Energiegenossenschaft in Leipzig: Anteilige Energie
Bürger*innen müssen die Energiewende oft selbst gestalten. Eine Genossenschaft stattet Leipzigs Dächer mit Sonnenkollektoren aus.
„Wir können pro Jahr 20 Haushalte mit dem Strom versorgen, der hier produziert wird“, sagt Wüste. Im Hupfeldcenter, einer ehemaligen Klavierfabrik, sitzt heute Gewerbe: Druckereien und ein Büro der Arbeiterwohlfahrt, aber auch Musikbands proben in den Räumlichkeiten. Den Strom dafür beziehen sie direkt vom Dach. So wird Energie dort verbraucht, wo sie auch erzeugt wird. Die restlichen zehn Prozent, die nicht genutzt werden, speist die EGL in das Stromnetz ein und erhält dafür eine Einspeisevergütung. Das Geld wird dann wiederum in neue Projekte investiert.
Aktuell zählt die EGL 150 Mitglieder, die als Voraussetzung mindestens zwei Anteile á 100 Euro erworben haben. Im Schnitt investieren sie 1.000 bis 1.500 Euro. Manche geben nur das Geld, andere wollen auch ihr unterschiedliches Fachwissen als Ingenieurin, Maschinenbauer oder Marketing-Experte einbringen: „In lockerer Runde geht es auch um das Drumherum: zusammen essen und eine Gemeinschaft schaffen“, beschreibt Wüste die Stimmung.
Wüste selbst beschäftigt sich schon lange mit dezentraler Energie – seine Doktorarbeit hat er über Bioenergiedörfer geschrieben. Hauptberuflich ist er Klimaschutzbeauftragter der Kommune Leuna. Wie alle Mitglieder der EGL engagiert er sich ehrenamtlich für die Genossenschaft. Die Mitglieder können den Strom der EGL noch nicht direkt beziehen. Zwar wirbt die Genossenschaft auf ihrer Website mit dem Slogan „Leipziger Bürgerstrom“; der Strom kommt aber nicht aus den hauseigenen Solaranlagen, sondern wird von den „Bürgerwerken“ geliefert, zu der sich rund 80 Energiegenossenschaften in Deutschland zusammengeschlossen haben.
Was einer nicht schafft, schaffen viele
Den meisten Genossenschaftsmitgliedern geht es aber ohnehin um die Idee dahinter: nachhaltige Projekte zu ermöglichen. Die Genossenschaftsidee – was einer nicht schafft, das schaffen viele – haben sich auch Wüste und seine Mitstreiter*innen zu eigen gemacht. „Die Energiewende kommt doch zum Großteil von den Bürgern selbst“, sagt Wüste. „Man braucht keine großen Konzernstrukturen, um die Energiewende voranzutreiben.“
Gerade Solaranlagen eignen sich für Energiegenossenschaften als guter Startpunkt, erklärt Wüste. So eine Anlage sei gut plan- und finanzierbar, ganz ohne große Strukturen. „Das ist ein großer Vorteil der Erneuerbaren: Sonne und Wind gibt es überall. Es ist eine völlig andere Nutzung möglich als bei Kohle, die liegt zentral an einem Ort. Da kann man nur im Großen wirtschaften“, sagt Wüste. Die Erneuerbaren passen gut zum Konzept der Genossenschaft.
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Während sich Solaranlagen vergleichsweise einfach realisieren lassen, sind die Hürden bei Projekten mit anderen erneuerbaren Energien höher. Bei drei Windkraftanlagen prüfte die EGL bereits mögliche Investitionen, drei Mal scheiterten die Bemühungen. Mal wurden sie überboten, mal erschien die Betreiberkonstellation ungünstig. Ein Windrad als Genossenschaft zu betreiben sei ohnehin schwierig, meint Wüste. „Man muss in Vorleistung gehen und viel Geld vorschießen, zum Beispiel für Fachgutachten. Das müssen wir gut abwägen, weil wir die Mittel unserer Mitglieder einsetzen.“
Für neue Anlagen ist die EGL nicht nur auf das Geld ihrer Mitglieder angewiesen, sondern beispielsweise auch auf die Stadt. Mit dem 2014 verabschiedeten „Energie- und Klimaschutzprogramm“ hat sich Leipzig zum Ziel gesetzt, den Ausstoß von Treibhausgasen durch den Einsatz von erneuerbaren Energien zu reduzieren. Ein 105 Punkte umfassender Maßnahmenkatalog soll das gewährleisten, vorgesehen ist hier auch die Bereitstellung kommunaler Dachflächen für Bürgersolaranlagen.
Stolpersteine auf Bundesebene
Die Stadt war es auch, die das Dach für die zweite Solaranlage der EGL in Connewitz zur Verfügung stellte, die im März dieses Jahres ans Netz ging. Wie genau der hier produzierte Strom in Zukunft genutzt werden soll, ist noch unklar – das Haus steht derzeit leer. Wie schon beim Hupfeldcenter hat ein Mitglied die Genossenschaft auf die neu eingerichtete Gemeinschaftsunterkunft aufmerksam gemacht.
„Nach einigem Hin und Her hat uns die Stadt die Dachnutzung ermöglicht“, sagt Wüste. Auf dem Weg dahin habe es aber einige Unsicherheiten gegeben, sodass ein Brief an den Oberbürgermeister Burkhard Jung nötig gewesen sei. Erst dann konnte die neue Solaranlage in Betrieb genommen werden. Wüste ist trotz der Schwierigkeiten froh, dass das Projekt zusammen mit der Stadt Leipzig zustande gekommen ist, und zeigt sogar Verständnis: „Solche Modelle wie das unsrige sind auch für die Behörden neu.“
Stolpersteine für die Genossenschaft sieht Wüste denn auch nicht auf kommunaler, sondern eher auf Bundesebene. Wie bei der Ausschreibung von Windkraftanlagen sieht der Gesetzgeber auch bei Solaranlagen Regelungen vor. Ab einer bestimmten Leistung müssen Solarprojekte von der Bundesnetzagentur ausgeschrieben werden, die ganz großen Anlagen kann die EGL deshalb nicht in Eigenregie errichten. Ein weiteres Hindernis sei zudem, dass Besitzer*innen von geeigneten Immobilien oft in Berlin oder Hamburg ansässig und dadurch schwer für Bürgersolarprojekte zu erreichen sind.
Ein Problem für die Energiegenossenschaft Leipzig, die ständig auf der Suche nach geeigneten Dächern ist. Ob auf Wohnhäusern, Fabriken oder auf einem Stall außerhalb der Stadt.
All diese Anlagen will Wüste irgendwann an das Genossenschaftsnetz der Bürgerwerke anschließen. „Dann kann man wirklich sagen, man bezieht Strom von der EGL.“
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