sind die Grünen in Umfragen zweitstärkste Partei – doch können sie Markus Söder stürzen? Und: Alles, was Sie schon immer über Schweiß wissen wollten. Ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Das Problem der Pflegeeinrichtungen ist, dass für sie – anders als für Kitas – kein Personalschlüssel vorgegeben ist: so und so viele Pflegekräfte für so und so viele Pflegefälle. In der Folge können Pflegeheime so viel – oder so wenig – Personal einstellen, wie sie für nötig und richtig halten. Getrieben werden sie in der Regel dabei von den Kosten. Je geringer diese sind, desto besser. Personalkosten machen in den meisten Heimen den größten Posten im Budget aus. Die Rechnung ist denkbar einfach: ­weniger Kosten durch weniger Personal.

Das können die Heime so handhaben, weil fast alle privatisiert worden sind und auf dem Pflegemarkt an einer Gewinnmaximierung orientiert sein müssen. Die zuständigen Länder und Kommunen schreiben ebenso wenig Personalschlüssel vor, weil sie ja um den Pflegenotstand wissen und die Heime nicht zusätzlich unter Druck setzen wollen und können.

Die Mängel sind vielfältig

Kontrollinstanzen wie der Medizinische Dienst der Krankenkassen werden von den Heimen, so hört man immer wieder, auf interessante Weise „ausgetrickst“: Da führen die Einrichtungen schlecht oder gar nicht ausgebildete Mitarbeiter*innen in ihren Unterlagen als Fachkräfte. Auf dem Papier wird suggeriert, in der Einrichtung sei alles tipptopp und das Personal erstklassig. Dabei dürfen manche Hilfs­pfleger*innen nicht einmal eine Tablettenschachtel zusammenstellen.

Vielfach üblich ist es mittlerweile auch, dass die Nachtwachen von Auszubildenden oder von Pflege­schü­le­r*in­nen übernommen werden, eine Person allein für einen gesamten Wohnbereich. In manchen Heimen umfasst ein Wohnbereich bis zu drei Etagen. Gibt es einen Notfall, den die unausgebildete Nachtwache nicht behandeln kann und darf, ruft sie den Bereitschaftsdienst zu Hause an.

Die Pflege ernsthaft aufzuwerten und menschlich zu gestalten ist eine überaus teure Angelegenheit. Um das bezahlen zu können, müsste auch die Pflegeversicherung deutlich teurer werden als um die von Gesundheitsminister Spahn angekündigten höheren 0,2 Prozentpunkte im kommenden Jahr. Diese sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das aber wagt Spahn sicher nicht laut zu sagen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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9 Kommentare

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  • Erst vor kurzem hat sich mir bei einigen Krankenhausbesuchen gezeigt wie schlecht es um das Pflegepersonal gestellt ist. In einer großen Klinik in Hamburg war zur Wochenendschicht in einer Schwangerschaftsstation genau "eine" Schwester die für alle Patienten zuständig war. Als diese dann in den Kreissaal gerufen wurde waren über eine Stunde keine Pfleger zu erreichen (trotz sturm klingeln)

    In diesem Zeitfenster war dann bereits eine Patientin aus dem Bett gefallen und konnte sich ohne Hilfe nicht mehr aufrichten. Glücklicherweise halfen ein paar Besucher. Die Klinik selbst konzentriert sich auf ein rein wirtschaftliches Konzept und das war an diesen Tagen sehr gut ersichtlich. Personal wird so weit eingespart das es zu gefährlichen Situationen kommt.

  • Ich bin wegen Angehöriger viel in Kliniken. Es gibt zu viel Personal.

  • Es bleibt wie es seit Jahren gehandhabt wird: Ein wenig Symbolpolitik soll alle ruhigstellen. Gleichzeitig bleibt das Hauptprinzip der CDU-Politik die "schwäbische Hausfrau", die das Land austrocknet wie Trauben zu Rosinen.



    Und der Michel findet das noch toll.

  • "Das können die Heime so handhaben, weil fast alle privatisiert worden sind und auf dem Pflegemarkt an einer Gewinnmaximierung orientiert sein müssen."

    Da liegt das Problem. Die beste und kostengünstigste Pflege (und Krankenbehandlung) gäbe es, wenn die Pflegeeinrichtungen (und Krankenhäuser) von der Versicherung (eine, nicht Dutzende) betrieben würden. Und dabei gesetzlich vorgeschriebene Leistungen mit einem verpflichtenden (und kontrollierten) Personalschlüssel erbringen müssten. Dann gäbe es wenig Spielraum für Betrug und die Beitragszahler müssten nicht für die Gewinne von "Investoren" aufkommen.

  • Spann ist für seine Aufgabe ungeeignet.

    Meine Bekannte versorgt im Nachtdienst 16. Pflegebedürftige. Jede Stunde, reihum, müssen sie versorgt und neu gelegt werden, um Druckstellen und weitere Verletzungen am Körper zu vermeiden. Wenn aus Krankheitsgründen eine Pflegekraft in der Nachtschicht fehlt, dann kommt auch noch eine Etage hinzu. Gegebenenfalls hat man nachts auch eine 'Hilfskraft', die man/Frau dann aber auch noch zusätzlich ausbilden muss. Da die praxistaugliche Ausbildung von Hilfskräften am Tag nicht ausreichend erfolgt.

