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Prekäre Tätigkeit der ClickworkerGesichtslos, emotionslos, nie krank

Clickworker arbeiten meist einsam, anonym und prekär. Vom Versuch, sich in diese angebliche Zukunft der Arbeit einzufügen.

Ratatatata: immer schön weiter tippen, Texte, Daten produzieren, am Besten SEO-optimiert Foto: rawpixel/Unsplash

Wenn beim Arzt­formular die Berufs­be­schreibung fällig ist, schreibe ich – an guten Tagen – Autorin, und denke heimlich: Schriftstellerin. Vier Bücher in renommierten Verlagen, durchaus von der Leserschaft wie der Literaturkritik geschätzt, Beiträge in Anthologien und Sachbüchern, Filmkritiken, Interviews, Por­träts, Reportagen. Und jetzt der Rechtschreibtest für clickworker.de: „Ich fühlte mein Herz höherschlagen.“ Zusammengeschrieben? Ja.

Es könnte aber auch einfach höher und höher schlagen, in der Frequenz von richtig schnellen beats per minute, bamm, bamm, bamm, hoch der Kreislauf, vor lauter Wut, schon die Anmeldung bei clickworker.de dauert und dauert: Durch internationale Zeitzonen scrollen, durch die grenzenlose Freiheit des globalen Arbeitsmarkts, „your virtual workforce“, wirbt clickworker.de. On demand. Worldwide anstelle von „unsere Autorin auf der Buchmesse“, anstelle von Schreibarbeit, Lektorat, Verlagsvorschau, Interviews, Lesereise. Die Liebe zum geschriebenen Wort – bildungsbürgerlicher Luxus, kann ich mir nicht mehr leisten. Denk an deine Jungs. Die wollen auch mal nach Mallorca. Und ins Hotel. So wie die anderen.

Also werde ich eine von Tausenden Clickworkern. Das sind Menschen, die für Unternehmen kleine Aufgaben und Projekte übernehmen, ohne fest angestellt zu sein. Wir arbeiten von zu Hause, vor dem eigenen Computer oder Handybildschirm. Wir sind nicht Angestellte einer Firma, sondern Selbstständige. Ohne soziale Sicherung, ohne Urlaubsanspruch, ohne Krankengeld. Ohne Gewerkschaft oder feste Kollegen.

Bezahlt werden wir mit einem Festpreis für jedes Einzelne dieser Miniprojekte, zum Beispiel eine nette Hotelbeschreibung: „Das Hotel ist 300 m von dem langen und wunderschönen Strand von Alcudia entfernt, an der Nordostküste von Mallorca. Das Hotel bietet: Loungebar mit Terrasse, Snackbar, Poolbar, großes Schwimmbad mit separatem Kinderschwimmbecken …“ Für den kleinen Text von etwa 400 Wörtern würde ich 2,84 Euro bekommen. Die eine Woche Herbstferien auf Mallorca kostet für mich und meine Kinder 2.053 Euro.

Erst mal Daten, Daten, Daten

Organisiert wird meine Arbeit über eine sogenannte Crowdsourcing-Plattform. Clickworker.de heißt die in meinem Fall, und die bringt Unternehmen und uns Clickworker zusammen.

Aber erst mal will clickworker.de meine Daten, Daten und noch mal Daten. Und zwar persönliche. Ob ich Haustiere habe. Verheiratet, geschieden, liiert, mit, ohne Kinder lebe, Alkohol trinke, diesen zu Hause oder eher in Kneipen konsumiere, wie oft, welche Beschwerden habe ich? Krankheiten, richtig schlimme? Derweil kräuseln sich einsame Gedankenwirbel: Du und dein Humankapital. Was bist du denn überhaupt noch wert in der anonymen Weite des digitalisierten Datenorkus, der SEO-optimierten Textschwälle? Nix mehr mit gewachsenen Geschäftsbeziehungen, von wegen persönlicher Eindruck, Vertrauen und Wertschätzung. Denk an die Zukunft.

Was bist du wert in der anonymen Weite des digitalisierten Datenorkus?

Das hier, das ist die Zukunft. Die deregulierte Arbeitswelt, Millionen von Menschen, weltweit, die aus den gewohnten Beschäftigungsverhältnissen fallen: Bademeister, fürs deutsche Schwimmbad aus Osteuropa rekrutiert, Schlachtarbeiter aus Rumänien, die im Wald schlafen, es ist ja Sommer, die 14, 16 Stunden am Tag arbeiten für „eines der modernsten Unternehmen für Qualitätsfleisch innerhalb Europas“. Oder die Ern­te­helfer in Spanien, Italien, die Vorsteher abends noch befriedigen müssen, oder sie können sehen, wo sie bleiben. Für diese Menschen interessiert sich einfach niemand, keine Gewerkschaft. Da kann das mit der Textarbeit ja nicht so schlimm werden.

