Prozess wegen antisemitischem Übergriff: Kippa nicht gesehen
Ein Flüchtling schlägt mitten in Berlin mit einem Gürtel auf einen Israeli ein, beschimpft ihn als Jude. Am Montag begann der Prozess gegen ihn.
Hintergrund der Frage, so die Anwältin, sei die Unterstellung, es gebe eine Verschwörung gegen den Angeklagten. Geäußert habe sie der Anwalt des zweiten Angeklagten, Cousin von Al S., der in die Attacke involviert war und gegen den noch ermittelt wird. Am Dienstag dreht sich aber alles um Al S. selbst, einen schlanken jungen Mann mit großen Augen und Kinnbärtchen. In dem vom Opfer aufgenommenen Video, das nach dem Vorfall viral ging, tritt er extrem aggressiv in Erscheinung, jetzt wirkt er schüchtern und bittet sein Opfer um Entschuldigung.
Drei Schläge sollen es gewesen sein, die Armush trafen – aber er habe die Gürtelschnalle in der Hand gehalten, so Al S. Das ist wichtig, die Anklage lautet auf gefährliche Körperverletzung. Am Ende der Vernehmung sieht man sich das Video etliche Male gemeinsam an. Gut zu erkennen ist es nicht, aber Richter Günter Räcke und die Schöffen gelangen zur Auffassung, dass das Opfer Recht hat: Die Schnalle aus Metall war es, die ihn an der Seite, am Bein und an der Lippe traf.
Ein Mann trägt eine Kippa in Berlin und wird deshalb misshandelt – das ist es, was den Fall so groß macht, der sonst wohl in ein, zwei Stunden abgehandelt würde. So aber sind Dutzende Journalisten erschienen, weshalb der Prozess in den terrorsicheren großen Saal des Gerichtsgebäudes verlegt wurde. Vertreter der Jüdischen Gemeinde sind ebenso gekommen wie der Israel-Hasser und Erdogan-Fan Martin Lejeune.
„Du Jude“ gelte halt als Schimpfwort
Dass er zugeschlagen hat, kann Al S. nicht bestreiten, das Warum ist die spannende Frage. Seine Version: Die kippatragenden Männer hätten ihn auf Arabisch beleidigt – möglicherweise, weil er selbst vorher seinen Cousin, mit dem er unterwegs war, zum Spaß laut mit Beschimpfungen überzogen habe, unter anderem: „Ich ficke deine Juden“, ihm zufolge eine arabische Redewendung. Dass der junge Mann, auf den er kurz darauf einschlug, Jude sein könnte, habe er erst später gemerkt – die Kippa sei ihm vorher gar nicht aufgefallen.
Dass er dann – wie im Video zu sehen – aggressiv „Jude“ ruft, erklärt er damit, das „gelte halt als Schimpfwort“. Er habe aber nichts gegen Juden und verstehe auch nichts von Politik.
Adam Armush, der an diesem Tag in Begleitung eines Freundes im Prenzlauer Berg mit der jüdischen Kopfbedeckung unterwegs war, wies die Darstellung von Knaan Al S. zurück. Er habe mit dem Angeklagten vor der Attacke keinerlei Worte gewechselt. Ein Trio um den Angeklagten habe sie über die Straße hinweg beschimpft. Sein Begleiter, ein Deutsch-Marokkaner, habe die Angreifer daraufhin aufgefordert, sie in Ruhe zu lassen. Dann sei Knaan Al S. auf ihn zugerannt gekommen, habe ihn als „dreckigen Jude“ bezeichnet und mit dem Gürtel auf ihn eingeschlagen.
An den nächsten Verhandlungstagen – eigentlich war nur einer vorgesehen – soll sich auch durch weitere Zeugenbefragungen herauskristallisieren, wer Recht hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Merz stellt Reform in Aussicht
Zarte Bewegung bei der Schuldenbremse
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Schuldenbremsen-Dogma bröckelt
Auch Merz braucht Geld
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“