    Zudem erweisen sich Menschen ohne ausreichende Schul- und Vorbildung, ohne Sprachkenntnisse und ohne die Fähigkeit zur kulturellen Kommunikation, im Umgang mit jungen und alten (behinderten) Menschen in der beruflichen Praxis der Pflege als ungeeignet.

    Es kann nicht die Aufgabe der jungen und alten Behinderten in ihren Pflegeeinrichtungen sein, vor allem wenn sie selbst täglich Hilfe benötigen, den für diese (berufliche) Aufgabe ungeeigneten Hilfs- und Pflegekräften auch noch die dringend benötigte Nachhilfe und fehlende schulische Bildung und Ausbildung zu ersetzen.

    Von Pflegekräften aus der (täglichen) beruflichen Praxis wird der (billige) Import von Pflegerinnen und Pflegern aus Kosovo, Albanien und Asien, ohne jeden vergleichbaren Standard in ihrer Ausbildung, für sozialpolitischen Unfug gehalten. // Davon unabhängig benötigen diese Länder selbst dringend geeignetes und qualifiziertes Personal für die ausreichende Betreuung ihrer Pflegebedürftigen (in Albanien fehlen Tausende, in China Millionen).

    Liebe Gutmenschen und Paternalisten, die Beschreibung der Wirklichkeit ist keine Fremdenfeindlichkeit und auch kein Rassismus. Trotz überlegener bundesdeutscher Qualifizierung in den Pflegeberufen, ohne sprachliche und kulturelle Kenntnisse, in Südosteuropa und Asien hätten auch Europas Hochqualifizierte erhebliche Probleme bei ihrer beruflichen Tätigkeit, wenn man ihnen keine Integrationshelfer*innen zur Seite stellt.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Im Kommentar zur präkeren Situation im stationären Altenpflegebereich ist professionelles Jammern nicht hilfreich; es fehlen klare Positionen:



    - Die Demographie treibt uns in eine riesige Versorgungskostenfalle. Eine isolierte Finanzierung aus Beitragsmitteln und/oder Steuermitteln wird absehbar nicht möglich sein, ohne Effizienzgewinne durch maschinelle oder digitale Produktivitätssteigerung entsprechend zu besteueren.



    - Eine menschenwürdige und dem Pflegegrad angepasste 24/7-Betreuung und Unterbringung ist nicht zum 0-Tarif zu erhalten, die Versorgung von Kindern und Eltern ist dem Grunde nach auch keine gesellschaftliche Aufgabe, sondern eine private.



    - Gesellschaftlich wird die „Belastung“ mit Alten/Kranken/Leistungsgeminderten industriell ausgelagert mit der Folge, durch Konzentrationn zwar effektiv und effizient aber eben auch ethisch grenzwertig zu werden.



    - Seit Jahrzehnten sind die Beschäftigten der Pflegebranche und die sie vertretenden Gewerkschaften nicht in der Lage, eine leistungsgerechte Entlohnung durchzusetzten. Offenbar ist Automontage am Band wesentlich wertvoller, als Omi beim pinkeln zu helfen und ihr dann den Stützstrumpf anzuziehen.



    - Im Umgang mit Politikern, zumal ohne jegliche Prozessverantwortung, gilt zu beachten: Versprechen und halten - beides gibt es nicht!



    Und: Die Sozialkosten in Deutschland sind weltweit mit die höchsten - die Leistungen und Ergebnisse (Gesundheit, Bildung, Einkommen, etc.) liegen bestenfalls im unteren Mittelfeld. Alles ein klares nachhaltiges (wenigsten hier können sie Nachhaltigkeit) Politikversagen

  • Entscheidend dürfte sein, wie das alles finanziert werden soll. Vor kurzem hieß es, keine zusätzlichen Steuermittel. Das bedeutet, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen müssen die steigenden Kosten tragen bzw. die Sozialabgaben werden erhöht. Herr Spahn gibt den Pflege-Turbo, aber der von denr GroKo's angerichtete Kahlschlag im Pflegesektor: Privatisierung, Schwarzarbeit, mangelnde Qualifikation, zu wenig Personal - das alles lässt sich nicht par odre de Mufti mal eben beheben.

  • Liebe TAZ,

    die von Ihnen beschriebenen Probleme sind ja keine "neue" Analsyse. So wird es vielfach in den Medien diskutiert. Das was mir sowohl von Herrn Spahn wie von den Medien fehlt, ist die Diskussion der konkreten Umsetzung. Wo sollen die Pflegenden auf einmal alle herkommen, wie kann eine konkrete Umsetzung eines Personalbemessunginstrumentes aussehen, wie kann sich die Pflege besser organisieren, welchen Qualifikationsmix benötigen wir....



    Überdies noch eine Annmerkung zur würdevollen Kommunikation bei pflegebedürftigen Menschen. Anders wie bei Kinder werden dies weder gefüttert noch bekommen sie Windeln gewechselt - schöner wäre es von Essen anreichen sowie Wechsel von Inkontinenzmaterial zu sprechen.

    • @HoBe:

      Genau!