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Von der Sehnsucht und dem Scheitern der Revolte

Die Beziehung zwischen Bild und Text hinterfragen: Die Sammlung Falckenberg zeigt die erste große Retrospektive über die Malerin, Grafikerin und Fotokünstlerin Astrid Klein

„Er hat mir gerade den wunderbarsten Eid der Welt geleistet“: Kleins Verhältnis zum Feminismus ist auch in dieser unbetitelten Fotoarbeit von 1979 unklar Foto: Courtesy Sprüth Magers © Astrid Klein

Von Hajo Schiff

Ein Angstraumbild aus den Tiefen des Unbewussten, materialisiert in einem siebeneinhalb Meter breiten Großplakat befand sich von 1986 bis 2014 in der U-Bahn-Haltestelle Hauptbahnhof-Nord: Die Schatten eines Wolfshunderudels huschten über eine grob verputzte Kellerwand mit vermauertem Ausgang. „Endzeitgefühle“ waren das für die Künstlerin Astrid Klein, für die deutsche Kunst der Zeit ist es ein ikonisches Bild, das in vielen Kunstgeschichten auftaucht.

Kühl in der Erscheinung, emotional im Thema und anspruchsvoll in der Präsentation, wenn auch meist nicht ganz so raumgreifend sind generell die Arbeiten der 1951 geborenen Kölner Künstlerin, deren erste große Retrospektive nun auch in Hamburg stattfindet. In einer von ihr selbst nicht chronologisch, eher symphonisch gehängten Ausstellung in den drei Stockwerken der Sammlung Falckenberg in Harburg sind nun bis September fast ein Viertel aller Arbeiten aus den letzten 40 Jahren zu sehen.

Das weit über die bekannten Fotocollagen hinausgehende, vielgestaltige, auch plastische Werk der Künstlerin bietet eine Wanderung durch die in den Bildmedien gespiegelte Kulturgeschichte der Zeit mit all ihren Deformationen. Dabei sind die gefundenen und in verschiedenen Schritten weiterverarbeiteten und verfremdeten, aber immer schwarz-weißen Fotos meist mit Textzeilen kombiniert und konterkariert.

Vom Pop wird der plakative Gestus übernommen, nicht die Buntheit. Aber auch in den flächigen Gemälden und bei den Neonarbeiten verarbeitet die Künstlerin, die ursprünglich Schriftstellerin werden wollte, Zitate und Worte.

Hintergrund, Stimmung und Zitatenschatz für eigene Arbeiten der passionierten Filmgängerin gibt oft die französische Nouvelle Vague mit ihren intellektuell reflexiven Filmen. Zudem lebte Astrid Klein 1980 einige Zeit in Paris und entdeckte dort für sich billige Fotoromane als Material.

Auch „Blow Up“, Michelangelo Antonionis filmische Fotografenstory aus dem London der Sechziger mit ihrer ästhetisch locker kommunizierten vielschichtigen Medientheorie hat Astrid Klein stark beeinflusst: Ist etwas in der Tiefe hinter den Bildern zu finden? Was ist das Ungezeigte, aber Mitvermittelte am Gesehenen? Wie kommt das Ungesagte ins Bild? Alles noch heute unvermindert aktuelle Fragestellungen.

Ohne direkt zu agitieren, sind Astrid Kleins Bild-Text-Kombinationen politisch. Sie machen alte verdrängte Schuld und neue Widersprüche kenntlich, handeln von Tätern, Opfern und Selbstzerstörung. Obwohl sie sagt, sie sei zu jung für „1968“ gewesen und sei eher von der überwältigenden Unsinnigkeit des Seins bei Camus beeinflusst, wirken viele ihrer Arbeiten wie Begleiter von Sehnsucht und Scheitern der Revolte. Doch selbst eine Arbeit wie das brutale Todes-Triptychon, das drei Leichen tituliert als „Aussteiger-Versager-Verlierer“, vermeidet den allzu direkten Bezug zu den Ereignissen um den deutschen Terrorismus.

