: Gauland schießt mal wieder den Vogel ab
„Vogelschiss“ nennt der AfD-Chef die NS-Zeit in einer Rede vor dem Parteinachwuchs. Kritik daran gibt es selbst aus der AfD, allerdings vor allem strategisch begründet
Von Malene Gürgen und Christian Rath
Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland hat erneut für parteiübergreifende Empörung gesorgt. „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, sagte der Rechtsaußenpolitiker in seiner Rede auf dem Bundeskongress der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative im thüringischen Seebach. „Wir haben eine ruhmreiche Geschichte – und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre“, fügte Gauland an.
Holocaust-Überlebende und Spitzenpolitiker aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien reagierten mit Empörung. Der Exekutivvizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, sagte, für Auschwitz-Überlebende wirkten „die kühl kalkulierten und hetzerischen Äußerungen“ Gaulands nur noch widerlich. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahm am Sonntag in Berlin indirekt Bezug auf Gauland. Mit Blick auf die NS-Zeit sagte er: „Wer heute diesen einzigartigen Bruch mit der Zivilisation leugnet, kleinredet oder relativiert, verhöhnt nicht nur die Opfer, sondern will alte Wunden wieder aufreißen und sät neuen Hass.“
Auch aus der AfD gab es Kritik an Gaulands Äußerung. „Der größte Massenmörder Deutschlands, Hitler, ist beileibe kein Vogelschiss“, schrieb der Bundestagsabgeordnete Uwe Witt, in Nordrhein-Westfalen Sprecher der Parteiströmung Alternative Mitte. Für die „unglaubliche Bagatellisierung durch unseren Parteivorsitzenden“ entschuldige er sich bei „allen jüdischen Mitbürgern und den Opfern des Naziregimes sowie deren Familien“. Witt will für die AfD in den Kuratoriumsbeirat der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas einziehen.
Gegenüber der taz übte Witt allerdings vor allem aus strategischer Sicht Kritik an Gaulands Äußerung: „Solche Betrachtungen sind nicht nur ärgerlich, sondern auch schädlich, weil sie Wähler vergraulen.“ Es sei ein Problem, wenn „mehr auf die Anerkennung von Parteifreunden als auf die der Wähler geachtet wird“. Inhaltlich fasste er seine Kritik folgendermaßen zusammen: „Millionen Menschen sind gestorben, Millionen Familien sind in Mitleidenschaft gezogen worden, darunter auch viele deutsche. Es ist eine Schande, da von einem Vogelschiss zu reden.“ Witt sagte, er erwarte, dass Gauland sich entschuldige. Falls das nicht passiere, müssten „die Gemäßigten in der Partei überlegen, wie sie sich strategisch aufstellen“. Die Einheit der Partei sehe er aber nicht in Gefahr.
In seiner Rede bekannte sich Gauland zwar zur grundsätzlichen Verantwortung für die Zeit des Nationalsozialismus. Allerdings hat der frühere CDU-Politiker schon mehrfach mit Äußerungen zur deutschen Geschichte für Empörung gesorgt, etwa als er das Recht forderte, stolz auf die Leistungen der deutschen Wehrmachtssoldaten zu sein.
In den sozialen Netzwerken bezeichnen viele Gaulands Aussagen als „Volksverhetzung“. Es ist aber zweifelhaft, ob ihn eine Staatsanwaltschaft entsprechend anklagen würde. Die Strafbarkeit der Volksverhetzung ist in Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs geregelt. Unter diesem Begriff werden mehrere Delikte zusammengefasst, unter anderem die Aufstachelung zum Rassenhass, die Holocaust-Leugnung und die Billigung der NS-Diktatur.
Neben der völligen Leugnung des Holocaust ist in Paragraf 130 zwar auch dessen „Verharmlosung“ strafbar. Allerdings hat Gauland den Holocaust nicht einmal erwähnt. Mit seinem „Vogelschiss“-Satz stellt er vielmehr rein quantitativ auf die Dauer des NS-Regimes ab und erklärt damit dessen „Qualität“ für vernachlässigbar. Damit verharmlost er zwar die NS-Zeit, aber nicht speziell die Judenverfolgung und -vernichtung.
Bezogen auf die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft wäre laut Strafgesetzbuch mindestens eine Billigung, eine Rechtfertigung oder eine Verherrlichung erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht hat ohnehin eine zurückhaltende Auslegung des Volksverhetzungsparagrafen gefordert. Die mögliche Konfrontation mit „beunruhigenden Meinungen“ gehöre zum freiheitlichen Staat, so die Richter des Ersten Senats. Der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ könne den Einsatz des Strafrechts nicht rechtfertigen.
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