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Tim Caspar BoehmeLeuchten der MenschheitAristoteles in die Politik

Sich mit der Seele beschäftigen. Das klingt nach christlicher Innigkeit, nach Seelenheil. Oder eben nach der Psyche, demjenigen Teil, der anfällig ist für Leiden aller Art. Sich mit der Seele beschäftigen, bedeutet dann immer zugleich, über das Innenleben von Individuen zu reden, etwa wenn die Frage gestellt wird, ob die „seelische Instabilität“ von Donald Trump ein internationales Sicherheitsrisiko darstellt.

Es geht, oder ging, aber auch anders. Für den antiken Philosophen Aristoteles zum Beispiel ist die Seele die „primäre Ursache“ und „Form“ des lebendigen Körpers. Alles, was eine Seele hat, ist für ihn lebendig. Dazu zählt er Menschen genauso wie Tiere und Pflanzen. Was das heißen soll, kann man in der neu übersetzten Ausgabe von Aristoteles’ „Über die Seele“ erfahren, die der Philosophieprofessor Klaus Corcilius herausgegeben hat (Meiner 2018). Mit didaktischer Sorgfalt bringt Corcilius in seiner Einleitung Ordnung in diesen Text, bei dem bis heute Unklarheit darüber besteht, ob der Aufbau der Kapitel in Aristoteles’ Sinne ist, und in dem man sich sogar in der klaren Übertragung von Corcilius noch leicht verlieren kann.

Die Seele, so eine der originellen Einsichten von Aristoteles, hat mehrere Teile: 1. vegetativer Selbsterhalt, 2. Wahrnehmung und 3. vernünftiges Denken. Mit der Kombination dieser Teile definiert er verschiedene Phänomene des Lebendigen: Der bloße vegetative Selbsterhalt (1.) kennzeichnet die Pflanzen, kombiniert man ihn mit der Wahrnehmung (1. und 2.), hat man Aristoteles’ Definition für Tiere, und der Mensch schließlich ist bestimmt durch das Vorhandensein aller drei Seelenteile, weil er zudem vernünftig denken kann (1., 2. und 3.). Biologie statt Psychopathologie, wenn man so will.

Corcilius, der in den 1990ern in einer Band im Umfeld der Hamburger Schule spielte, mithin schon andere Dinge gesehen hat als bloß seinen Schreibtisch, gibt einem mit seiner ruhigen Art der Darstellung das Gefühl, als sei nicht nur die Seele im allgemeinen in bester Verfassung, sondern auch die Welt überhaupt. In Zeiten, in denen man täglich Angst vor den Meldungen aus der Politik haben muss, wünscht man sich, dass dieses Buch in die Hände der Weltenlenker fällt, die mit dem Gegenteil von rationalem Verhalten die Nachrichten beherrschen. Und dass der eine oder andere Hitzkopf durch die Lektüre zur Besinnung gebracht werden könnte.

Der Autor ist Filmredakteur der taz.

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