: Der nächste Gegner ist immer der schwerste
Nach dem historischen Sieg Englands im Elfmeterschießen gegen Kolumbien tritt Trainer Southgate emotional auf die Bremse. Viele träumen schon vom Titel, weil England einen vermeintlich einfachen Weg ins Finale hat
Aus Moskau Johannes Kopp
Um mal ein wenig freier aus dem Englischen zu übersetzen: „Potzblitz! Schweden im Viertelfinale! Hammerultraschwerermegakrasser Gegner! Das wird der absolute Kracher!“ So in etwa hat Englands Trainer Gareth Southgate in der Nacht auf Mittwoch bereits einen Blick auf das Viertelfinale am kommenden Wochenende geworfen. Der ansonsten eher heiter aussehende 47-Jährige setzte eine bedenklich ernste Miene auf, als er Worte wie „sehr großer Respekt“ und „sehr klare Spielweise“ verwandte.
Natürlich gehört die Lobhudelei über den nächsten Gegner zur festen Liturgie eines jeden Trainerstatements. Aber Englands Coach weiß auch, die Erwartungen an sein Team steigen gerade ins Unermessliche. Dass seine Mannschaft mit einem gewonnenen Elfmeterschießen gegen Kolumbien etwas vollbracht hatte, das man aufgrund historischer Fakten bislang als ein Ding der Unmöglichkeit betrachtet hatte, macht die Sache nicht unbedingt einfacher.
Wenn es bei einer Weltmeisterschaft zum Elfmeterschießen kam, waren die Engländer zuvor jedes Mal (1990, 1998, 2006) gescheitert. Warum sollten sie nun nach Überwindung dieses Traumas nicht auch Weltmeister werden? Zumal der vorteilhafte Turnierbaum eine vergleichsweise komfortable Reise bis ins Luschniki-Stadion zum Endspiel am 15. Juli zu versprechen scheint. Da muss Southgate emotional schon auf die Bremse treten, um die Gefahr der Hybris zu schmälern.
Von den großen Fußballnationen, die bereits einige Titel gewinnen konnten, wie Frankreich und Brasilien, wird spätestens im Halbfinale eine auf der Strecke bleiben. Davor müssten die Südamerikaner den ewigen Geheimfavoriten Belgien, die Franzosen und die stets erstaunlich erfolgreichen Uruguayer aus dem Weg räumen. Auf dieser Seite des Turnierbaums herrscht eine Qualitätsdichte, die das Durchkommen extrem erschwert.
Luftiger geht es auf der Seite der Engländer zu. Sollte man Schweden schlagen, warten im Halbfinale Kroatien oder Russland. Nationen, die noch nie einen Titel holen konnten und sich damit von den Engländern unterscheiden, die vor einem guten halben Jahrhundert (1966) ja immerhin einmal Weltmeister wurden.
Begünstigt hat diese lockere Konstellation das Scheitern der großen Turnierfavoriten Deutschland und Spanien. Verschwörungstheorien, die einen unlauteren Heimvorteil der Russen sehen möchten, taugen also nicht. Nun wird auf dieser Seite des Turnierbaums eben eine Überraschungsrunde ausgespielt, bei der die Engländer wahrscheinlich die besten Karten haben.
Ihre Stabilität in der Defensive, die Grundvoraussetzung eines jeden Titelgewinns, ist beeindruckend. Beglückt erklärte Southgate in Moskau: „Ich bin stolz, wie meine Mannschaft aufgetreten ist. Wir haben die Partie kontrolliert und sehr diszipliniert gespielt.“ Die Kolumbianer kamen erst gegen Ende der regulären Spielzeit zu Torchancen.
Von herben Rückschlägen wie dem späten Ausgleichstor durch Yerry Mina in der Nachspielzeit ließ sich das englische Team auch nur kurzzeitig irritieren. Und selbst wenn nach vorn wenig gelingt, kann sich die Mannschaft stets auf Harry Kane verlassen, der bereits sechs WM-Tore erzielt hat. Der erfolgreichste Torschütze dieses Turniers sagte nach dem Einzug ins Viertelfinale: „Das gibt uns großes Selbstvertrauen. Aber wir müssen noch einen langen Weg gehen.“
Die Länge dieses Wegs ist für die verbliebenen Teams gleich. Über die Beschwerlichkeit dieses Weges sollte sich England lieber nicht beklagen. Auch wenn allen klar ist: Schweden wird ein hammerultraschwerermegakrasser Gegner!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen