Offener Brief zu Gestapo-Gedenkort: 70 Quadratmeter sind nicht genug
Zum Wirrwarr um den Hamburger Gedenkort Stadthaus haben Historiker einen offenen Brief verfasst. Und fragen: Was macht ihr da bloß?
Die Liste der Unterzeichner ist ob deren Fachlichkeit beeindruckend: Michael Wildt von der Berliner Humboldt-Uni hat ebenso unterschrieben wie Thomas Lutz von der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin oder Christel Trouvé und Marcus Meyer vom Denkort Bunker Valentin in Bremen. Dabei ist auch Gerhard Paul aus Flensburg, Herausgeber der Grundlagenwerke der Geschichte der Geheimen Staatspolizei und der Kieler Geschichtsdidaktiker Karl Heinrich Pohl.
„Es gab bundesweit ein hohes Interesse führender Experten, die wissen wollten: ‚Was macht ihr da eigentlich in Hamburg?‘“, sagt Wolfgang Kopitzsch, der den Brief mit auf den Weg gebracht hat. Der Historiker ist nicht nur Bundes- und Landesvorsitzender des Arbeitskreises ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten, er war auch von 2012 bis 2014 Polizeipräsident in Hamburg. Er gilt als einer der besten Kenner der Polizeigeschichte Hamburgs.
Kopitzsch sieht Spielraum für eine Neubewertung der Situation: „Der Hamburgischen Bürgerschaft ist immer wieder berichtet worden, im Stadthaus würde ein Gedenk- und Lernort entstehen; so steht es auch in diversen Bürgerschaftsdrucksachen. Davon kann aber keine Rede sein.“ Entsprechend könne man sich fragen, ob Quantum seinen Vertrag zur Errichtung eines solchen Ortes erfüllt habe.
Interessant ist, dass auch die Historiker*innen des Gedenk- und Informationsortes Villa Ten Hompel in der Stadt Münster den offenen Brief unterzeichnet haben. In Münster, einer 312.000-Einwohner-Stadt, hat man in der ehemaligen Villa eines Fabrikanten, in der ab 1940 die Ordnungspolizei untergebracht war, die unheilvoll im Ruhrgebiet, aber auch in Belgien agierte, auf 250 Quadratmetern eine Dauerausstellung errichtet. Dieser schließen sich Seminarräume, ein Veranstaltungssaal sowie eine Bibliothek an, so dass man am Ende auf 1.300 Quadratmeter Fläche kommt.
In der Stadt Hamburg mit ihren rund. 1,83 Millionen Einwohnern sollen nun 70 Quadratmeter reichen, um sowohl die Arbeit der Norddeutschen Gestapo, der Sicherheits- wie der Ordnungspolizei zu beleuchten. Die Verfolgung politischer Oppositioneller, die Überwachung der in und um Hamburg eingesetzten Zwangsarbeiter durch polizeiliche Abteilungen soll Thema werden, ebenso die Beteiligung Hamburger Polizeikräfte an den Deportationen von Juden, Sinti und Homosexuellen. Und auch die Geschichte des Widerstandes der Kommunisten über die Sozialdemokraten bis zu Christen gegen das NS-Regime, und derjenigen, die im Stadthaus verhört und gefoltert wurden, soll auf der Fläche berücksichtigt werden.
Es wird spannend, ob dieser offene Brief die zurzeit zurückhaltende Hamburger Historikerszene dazu animieren wird, sich gleichfalls zu öffentlichen Statements zu entschließen. Der auf Drängen von protestierenden Opferverbänden von der Hamburger Kulturbehörde eher widerwillig eingerichtete Beirat, der die Ausarbeitung und Gestaltung der kommenden Mini-Ausstellung in 2019 begleiten soll und der in nichtöffentlichen Sitzungen tagt, schweigt sich jedenfalls öffentlich bisher aus.
Hinter den Kulissen, so ist zu hören, sei man recht ratlos, wie man aus der verfahrenen Situation herauskommen könne. Völlig abgetaucht ist der grüne Koalitionspartner, der in der Vergangenheit das Feld der Erinnerungspolitik ohnehin weitgehend unbesetzt ließ.
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