piwik no script img

Als die Heizer das Feuer aus den Kesseln nahmen

Eindrucksvoll verwirrend: Die Ausstellung „Die See revolutioniert das Land“ im Wilhelmshavener Marinemuseum will den Matrosenaufstand 1918 kontextualisieren

Symbol des Aufstands: Revolutionär retuschierte Fotopostkarte der „König Albert“, die am 10. November 1918 unter echter roter Flagge in Wilhelmshaven einliefWilhelmshaven Foto: Marinemuseum

Von Jens Fischer

Martialisch hängt ein Starfighter über dem Eingang. Im Wilhelmshavener Marinemuseum geht es um Weltgeschichte, die mit staatlich sanktionierter Waffengewalt geschrieben wird. Zum 100-jährigen Jubiläum steht auch hier die deutsche November-Revolution im Fokus: „Die See revolutioniert das Land“, so heißt die aktuelle Ergänzung zur inhaltlich wie optisch stromlinienförmigen Dauerausstellung; diese beleuchtet den Kampf der deutschen Marine für Kolonialismus, Nationalismus und Nationalsozialismus von 1848 an, begeistert sich für Technik und weiß um den Aufgabenwandel der Kriegsflotte.

Das Haus scheint ein beliebter Ort für Familienausflüge zu sein: Der Vater holt sich gegen eine mit „Zerstörer Rommel D 187“ beschriftete Mütze aus dem Museumsshop, der ältere Sohn greift sich die ausliegende Ausgabe von Bundeswehr aktuell, der jüngste Spross kann gar nicht genug Selfies von sich machen – neben den riesigen, einst todbringenden Waffen im Hafenbecken. Eine gemeinnützige Stiftung finanziert das Museum, im Kuratorium halten Militärhistoriker der Bundeswehr und Marinekapitäne a. D. die Mehrheit. Geschäftsführer Stephan Huck kommt vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr, mit der gemeinsam er auch eine Schriftreihe herausgibt.

Schwieriges Marine-Erbe

Ein „schwieriges Erbe“ der Marinegeschichte aufreißen solle die weniger sinnlich gestaltete denn intellektuell fordernde Revolutionsausstellung, sagt Huck. Wobei: Es ist gar keine klassische Museumsausstellung. Kaum originale Exponate sind zu bestaunen. Texte, reproduzierte Fotos, Plakate und noch mehr Texte vermitteln Fakten, Vorder- und Hintergründe. Es ist eine Gedankeninstallation, die ein historisches Ereignis kulturgeschichtlich, sozialpsychologisch und politisch kontextualisieren und personalisieren will. Ein multiperspektivisch anregender Gegenentwurf zur Dauerausstellung: Die hat das Thema 1918f. in einem Schaukasten bisher eher übergangen als behandelt.

In der Mitte des Raums steht ein Videokabinett, nicht schallisoliert: Die Tonspur lärmt bis in die hinterste Ecke der Ausstellung. Wer sich einlässt auf die 45-minütigen, reizlos gefilmten und sehr schlicht aneinander gereihten Historiker-Statements, kann erfahren, dass nicht in Berlin oder Kiel, „der entscheidende Impuls für die Transformation militärischen Ungehorsams zu gesellschaftlichem Umbruch“ gegeben wurde, wie es Huck formuliert, „sondern in Wilhelmshaven“.

Am 29. Oktober 1918 nahmen dort die Heizer das Feuer aus den Kesseln der kaiserlichen Hochseeflotte. Kollektiv weigerten sich schließlich die Besatzungen der Großkampfschiffe, wie geheißen in eine letzte Schlacht gegen England auszulaufen und „mit wehender Fahne unterzugehen“. Die Anführer der Befehlsverweigerer kamen in Haft, ein ganzes Geschwader wurde nach Kiel abkommandiert. Dort aber solidarisierte sich die Arbeiterbewegung mit den Matrosen, der bewaffnete Aufstand wurde als revolutionärer Flächenbrand ins gesamte Reich exportiert und in Berlin politisch wirksam; bald war die monarchische Despotie von Wilhelm II. abgeschafft und parlamentarische Demokratie eingeführt.

