: Flanieren mit Engagement
Auf dem Papier existieren sie bereits: „20 Grüne Hauptwege“, auf denen sich Berlin auf einem zusammenhängenden, 550 Kilometer umfassenden Wegenetz durchstreifen lässt. Nur das Geld fehlt
VON LARS KLAASSEN
87 ehrenamtliche Flaneure sind in den vergangenen Monaten ausgeschwärmt, um den bestmöglichen Verlauf von „20 Grünen Hauptwegen“ durch Berlin ausfindig zu machen. Neben vielen vorhandenen und wunderschönen Routen fanden sie auch durch Industrie- und Bahnbrachen versperrte Uferpfade und umständliche Straßenquerungen. Und sie entdeckten Umwege, die existierende Strecken bereits miteinander verknüpfen. Dank der aufmerksamen Flaneure liegt nun erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme vor, die folgende Fragen beantwortet: Welche grünen Schneisen existieren bereits, wo sind sie unterbrochen, wie können diese Lücken mit möglichst geringem Aufwand geschlossen werden?
Ziel ist ein zusammenhängendes „grünes“ Wegenetz durch Berlin, das bis zu 550 Kilometer umfassen würde. „Für europäische Metropolen wäre das einmalig. Jetzt muss es umgesetzt werden“, betont Rolf Kreibich, Direktor des Berliner Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT). „Endlich wird der Fußgänger als schwächster Verkehrsteilnehmer besonders präferiert.“
Das Projekt „Ein Plan für ‚20 Grüne Hauptwege‘ “ erhielt seine Anschubfinanzierung von der „Projektagentur Zukunftsfähiges Berlin“, die beim Berliner IZT angesiedelt ist. Eva Epple hatte zusammen mit FUSS e. V. einen Antrag beim IZT auf Projektförderung gestellt: „Rund 12.600 Euro wurden uns aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie Berlin zur Verfügung gestellt“, berichtet die Initiatorin.
Seit Mai 2004 kooperiert auch der Landesverband Berlin des Bunds für Umwelt- und Naturschutz (BUND) mit dem Bürgerbeteiligungsprojekt. „Die Flaneure zeigen Engagement im besten Sinne“, sagt Herbert Lohner, Referent für Naturschutz beim BUND. „Mit diesem Konzept ist Berlin ein Vorreiter in Europa.“ Vertreter aus anderen Metropolen hätten sich das Projekt bereits mit Interesse angesehen und sich daran orientiert.
„20 Grüne Hauptwege“ – das ist ein Netz von Spazierwegen, Promenaden und durchgrünten Straßenräumen, die innerhalb der Stadtgrenzen von Berlin den Weg zur Arbeit, das Erledigen von Besorgungen, den täglichen Spaziergang mit dem Kinderwagen, das Gesundheitstraining oder längere Ausflüge ohne Belästigung und Gefährdung durch den Autoverkehr erlauben. Das Besondere daran: Sie führen durch eine Kette von Parkanlagen, von einer Oase zur nächsten. Wer etwa vom Görlitzer Park gen Süden die Fußgängerbrücke über den Landwehrkanal überquert, steht an einem bereits vorhandenen Teilstück des Wegenetzes: Von hier führt ein Weg auf dem alten Bahndamm zur Elsenstraße, endet kurz dahinter jedoch an einem Zaun. Später soll er einmal verlängert werden und den Görlitzer mit dem Treptower Park verbinden.
Auch die neu angelegten Uferpromenaden im Regierungsviertel sind Bestandteil des Netzes. Doch trotz stetigem Ausbau gibt es noch viele Lücken. Wer etwa vom historischen Hafen kommend entlang der Spree unter der Jannowitzbrücke hindurchgeht, steht nach etwa 30 Metern vor dem abrupten Ende der Flaniermeile.