Selbst vorm Einschlafen linse ich noch mal aufs Smartphone: Es könnte ja einen lukrativen Auftrag geben, schnell erledigt, dass mir den keiner meiner unsichtbaren Mitbewerber noch heute Nacht vor der Nase wegschnappt?! Neuformulierungen, Umformulierungen, in den Sprachen DE, ES, EN, NL, NO, SE, DK! Compelling Content! Die richtige Kundenansprache finden, die Aufmerksamkeit garantiert! Klicks, Klicks, und noch mal: Klicks generieren! Egal, von woher, wie’s dir geht, wie du entlohnt wirst, ohne jede Unterstützung. Dafür: freie Zeiteinteilung, gerade mit Kindern!

So kommen meine Kinder nie nach Mallorca

Tristesse vor dem heimischen Laptopbildschirm, dunkles Spiegelbild des Ichs, mit glühenden Pupillen: Ob Supermarktbon-Sortieren oder für Suchmaschinen optimierte Texte schreiben, für Clickworker.de, workgenius.de und Co. sind wir alle gleich, gesichtslose, emotionslose, nie kranke oder müde Datenlieferanten. Grenzenloser Marktplatz Internet, grenzenlose Konkurrenz. So kommen meine Kinder nie nach Mallorca.

Freiheit, Gleichheit und Solidarität? Pustekuchen im Höher-Schneller-Weiter-Rennen, mehr, mehr, mehr: Für wen? Die Clickworker werden freundlich per E-Mail aufgefordert: „Besitzen Sie ein iPhone oder iPad mit mindestens iOS 8.0 und haben noch nicht an unserem Projekt ‚Nehmen Sie 250 kurze gesprochene Phrasen auf‘ teilgenommen?

Dann freuen wir uns auf Ihre Mitarbeit! Lassen Sie sich das Honorar in Höhe von 15 Euro nicht entgehen!“ Die Eigenwerbung von clickworker.de bezeugt: „Tausende von Clickworkern formulieren zu vorgegebenen IT-Anwender-Problemfällen mögliche Anfragen an einen IT-Support. Damit entsteht eine Vielzahl von Anfrageformulierungen, die demonstrieren, wie reale Anwender über einen IT-Support-Chat kommunizieren könnten.“

Eine Art Tinder für Unternehmen

Wir Clickworker helfen zum Beispiel VentureRadar, einem Kunden von clickworker.de, indem wir anhand von Firmen-URLs offizielle Namen, Sitze und Kurzbeschreibungen der Unternehmen recherchieren. Also los: Sogenannte Telefonrecherche, anrufen, einen Eintrag ins wie auch immer geartetes Telefonbuch vereinbaren und bestenfalls noch vertraglich absichern lassen. VentureRadar Ltd mit Sitz in London agiert als eine Art Tinder für Unternehmen, Selbstbezeichnung „dating for businesses in the form of a huge database“.

Clickworker-Kunden sind unter anderem die Deutsche Telekom, Groupon und Honda. Finanziert wird Clickworker zudem international: Hinter Wecken & CIE stecken die Großaktionäre der Demire Deutsche Mittelstand Real Estate, die beschreiben, wie’s aufwärts geht: „Im Zuge des starken Wachstums hat sich der Immobilienbestand der Demire seit 2014 nahezu verdreifacht“, auf über eine Milliarde Euro, so Demire.

Weitere Investoren von clickworker.de sind venturecapital.de und andere international geprägte Zusammenschlüsse, die sogenanntes Seed Capital – Wachstumsspritzen für sich als innovativ begreifende Start-ups – finanzieren: die KfW Bankengruppe sowie 17 Wirtschaftsunternehmen, darunter BASF, Daimler, Deutsche Telekom, RWE Innogy, SAP, Tengelmann und Carl Zeiss.

Eine niedliche Website

Anstatt wie in der Phase des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert dem noch neuen, radikal alles und jeden umwälzenden Kapitalismus eine Haltung entgegenzusetzen, die etwa zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei führte, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine niedliche Website namens www.arbeitenviernull.de aufgesetzt.

Jahre ist das her, 2015 hatte Andrea Nahles zum Dialogprozess eingeladen, seit 2016 steht das Weißbuch „Arbeiten 4.0“ zum Download bereit, dort weiß man, „individuelle Arbeitszeitbedarfe können zum Beispiel in Phasen, in denen Erziehungs-, Pflegeaufgaben oder private Projekte viel Zeit in Anspruch nehmen“. Wie die Politik sich konkret für die internationalen HeimarbeiterInnen einsetzen will, steht an keiner Stelle.

Will ich mich mal beschweren, darf ich mich an eine ehrenamtliche Ombudsstelle wenden, paritätisch besetzt vom deutschen Crowdsourcing Verband, Vertretern der IG Metall und Crowdworkern. Clickworker.de bietet auf der Site gleich ein Formular, denn, lässt Thomas Andersen, Vorstand im Deutschen Crowdsourcing Verband, über die Clickworker-Website wissen: „Sollte es mal zu Konflikten kommen, ist es besser, sie von Profis lösen zu lassen, nicht durch Gesetze. Daher haben Lösungen auf und mit der Plattform immer Vorrang.“ Heißt also: Ab in die Tonne mit Gesetzen und Arbeitsschutz.

