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Gedenken in MoabitEine Hecke gegen das Vergessen

Das Deportationsmahnmal an der Levetzowstraße soll nach unglücklichen Umgestaltungen seine Würde und Erinnerungsfunktion zurückerhalten.

Eine Liste des Schreckens – Teil der Gedenkstätte in der Levetzowstraße Foto: Claudius Prößer

Moabit, Levetzowstraße: Noch brennt die Sonne auf die Gedenkstätte, die an die Deportation tausender Berliner Jüdinnen und Juden erinnert, aber ein Gewitter bahnt sich an. Besucher sind keine da, nur in Mann mit Gipsbein döst auf der Rampe, die in die gusseiserne Nachbildung eines Güterwaggons führt. Das Monstrum, in dem sich menschenähnliche Marmorfiguren drängen, steht genau vor dem ehemaligen Eingang einer der größten Synagogen der Stadt. Wo sich einst ein von vier Säulen getragener Portikus erhob, steht eine hohe, leicht geneigte Tafel aus rostigem Stahl, in die eine Liste der Menschentransporte gefräst ist. Das Licht fällt durch lapidare Zeilen wie „4. März 1943, 1143 Juden nach Auschwitz“.

Die Synagoge mit mehr als 2.000 Sitzplätzen und angeschlossener Religionsschule wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 nur leicht beschädigt und konnte bis 1941 weiter religiös genutzt werden. Dann zwang die Gestapo die Jüdische Gemeinde, hier ein Sammellager für die bevorstehenden Deportationen einzurichten. Von hier aus wurden die Menschen erst über den Güterbahnhof Grunewald, dann über den Moabiter Güterbahnhof nach Osten verschleppt. Nach Bombentreffern im Krieg wurde das Gebäude 1955 abgerissen, das Grundstück blieb unbebaut und beherbergt seit langem Sportflächen und einen Kinderspielplatz.

Theseus Bappert, einer der Landschaftsarchitekten, die das am 50. Jahrestag der Pogroms 1988 eingeweihte Denkmal entwarfen, sagt, diese Nachnutzung habe ihn und seine Kollegen nie gestört. Im Gegenteil: „Wir fanden es richtig, dass hier Raum für die neue Generation war, die von den Verbrechen der Vergangenheit weniger belastet ist. Aber es gehörte zum Konzept, dass man das Gelände über das Mahnmal betreten muss.“ Die einstige Fassade der Synagoge wurde durch die Anlage einer Baumhecke aus Hainbuchen nachempfunden, die bis zur historischen Gebäudehöhe von 11 Metern emporwachsen sollte.

Sollte – denn im Rahmen mehrerer Umgestaltungen des Spielplatzes in den vergangenen Jahren wurden die 40 Bäume irgendwann einfach gefällt. Wann und wie genau, das kann auch die heute zuständige grüne Bezirksstadträtin Sabine Weißler nicht mehr genau rekonstruieren. Die Veränderungen, die auch bedeuteten, dass der Zugang nicht mehr über das Mahnmal erfolgt (weil direkt dahinter eine Boulder-Wand errichtet wurde), wurden aber „sicherlich nicht vorgenommen, um die Gedenkstätte zu konterkarieren. Das war eher Schusseligkeit.“

Trotzdem: Im kommenden Jahr soll die Anlage für geplant 250.000 Euro im ursprünglichen Sinne wiederhergestellt werden. Landschaftsarchitekt Bappert wird drei Jahrzehnte später wieder dafür verantwortlich zeichnen. Sein Plan: Die Kletterwand muss anderswo aufgestellt werden, an ihrer Stelle entstünde ein „stiller Raum“, den man durchqueren muss. Die Hecke wird wieder neu gepflanzt und muss eben 25 verlorene Jahre Wachstum nachholen. Diese Maßnahmen sollen dem Ort seine volle Würde wiedergeben. „Man sieht ja heute, dass lange Zeit Undenkbares wieder politisch möglich ist“, so Bappert, „und wir wollen alles uns Mögliche dafür tun, dass die industrielle Vernichtung von Menschen nicht in Vergessenheit gerät.“

Eine Hecke auf Stämmen

Weil das Ordnungsamt, aber auch Eltern spielender Kinder ein Interesse daran haben, dass das Gelände von außen einsehbar ist, soll das dichte Laub der Hainbuchen künftig erst ein bis zwei Meter über dem Boden wachsen dürfen. Solche Hecken, die quasi auf Stämmen stehen, waren Bappert in Versailles aufgefallen, er hält sie für einen vertretbaren Kompromiss zwischen der Aussagekraft des Kunstwerks und dem gewachsenen Bedürfnis nach Sicherheit.

Billig wird die Pflege einer solchen Monumentalhecke nicht, aber Sabine Weißler will sowieso „in den Verhandlungen um den nächsten Doppelhaushalt noch ein bisschen überzeugender werden“, damit der Bezirk Mitte mehr Geld für seine Grünflächenpflege bekommt. Die von Moabiter Bürgerinitiativen geforderte Markierung des „Deportations-Netzwerks“, also der Wege, die vom Sammellager in der Levetzowstraße mitten durch die Stadt auf die Rampen der Güterbahnhöfe führten, sei ebenfalls wünschenswert, müsse aber vom Land finanziert und umgesetzt werden.

Kurios und wohl das Ergebnis mangelnder Kommunikation ist es, dass sowohl Bürgerinitiativen als auch die Stadträtin zu Informationsveranstaltungen mit den Landschaftsarchitekten einladen, beide ins Rathaus Tiergarten: Die der BIs findet morgen (1.6.) um 17 Uhr, die des Bezirksamt am 7.6. um 17.30 Uhr statt.

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