„Frauenmarsch“ in Berlin: AfD gendert Frauendemo
Beim letzten Mal wurden sie noch blockiert, diesmal kamen sie durch: Wenige AfD-Frauen und mehr -Männer gelangten bis zum Kanzleramt.
Auch sonst zeigt die Polizei wenig Langmut. Wer versucht, näher an den sogenannten Frauenmarsch der Anmelderin Leyla Bilge zu gelangen oder ihn gar zu blockieren, wird zügig abgedrängt.
Überhaupt ist das Polizeiaufgebot gemessen an der Größe der Demonstration gewaltig. Auf dem ersten Kilometer der Friedrichstraße reiht sich ein Mannschaftswagen an den nächsten. Berlin-Mitte ist in weiten Teilen abgeriegelt. So gelingt es den etwa 300 TeilnehmerInnen der neuerlichen AfD-Veranstaltung ihre komplette Demoroute zu laufen, vom Kreuzberger Mehringplatz bis vor das Kanzleramt, vorgeblich zur Mahnung vor frauenverachtenden Verbrechen von Geflüchteten und Migranten – der Name Susanna fällt oft.
Gesammelt hatte sich der Aufmarsch im inneren Rund des Mehringplatzes. Als die Demo beginnt, halten im äußeren Ring gut 150 GegendemonstrantInnen eine Kundgebung ab. Schon seit dem Vormittag sind sie hier, blockiert von der Häuserfront und den Gittern der Polizei. Sichtbarer ist der Protest mit Transparenten, die aus Fenstern und von Balkons hängen. Solange die Demonstration an Wohnhäusern vorbeizieht, manifestiert sich so die Abneigung der AnwohnerInnen.
Einschlägige Tattoos
Relativ pünktlich startet der „Frauenmarsch“, der sich zu mindestens 60 Prozent aus Männern zusammensetzt. In einiger Entfernung finden sich wiederholt Protestierende mit Anti-AfD-Sprechchören. Vereinzelt gibt es die sogar sehr nah an der Demonstration, offenbar waren nicht alle Café-Gäste an der Route bei der polizeilichen Gesichtskontrolle auffällig geworden. Am Brandenburger Tor schließlich kommt der Gegenprotest dem Marsch recht nahe, Tätlichkeiten bleiben auf der gesamten Strecke aus.
Der Verantwortliche im Lautsprecherwagen der Polizei gibt sich gut gelaunt und lobt unter anderem „die Besonnenheit“ der AfDler: „Wir machen ja auch die Strecke frei, wie es sich gehört“. Und so scheint niemand eine vorab angekündigte rechte Bikergang zum Schutz des sogenannten Frauenmarsches zu vermissen. Immerhin haben einige der Teilnehmer einschlägige Tattoos, darunter der persönliche Bodyguard der Anmelderin Bilge.
Einige jugendliche Anhänger der identitären Gruppe tragen T-Shirts mit dem Spruch „Defend Europe“ auf, Warnwesten mit der Aufschrift „Free Tommy Robinson“ sind häufig zu sehen. Robinson ist ein mehrfach vorbestrafter englischer Rechtsradikaler, der sich zur Zeit wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen in Haft befindet. Unter seinesgleichen wird er als Vorkämpfer der Meinungsfreiheit gehandelt und als Anti-Islam-Aktivist gefeiert.
„Apartheid-Islam“ und „Antifanten“
Wohl etwas überrascht vom eigenen Erfolg und reichlich ermüdet erreicht der Aufzug gegen 17.30 Uhr das Kanzleramt. Beim letzten Versuch im Februar war die Demo noch in Kreuzberg von GegendemonstrantInnen gestoppt worden. Die kurzen Redebeiträge auf dem Weg an diesem Samstag beschränken sich auf überschwängliche Dankesworte an die Berliner Polizei. Die Playliste des Demo-Lautsprecherwagens ist mit wenigen Liedern erschöpft, die ständig wiederholt werden.
Der national orientierte Widerstand vereinnahmt sogar Joan Baez' Version von „We shall overcome“ und das DDR-Pionierlied „Unsere Heimat“. Selbst das scheint Angelika Barbe nicht zu stören. Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin, spätere SPD-, dann CDU-Politikerin, jetzt Pegida-Rednerin und Mitglied im Kuratorium der Bundesstiftung der AfD schwadroniert auf der Abschlusskundgebung vom „Apartheid-Islam“ und den „Antifanten“, die wohl vom Demogeld an den Strand gefahren seien.
Unbedingt weghaben haben will sie die Berliner Senatoren Behrend (Justiz, Grüne) und Lederer (Kultur, Linke) wegen ihrer Haltung zum Neutralitätsgesetz. Aber eigentlich spricht sie, wie alle, die noch reden werden, Angela Merkel direkt an. Angefeuert von „Merkel muss weg“-Spechchören, wird die Kanzlerin konkurrenzlos in den Fokus der präsentierten Wut gestellt.
Mahnende Worte an die Kanzlerin
So auch von Michaela, die sich selbst als Transperson identifiziert und die zunächst skeptischen DemoteilnehmerInnen mit engagiert vorgetragenem Islam- und Merkelhass zumindest für diesen Moment auf ihre Seite ziehen kann. Als nächste spricht die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst, deren Nominierung für das Kuratorium der Magnus-Hirschfeld-Stiftung für erheblichen Protest gesorgt hatte. Höchst zeigt sich gerne als erklärte Feindin der „Gender-Ideologie“. Heute sind alle gegen den gemeinsamen Feind vereint.
So auch die Ordensschwester Hatune Dogan, eine christlich-orthodoxe Fundamentalistin, die in einer schier endlosen Tirade einen Kulturkampf zwischen Islam und Christentum in den grellsten Farben malt. Bis zurück in die maurische Zeit zeichnet sie ein monströses Feindbild, unterfüttert mit dunkelsten Horrorgeschichten von sexueller Gewalt und Verstümmelungen, natürlich sämtlichst von ihr in tausenden persönlichen Gesprächen im Rahmen ihrer wohltätigen Arbeit verifiziert.
Abschließend dankt Leyla Bilge erneut der Berliner Polizei und explizit deren neuer Präsidentin Barbara Slowik. Bilge ist sich sicher, dass die AfD und ihr letzter, blockierter, Frauenmarsch Slowiks Vorgänger Kandt gestürzt habe. Dann hat auch sie noch ein paar mahnende Worte an die Kanzlerin. Doch die kann Bilge und ihren kleinen Frauenmarsch nicht hören. Tatsächlich ist Angela Merkel heute weg: auf Dienstreise, in Kanada, nämlich.
Ganz am Ende wird die Nationalhymne gesungen, nur die dritte Strophe. Die Fahnen werden eingerollt, viel Schwarz-Rot-Gold, die bei Pegida so beliebte Stauffenbergflagge und sogar eine preußische Fahne waren auch dabei. Am Samstagabend kurz nach sieben ist der sogenannte Frauenmarsch vorbei.
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