Die ehrenamtlichen Flaneure haben solche Lücken nicht nur vermerkt, sondern auch notiert, über welche Umwege man am besten zum nächsten Teilstück des Netzes gelangt – oder was getan werden sollte, damit Fußgänger besser Anschluss finden. Sie machen aus eigener Perspektive einer guten Planung Beine – als erste Nutzerinnen und Nutzer der grünen Schneisen. Die Projektinitiatoren FUSS e. V. und Eva Epple haben sie zusammengerufen und mit vorbereiteten Arbeitsunterlagen losgeschickt. Ziel des Projektes „Ein Plan für ‚20 Grüne Hauptwege‘ “ ist es, der weithin vagen Planung für diese 20 Wege hinterherzuspüren, sie sichtbar und natürlich auch nutzbar zu machen.
Im Berliner Landschaftsprogramm existieren die „20 Grünen Hauptwege“ schon seit vielen Jahren – von den Berlinern jedoch weitgehend unbemerkt. Durch die Arbeit der Flaneure soll ihre Attraktivität bekannt gemacht werden, indem Hinweise auf „interessante Orte für Langsame“ gegeben werden, die am Wegesrand liegen. Zum Beispiel auf einen guten Spielplatz, der Kinder und Erwachsene zu einem Ausflug verlockt; ein Restaurant, das mit umweltfreundlich hergestellten Lebensmitteln oder regionaltypischen Rezepten für das leibliche Wohl sorgt; einen stadtgeschichtlich oder kulturell besonderen Ort, dessen Besuch schon immer mal auf der Wunschliste stand .
Die Grundstruktur des Wegesystems besteht aus zwei Ringen und einem „Grünen Achsenkreuz“: Unmittelbar um die dicht bebaute Innenstadt von Berlin liegt ein Ring von Volksparks, Kleingärten und Friedhöfen, der so genannte „Innere Parkring“. Er ist – im Zuge der Stadtentwicklungsplanung in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts – als Beitrag zu gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle Berlinerinnen und Berliner angelegt worden. Neue Parkanlagen wie der Mauerpark und der Natur-Park Schöneberger Südgelände ergänzen die historischen Anlagen. Brachliegende Flächen wie das Gleisdreieck sollen künftig begrünt und ebenfalls integriert werden.
In den Außenbereichen Berlins entsteht – seit das Landschaftsprogramm 1994 verwaltungsverbindliche Arbeitsgrundlage wurde – ein weiterer Ring, der „Äußere Parkring“. Er verbindet die vier großen Naherholungsgebiete am Tegeler See, Wannsee, Müggelsee und auf dem Berliner Barnim mit den vielen kleinen und großen Parkanlagen, die in die Großsiedlungen der 70er- und 80er-Jahre sowie in die neuen Entwicklungsgebiete eingestreut sind.
Entlang von Flüssen, Fließen und Kanälen, Bahnlinien und verkehrsberuhigten Nebenstraßen erstreckt sich das „Grüne Achsenkreuz“ von Landesgrenze zu Landesgrenze. Es ist das tragende Gerüst für die „20 Grünen Hauptwege“ und gleichzeitig fast am schwierigsten zu verwiklichen. Denn es führt oft durch die privaten Höfe der Gewerbegebiete von Berlin und ermöglicht damit auf der anderen Seite doch ganz besondere, historisch vielschichtige, abwechslungsreiche Perspektiven auf die bunten Nutzungsmosaike der Metropole.
Auf Entgegenkommen von privater Seite ist das Projekt auch in anderer Hinsicht angewiesen: Die LandschaftsplanerInnen auf Senats- und Bezirksebene wollen das gesamte Wegenetz zwar möglichst bald nutzbar machen. Doch Berlin fehlt das Geld. Nur im Zusammenwirken von Verwaltungen und Privatinitiativen wird sich das Wegenetz am Ende knüpfen lassen.
Derzeit werden die Berichte der Flaneure ausgewertet. Damit existiert bald eine detaillierte Bestandsliste, aus der auch hervorgeht, wo was gemacht werden muss, damit die Wege genutzt werden können. Wer das bezahlen soll, ist eine bislang noch ungeklärte Frage. Da gilt es noch zu werben für die „20 Grünen Hauptwege“ – und zwar „mit freundlichen Füßen“, wie eine Flaneurin bereits ihre Erkundungsberichte an FUSS e. V. unterschrieb.
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