Wo sich die digitalen Hyänen fetzen

2005 gründete Amazon den „Mechanical Turk“, eine Crowdsourcingplattform, auf der sich Firmen tummeln, die sogenannte HITs (Human Intelligence Tasks) in Auftrag geben. Websites Korrektur lesen zum Beispiel, oder Tonaufnahmen transkribieren. Seitdem galoppiert im turbokapitalistischen Tempo das große Outsourcen via Crowdsourcen. „Co-creation challenge“ nennt sich das dann: Ein Preisgeld wird ausgelobt, und Designer, Ingenieure, Kreative aus der ganzen Welt steigen in die digitale Arena.

Ob architektonische Entwürfe oder Filmschnitt, alles, was krea­tiv und digital ist: Raus damit, in die Crowd, wo sich die digitalen Hyänen fetzen und die internationalen Konsortien mit den Heimwerkermühen die Taschen füllen.

Den ewigen Revoluzzergeist kann und will ich mir in diesen Zeiten nicht mehr leisten, etwa, engagierte Texte für die taz zu schreiben – aber Online-Datenhändlern zuarbeiten und letztlich aus nichts mehr zu bestehen als der Summe meiner Daten? „Mama, deine Tastatur rattert so laut, wenn du so schnell schreibst! Schreibst du wieder ein Buch?“ Lass rattern. Aber nicht klicken.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

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3 Kommentare

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  • Ich habe seit vielen Jahren die unterschiedlichsten Online-Arbeiten veröffentlicht und führe darüber einen Blog (nicht kommerziell!). Euren Artikel habe ich mal bei einem meiner Crowdworking-Erfahrungsberichte verlinkt:

    online-arbeiten.ne...orkgenius-teil-ii/

    Die Probleme, die ihr schildert, kann ich leider nur bestätigen. Es handelt sich aber letztlich um ein strukturelles Problem: Solange sich Politik und Wirtschaft weigern, als Pendant zum Mindestlohn auch ein Mindesthonorar einzuführen, das nicht unterschritten werden darf, können solche Plattformen in aller Herrgottsruhe Arbeiter ausnutzen. Denn viele Menschen haben aufgrund ihrer Lebenslage keine andere Wahl, als nach jedem Strohhalm zu greifen.

    Grüße

    Cyanid

  • Ich würde Crowdworking nicht so pauschal verteufeln. Es wird ja niemand gezwungen, das zu machen. Die gut ausgebildete Autorin könnte sich auch zu Freelancing-Portalen begeben, bei denen Qualifikationen nachzuweisen und Probetexte einzureichen sind, aber die Bezahlung besser ist.

    Der große Vorteil von Portalen wie Clickworker oder Crowdguru liegt daran, dass sie überhaupt Arbeitsmöglichkeiten für Personengruppen schaffen, die noch vor zehn Jahren null Möglichkeiten hatten. Schüchterne Abiturienten ohne coole Netzwerke oder 70-jährige auf dem Land mit schmaler Rente oder oder..

    So flexibel wie es für die "Arbeitgeber" ist, ist es eben auch für die "Arbeitnehmer" - und das kann man auch als Vorteil sehen, wenn man nicht gerade einen skandalisierenden Artikel schreiben möchte. Wo sonst kann man bequem von zu Hause aus, ohne jeden Ausbildungsnachweis und ohne Schneeballsysteme mit Akquisedruck Geld verdienen?

    Idealerweise wählt man ein Portal, das tatsächlich nur Text/Content anbietet, macht das die ersten ein zwei Jahre neben Studium oder im Elterngeldbezug und steigt derweil auf. Wenn man sich einen Namen gemacht hat / Erfahrungen und gute Bewertungen gesammelt hat, verdient man durchaus 5 Cent pro Wort und mehr - was je nach Thema und Schreibgeschwindigkeit 10-23€/h brutto macht.

    Für eine Tätigkeit mit freier Zeit- und Ortseinteilung, ohne Chef, ohne nervige Kollegen und Meetings und mit Unterstützung durch den Portalsupport (der durchaus meist meiner Meinung ist und doofe Auftraggeber abmahnt)...

    Schlechte Bezahlung hat man auch in den ersten Jahren bei normalen Ausbildungen, nur dass man da unter Umständen zu Überstunden gezwungen wird. Und stundenlang beim Hausarzt sitzen muss, um krank sein zu dürfen - während man bei Crowdworking halt einfach nicht arbeitet heute, wenn juckts. (Vorausgesetzt man hat kein Baby/Kleinkind, das elterliches Kranksein nicht akzeptiert.)

  • "www.arbeitenviernull.de" Jetzt habe ich doch glatt www.arbeitenfürnull gelesen.