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ANJA MAIER TASCHENGELDGrößere Sitztiefe

Ich will ein neues Sofa. Es sind Prozentewochen im Möbelhaus. Und? Der Mann fühlt sich nicht wohl

Schlimm sah sie aus, unsere Couch. Die guten Daunenpolster platt, üble Flecken auf den Leinenbezügen. Auch wenn niemand auf ihr saß, sah man – wie eine Art Matrix – doch die Körperumrisse unserer Tochter, die die letzten drei Jahre bis zu ihrem Abitur auf dieser Couch verbracht hatte. Da, wo ihr Hintern gewesen war, wo sie – Laptop und Fernbedienung im Anschlag – gelegen hatte, hatte sich eine tiefe Kuhle gebildet. Auf der Seitenlehne, wo sie ihren Kopf gelagert hatte, war ein gilbliches Mahnmal jugendlicher Verweigerung entstanden.

Jetzt, wo dieses Kind einer Arbeit nachgeht und einen Freund hat, also kaum noch Zeit hat, stundenlang das Sitzmöbel zu blockieren, wollen wir uns ein neues Sofa leisten. Also eigentlich will nur ich das. Denn der Mann findet, dass die Ikea-Couch „völlig okay“ ist. Ginge es nach ihm, hätten wir auch bis heute keine Spülmaschine, weil Abwaschen „völlig okay“ ist.

In aller Stille sichte ich über Wochen die Angebotslage. Ich werde Spezialistin für Polsterfüllungen und schmutzabweisende Bezüge. Ich lerne eine Menge über den Unterschied zwischen Discountsofas und High-End-Meublement. (Hätten Sie gewusst, dass sich die teurere Couch durch eine größere Sitztiefe auszeichnet?) Irgendwo zwischen diesen beiden Preisklassen lande ich bei einem dänischen Möbelhaus. Und als dort Prozentewochen sind, locke ich den Mann hin. Nur mal gucken.

Es gibt Sofas für jeden Geschmack. Monstersofas, deren Käufer in Fabrikhallen zu wohnen scheinen. Kleine für Singles, deren Einzimmerbutze hier Studio heißt. Und es gibt so Spießersofas für Frauen wie mich, die nach absolvierter Familienphase doch mal Geld für Design und Bequemlichkeit auszugeben bereit sind.

Der Mann streift unschlüssig in den Wohnlandschaften umher. Er fühlt sich nicht wohl. Dann braut ihm die kluge Verkäuferin einen Espresso, und mit dem setzt er sich doch mal drauf auf so eine Couch. Tatsächlich ist es behaglich da. Eben, größere Sitztiefe, murmele ich. Und, ja, Prozentewochen, sagt er nun. Und, na gut, er darf den Bezugsstoff aussuchen. Und, was soll’s, ich zahle sofort die Hälfte an. Und, doch, als wir draußen sind, freuen wir uns, eine erwachsene Entscheidung gefällt zu haben.

Nun steht sie bei uns, die Couch. Wegen der Sitztiefe gibt es eine Kollisionssituation mit anderen Möbeln, das drängt sich jetzt etwas. Aber wir haben einen mittleren Spießerpreis für unsere Couch bezahlt und sind zufrieden. Als unsere Tochter nach Hause kommt, ist sie geschockt. Wir hatten ihr nicht erzählt, dass bei uns ein neues Möbel einzieht. Sie schaut es sich an und mault. Was das soll, wo bitte ihre Couch ist, warum sie keiner gefragt hat. Ich bin ernsthaft beleidigt und gifte ein bisschen. Seither kommen keine Klagen mehr. Und da, zwischen dem ersten und zweiten Polster, bildet sich bereits eine süße kleine Kuhle.

Anja Maier ist taz-Parlamentskorrespondentin Foto: Wolfgang Borrs

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