Doch 1988 ist Schluss mit den düsteren großformatig-plakativen Arbeiten. Die durchaus erfolgreiche Foto-Künstlerin Astrid Klein versucht, sich dem Kunstmarkt zu entziehen und sich neu zu positionieren. Sie malt weiße Bilder und leere Flaggen. Nach so viel vorangegangener harter Medienreflexion steht da plötzlich im hellen Leinwandbildganz distanziert und kaum zu entdecken: „Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues“, ein schönes Zitat von Samuel Beckett.

Doch Astrid Klein findet sehr wohl Neues, arbeitet mit neuen Materialien, geht immer mehr ins Skulpturale. Folien und Tücher, Spiegel und Neon, Seile und Ketten, Stahl und gar Basaltlava werden genutzt, zeigen aber weiterhin meist Fragmente schriftlicher Botschaften. Ein Neonschriftzug sagt „I am Your Mirror“, ist aber zugleich durchgestrichen, andere Leuchtkörper sind zu einem hirnigen Gewölle geballt und auf den Röhren selbst beschriftet.

Auch aus blau strahlenden elektrischen Insektenkillern hat sie eine Collagen-Skulptur gemacht: Attraktion, die mörderisch ist. Und auch die zerschossenen Spiegel sind zwar kalt, aber gefährlich. Der große, der sich links vom Treppenaufgang durch die Stockwerke zieht, wandelt Schönheit in Zerstörung – vorstellbar ist, dass im reflektierten Bild jeder, der sich spiegelt, virtuell ausgelöscht wird.

Ohne direkt zu agitieren, sind Astrid Kleins Bild-Text-Kombinationen politisch, machen alte verdrängte Schuld und neue Widersprüche kenntlich

Astrid Klein sagt: „Beim Wort Autorität bekomme ich Haarspitzenkatarrh.“ Erstaunlich also, dass sie von 1993 bis 2017 ordentliche Professorin an der Kunsthochschule in Leipzig war – aber man kann ja auch die Revolte lehren. Oder die Parole verbreiteten: „Frei sein, entschieden sein und nicht jammern“.

Paradox sind ihre Einstellungen zum Feminismus, für den sie gern reklamiert wird. Klar hat es sie wütend gemacht, dass man ihr in den 1980er-Jahren attestierte, sie mache ja ganz vorzügliche „Männerkunst“. Aber trotz durchaus feministisch lesbarer Arbeiten möchte Astrid Klein lieber keinem „Klub“ angehören: „Ich habe keine Botschaften, ich habe Fragen“, betont sie.

Und einen Weltfrauentag findet sie ebenso dumm wie einen Weltkatzentag. „Eine Frau muss geliebt werden und sie muss wissen, dass sie geliebt wird“, steht dazu schon 1978 auf einer großen bösen Fotocollage mit einem Filmstill einer brutalen Paarsituation. „Boshaft? Schon. Aber ich lass mich doch nicht …“, wäre dazu einem anderen Textfragment zu entnehmen.

Von den frühen Zeichnungen und den intimen, mit Acryl auf schwarzer Seide geschriebenen erotischen Textbildern zu den jüngsten Großcollagen: Wer sich so stark mit Bildklischees und Wahrnehmungsprägungen befasst, sollte auch zur heutigen Bilderflut etwas zu sagen haben: „Bilder sind bedeutungslos geworden, die Bildwahrnehmung ist hochnervös. Niemand lernt mehr, den Blick zu fixieren, sich zu konzentrieren.“

Der Rückblick auf die poetisch-literarischen Bildbefragungen der Astrid Klein ist nicht nur künstlerisch eine anregende Ausstellung.

„Astrid Klein – Transcendental Homeless Centralnervous“: bis 2. September, Sammlung Falckenberg.

Geöffnet an jedem ersten Sonntag im Monat von 12 bis 17 Uhr Führungen: Do und Fr 18 Uhr, Sa und So 12 und 15 Uhr, Anmeldung: sammlungfalckenberg@deichtorhallen.de

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