Gedankenwelten dieser Umbruchszeit sind an die Ausstellungswände plakatiert: Dokumente der Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht Ende 1918. Dazu gesellen sich Hinweise auf die russische Oktober-Revolution als Hoffnungsfolie für die Widerständler und Angstfolie für die gerade Mächtigen. Auch die alternativen Fakten der Dolchstoßlegende werden erklärt: Behaupteten Rechtspopulisten doch, der Matrosenaufstand habe Deutschland den Weltkrieg verlieren lassen, dabei war er gerade eine Folge dieser Niederlage.

Polarisierung – wie heute?

Vom Über- zum Unterbau der Geschichten, den Menschen: Zwölf Vitrinenstelen stehen für zwölf Zeitzeugen. Was die miteinander und den angerissenen Themen zu tun haben – und wie Besucher alles zusammendenken können –, deuten rote Linien an, kreuz und quer durch den Ausstellungsraum. Keine neue Idee, aber eindrucksvoll verwirrend. Ebenso die individuelle Schräglage der asymmetrisch gestalteten Stelen, wie auseinander gebrochen, stehen sie für eine aus den Fugen geratene Zeit, verweisen auf Fragmentierung und Zerfall einer Gesellschaft. Das ist für Huck auch der aktuelle Bezug: Politische und soziale Polarisierung hätten 1918 in die Revolution und anschließend zur Zerrissenheit der Weimarer Republik geführt – und sie gefährdeten heute wieder die Demokratie.

In jede Stele ist ein Objekt eingelassen, Fotos und Erklärtexte sind daraufgedruckt, und ein eindrücklicher Originaltext erklingt als Audiodatei. Die typisierten Repräsentanten der Revolutionsjahre spiegeln das Spektrum von links- bis rechtsaußen: Der „revolutionäre Matrose“ Carl Richard Linke etwa steht für jene, die aus konkreter Unzufriedenheit – über eintönigen Dienst und schlechte Verpflegung gegenüber den Privilegien standesdünkelnder Offiziere – anfingen nachzudenken und für ihre Kritik „eine politische Heimat suchten“, so Huck. Linke wurde Revolutionär und soll später bei der Gründung der Bremer Räterepublik gesichtet worden sein.

Für das Schwanken zwischen SPD und USPD steht Käthe Kollwitz, „die sozialistische Künstlerin“, von der ein Holzschnitt des aufgebahrten Karl Liebknecht zu sehen ist. Sozialdemokrat Gustav Noske ist dabei, der die Wirren der Zeit für seine Karriere und die Machtgier der SPD nutzte. Nicht zu vergessen: Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt. Als „Freikorpsführer“ schoss er in Wilhelmshaven Kommunisten aus einer besetzten Kaserne, unterstützte dann den Kapp-Lüttwitz-Putsch, war an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt und mordete mit der Terrororganisation „Consul“ weiter. In seiner Stele ist ein Stahlhelm eingelassen – mit aufgemaltem Hakenkreuz.

Was konkret in Wilhelmshaven vor 100 Jahren passierte, akzentuiert draußen ein etwa 13 Kilometer langer Informationsparcours: 60.000 Euro hat die Stadt spendiert, damit der nach Ausstellungsende stehen bleibt. An zehn Orten wurden rostige Stahlplatten in den Boden gerammt, als Bänke zurechtgebogen und zu Informationsmöbeln hergerichtet. Etwa dort, wo die Aufständischen einst die Zeitungsredaktion besetzten.

Oder vor dem ehemaligen Marinegefängnis: Der Untergrund ist gepflastert, drumherum Rasen, eine Wiesenblumenmischung. Zu lesen sind die Daten des Einsperrens und Befreiens aufmüpfiger Matrosen. Was daraus wurde, ist vor der ehemaligen Gaststätte „Elisenlust“ zu erfahren: 100.000 Demonstranten sollen dort am 10. November 1918 dem Maschinenschlosser Bernhard Kuhnt gelauscht haben, der als Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrats Oldenburgs Großherzog für abgesetzt erklärte und die kurzlebige Sozialistische Republik Oldenburg-Ostfriesland ausrief.

Im November wird noch ein Denkmal zur Revolutionserinnerung errichtet, die Stiftung des ehemaligen CDU-Ratsherrn August Desenz hat 12.000 Euro gesammelt – für ein Bismarck-Denkmal schaffte man 2015 noch 45.000 Euro. Die Landesbühne inszeniert im September ein interaktives Live-Hörspiel auf dem Parcours. Wenn die Ausstellung des Marinemuseums im November schließt, werden andere aktiv: www.revolution-nordwest.de.

Bis 11. November, Wilhelmshaven, Marinemusuem

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen